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Pandemien und ParanoiaTriumph des Irrationalen

Manfred Kriener
Gastkommentar von Manfred Kriener

Ob Aids oder Corona: Pandemien mobilisieren Ängste und Ohnmachtsgefühle. Da ist es fast zwangsläufig, dass Verschwörungsmythen florieren.

Das Weiße Haus am Welt-Aids-Tag: HIV und Corona sind grundverschieden, aber sie haben eines gemein Foto: AP

D ie Herren waren aus Bremen angereist. US-Physiker Ernest Sternglass und sein Berufskollege Jens Scheer, beides angesehene Autoritäten der Anti-Atombewegung, standen in der taz-Redaktion, um Tacheles zu reden. Es war Mitte der 1980er Jahre, Aids begann zu wüten, und die beiden Professoren wussten genau, warum: Das Immunschwächesyndrom sei die tödliche Folge radioaktiver Niedrigstrahlung durch den weltweiten Ausbau der Atomkraft. HIV sei der gigantische Vertuschungsversuch einer Atomkatastrophe.

Es war nicht die einzige Verschwörungstheorie, die sich um Aids rankte. Mal wurde die Immunschwäche als Folge der Umweltkrise erklärt, mal als Krankheit der Armut, natürlich auch als Strafe des zürnenden Gottes. US-Forscher Peter Duesberg versammelte eine riesige Anhängerschar, die teilweise bis heute überzeugt ist, dass Aids nichts mit Viren zu tun hat.

Auch zur Herkunft des Erregers zirkulierten schillernde Thesen. Die Bekannteste: HIV sei eine aus dem Ruder gelaufene, laborgezüchtete Biowaffe des US-Militärs. Ähnlich irrationale Positionen bestimmten die Aidsbekämpfung. Selbst der Spiegel war infiziert und machte im Schulterschluss mit CSU-Mann Peter Gauweiler in Panik, um potenzielle Virusträger zu testen, auszusondern, wegzusperren.

HIV und Coronavirus sind grundverschieden, aber sie haben eines gemeinsam. Sie mobilisier(t)en weltweit Angst, Unsicherheit, Ohnmachtsgefühle und gemeingefährlichen Irrsinn in erstaunlichem Ausmaß.

Viren sind eine lautlose, unsichtbare und damit heimtückische Bedrohung. Bei HIV waren vor allem sogenannte Risikogruppen gefährdet, bei Corona sind wir alle dran. Aber die einen sterben an Covid, die anderen spüren nicht mal ein Kratzen im Hals. Gleichzeitig mutiert das Virus permanent, nimmt immer gefährlichere Formen an. Als Folge blüht die Kriegsrhetorik, Politiker wie Macron und Johnson erklären den Kampf gegen Sars-CoV-2 zur Mutter aller Schlachten, den deutschen Coronakrisenstab kommandiert ein General.

In dieser Gemengelage ist eine paranoide Weltdeutung die fast schon logische Konsequenz. Der Verlust wissenschaftlicher Faktizität, der Untergang des Arguments gehören zur Pandemie wie die tägliche Arithmetik der Ansteckung. Dass aber ein naheliegendes Schutzkonzept wie die Impfung von jedem fünften Erwachsenen in Deutschland verweigert oder verschludert wird, überrascht dann doch. Sind wir so vernagelt, so idiotisch im griechischen Sinne?

Die Triage beginnt

Statt die Viruslast durch konsequente Impfdisziplin gegen Null zu drücken, steuert das Land wegen des Bettennotstands der Intensivmedizin auf eine Triage zu, die in zarten Anfängen schon begonnen hat. Wer kommt frühzeitig und wer etwas später auf die Intensivstation, wer wird per Hubschrauber in andere Kliniken verlegt und wer nicht, wen versorgt das medizinische Personal mal mehr, mal weniger aufopferungsvoll? Das wird in den Coronahotspots täglich entschieden.

Die Wut auf die Ungeimpften wächst. Sie sind es vor allem, die unsere medizinischen Ressourcen auffressen; auf manchen Stationen belegen sie 90 Prozent der Covid-Intensivbetten. Sie sorgen dafür, dass dringende Operationen verschoben werden.

Die Konstellationen sind bizarr. Pflegepersonal und Ärzte werden jetzt gesetzlich verdonnert, sich impfen zu lassen, damit sie die wachsenden Heerscharen der Ungeimpften in den Krankenhausbetten bestens versorgen können.

Die meisten der nicht geimpften Krankenhaus-Patienten sind „Umkehrer“. Sie machen sich Vorwürfe oder bedauern aufrichtig, dass sie die Vakzine verweigert haben. Sie setzen sich damit ihren Schamgefühlen aus. Doch es gibt auch die zweite Kategorie. Menschen, die selbst nach lebensrettender Intensivbehandlung ihrer paranoiden Sicht treu bleiben.

Der Triumph des Irrationalen mache selbst vor dem Tod nicht halt, sagt der Aachener Psychoanalytiker Micha Hilgers. Es geht nicht nur um Corona, es geht um die eigene Identität, die bei diesen Menschen unauflöslich mit der Ablehnung staatlicher und wissenschaftlicher Instanzen verknüpft ist; Misstrauen, Bitterkeit und oft auch Hass sind grenzenlos.

Wenn es um Leben und Tod geht

Der Vertrauensverlust gegenüber der Coronapolitik wird noch dadurch befördert, dass die Pandemie mit ihrer Unberechenbarkeit zwangsläufig zu Widersprüchen, auch zu gravierenden Fehleinschätzungen führt. Auch die Wissenschaft spricht nie mit einer Stimme, anfangs hatte sogar das Robert Koch-Institut das Tragen von Masken abgelehnt. Zuletzt provozierte die Auflösung der epidemischen Notlage Kopfschütteln bis Entsetzen.

Zugleich ist gerade die Medizin – dort wo es um Krankheit, Leben und Tod geht – schon immer anfällig für Argwohn und für Verirrungen bis hin zur Behandlung beim Geistheiler. Das hochtechnisierte, von immer stärkeren ökonomischen Zwängen getriebene Gesundheitssystem trägt selbst viel dazu bei, Misstrauen zu schüren. Man muss nicht an todbringende 5G-Strahlung und implantierte Microchips im Impfkanal glauben, um eine kritische Distanz gegenüber der Medizin und Coronapolitik einzunehmen.

Häme und Hiebe der Medien verstärken den Argwohn. Der Historiker und frühere taz-Redakteur Götz Aly kritisiert zurecht die mediale Begeiferung jeder staatlichen Maßnahme der Coronapolitik „als übertrieben, zu spät oder zu früh, als völlig unbegründet, ungerecht, planlos, als Angriff auf die Grund- und Freiheitsrechte“. Im Dauersirenenton zerlegen Medien genüsslich das „Impfchaos“. Dass das deutsche Coronamanagement lange Zeit relativ erfolgreich war, ist kein Thema. Auch die globale Perspektive fehlt.

Da braucht es einen Schriftsteller wie Ian McEwan, der Corona als Auftakt neuer biosphärischer Kollisionen sieht. Für ihn ist Covid „unser Massen-Tutorial“, und: „Generalprobe und Vorgeschmack für kommende Katastrophen im planetarischen Maßstab“.

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5 Kommentare

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  • @MEISTER PETZ

    Es gibt Kritik, und dann gibt es Begeiferung

    www1.wdr.de/dasers...al-macher-100.html

  • "Götz Aly kritisiert zurecht die mediale Begeiferung jeder staatlichen Maßnahme der Coronapolitik „als übertrieben, zu spät oder zu früh, als völlig unbegründet, ungerecht, planlos, als Angriff auf die Grund- und Freiheitsrechte“. Im Dauersirenenton zerlegen Medien genüsslich das „Impfchaos“.

    Ausgerechnet bei einem Thema, bei dem politische Entscheidungen gleichzeitig Leben und Tod wie auch Freiheit und Unfreiheit der Bürger beeinflussen, sollen die Medien ihre Kritik einstellen und "die da oben mal" machen lassen? "Gegeifer"?

    Während gleichzeitig jeder von RWE gefällte Baum, jede Erwähnung des N-Wortes (sogar von Baerbock) und jeder querliegende Furz irgendeiner AfD-Pappnase von den Twitterati zum Megaskandal hochgegeifert wird? Nicht euer Ernst. Paternalistischer gehts ja nicht.

    • Manfred Kriener , Autor des Artikels,
      @Meister Petz:

      Werter Meister Petz,



      es geht ja nicht darum, jede Kritik gegenüber der Coronapolitik einzustellen. Aly kritisiert die permanente Kritik, gewissermaßen den Dauersirenentin gegenüber jeglichen staatlichen Maßnahmen. Danke für Ihr Interesse an meiner Arbeit. Manfred Kriener

      • @Manfred Kriener:

        Danke für Ihre Antwort, lieber Herr Kriener. Mir ist diese Ansage von Aly trotzdem zu einseitig. Wenn es lediglich um seriösen Journalismus im Sinne einer Abwägung der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen ginge, müsste Aly auch die Forderungsexzesse auf der Gegenseite kritisieren. Das Zero-Covid-Getrommel zB in der ZEIT, der keine Maßnahme streng genug sein konnte, das ständige Bashing der Stiko, #SterbenmitStreeck usw. usw. Tut er das? Ich kenne den Originaltext und somit den Zusammenhang nicht. Aber so klingt es bei mir schon arg nach "der Papa wirds schon richten".

    • @Meister Petz:

      Was daran paternalistisch ist, erschließt sich mir nicht.



      Geifern ist das tägliche Geschäft bestimmter Medien, das ist für mich Fakt. Bei den Gemäßigten sehe ich es zumindest als Klickratenjournalismus. Statt zB die Chance zu nutzen, Medienkonsumenten differenziert die Komplexität von Wissenschaft und deren begrenzte Relevanz für politische Entscheidung zu vermitteln, wurde und wird (besonders mit den Headlines) häufig und genüsslich jede Gelegenheit zur Polarisierung verwendet. Aktuelles Beispiel, etwas sinnlos hochzujazzen: die (Gottseibeiuns) parallele Berufung von Drosten UND Streeck ins Expertengremium. Dass dabei als Novum auch führende Gesellschafts- bzw Geisteswissenschaftler (Betsch und Hertwig) mit von der Partie sind, ist indes kaum in den Medien zu finden.



      Gerade, weil es um Leben und Tod, Karrieren, Not und Pleiten geht, ist mE ein Journalismus erforderlich, der der Seriösität der Krise gerecht wird. Statt jede Gelegenheit zu nutzen, die Informationen so spicy wie möglich zuzubereiten.



      Es geht eben nicht um ‚Kritik einstellen‘. Davon kann ich in dem Artikel nichts finden. Es geht schlicht um die Forderung nach gutem Journalismus und Reduzierung dummer Berichterstattung. Wovon man nicht zu viel haben kann.



      Es geht mE auch um Empathie und Würdigung für die >100.000 Toten und andere Betroffene der Pandemie, die zur Erklärung und Verarbeitung der Tragödie mehr verdient haben, als schlechten, plumpen und sensationsgeilen Journalismus, der die Bekämpfung der Pandemie aus merkantilen Interessen stark erschwert.



      Die Kritik an Politiker*innen und Versäumnissen ist eine andere Frage und dann besonders hilfreich, glaubwürdig und wirksam, wenn sie sich auf Fakten und sachliche Argumente beruft.