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Der HausbesuchEat. Paint. Love

Konkurrenz und Wertschätzung: Eine Künstlerin und ein Künstler leben zusammen – und lieben sich. Aber kann so etwas überhaupt gutgehen?

Respekt, Bewunderung und Liebe – alles da Foto: Stefanie Loos

Einen Tee soll es ­geben. „Artischockentee?“, fragt Michael Wutz und korrigiert sich: „Nein, doch grüner.“ Den anderen habe seine Partnerin weggeworfen, erklärt er und sieht etwas enttäuscht zu Franziska Klotz rüber. Sie: „Ach Michi.“ Dann deckt das Künst­le­r:in­nen­paar den Tisch in ihrem gemeinsamen Wohnzimmer.

Draußen: Gleißend hell beißt die Sonne sich durch die Blätter der Bäume vor dem Fenster, ihr Licht erzeugt ein verzaubertes Glitzern. Die Bäume stehen an einer dicht befahrenen Straße am Rande von Prenzlauer Berg, im ehemaligen Berliner Osten. Am Tag des Mauerfalls stauten sich hier die Autos hin bis zum ersten geöffneten Grenzübergang.

Drinnen: Über dem einen Sofa hängen ihre Kunstwerke, über dem anderen seine. Seine zeigen Abfälle, die bei der Produktion von Steinzeitwerkzeug entstanden sind. Er hat sie gefunden, neu zusammengesetzt und in Braun und Blau gezeichnet. Auf ihren: Porträts von Frauen, die sich, als sie noch jung waren, vor Jahrtausenden für ihre späteren Sarkophage auf Holzbretter malen ließen. Franziska Klotz hat diese Abbildungen abgemalt.

Objekte: Es sind Bilder von Bildern. Franziska Klotz sagt: „Die Porträts waren zweitrangig, es ging mir mehr um das Holz.“ Wichtig waren ihr wie so oft die Objekte. Am liebsten malt sie jedoch Dinge, die beim Malen vor ihr liegen, manche davon überlebensgroß. Sie liebt diese großen Formate, die tänzerischen Bewegungen vor der Leinwand. In einem ihrer Kataloge zeigt sie ein Bild von einem Briefumschlag. Es ist 1,9 mal 2,3 Meter groß.

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Verbindungen: Die Liebe zu den Objekten verbindet sie. Michael Wutz sagt: „Wir sind gegenständliche Künstler. Gleichzeitig sind wir auch abstrakte Künstler.“ Er spricht während der Unterhaltung vor allem und am liebsten über seine Arbeit. Zwischendrin ruht er sich aus. Sein Ohr pocht, er hat eine leichte Mittelohrentzündung. Aber erst mal zu Franziska Klotz.

Ihre Wege: Sie ist 1979 in Dresden geboren. „Mein Vater war Maler und Professor für Malerei“, sagt sie. „Eigentlich sollte ich klassischen Gesang studieren.“ Der Vater hätte das so gewollt. „Und ich wollte das auch ganz lange.“ Also ging sie zur Wendezeit nach Dänemark auf eine internationale Musikschule, lebte dort im Internat.

Einst wurden sie wegen ihrer Schönheit getötet Foto: Stefanie Loos

Freiheit: Als Befreiung beschreibt sie den Weggang aus Deutschland. Die Wendezeit, meint sie, war keine gute. „Wir waren Ossis, wir sind zum Teil beschimpft worden. Deshalb fand ich es sehr erheiternd, nach Dänemark gehen zu dürfen.“ Auch in der Musik war die Befreiung zu spüren. Klotz war die Einzige im Internat, die Klassik spielte. „Da bin ich dann ein bisschen von weggekommen und ins Jazzige gerutscht.“ Nach dem Abitur zog sie nach Berlin und arbeitete dort in den Werkstätten verschiedener Theater. Sie wollte Bühnenbild studieren. „Ich habe immer gerne gemalt.“

Großmutter: Wegen der Großmutter, die dort lebte, begeisterte Franziska Klotz sich für Berlin. Die Stadt wurde früh zu einem Sehnsuchtsort. Schließlich habe die Großmutter sie geprägt, mit ihrem Frohmut, dem Selbstbewusstsein. Neben der Tür hängt ein Erbstück von ihr: aufgespießte Schmetterlinge hinter Glas.

Mystik: „Meine Großmutter war sehr fantastisch“, sagt Franziska Klotz. Habe ihr viele Geschichten erzählt. Das Mystische, was sich in vielen ihrer Bilder findet, hat sie vielleicht auch von ihr. In Berlin-Weißensee studierte Klotz Kunst. Auch etwas, worin die Großmutter sie unterstützte.

Berlin: Und warum wollte Michael Wutz nach Berlin? Schulter­zucken. Seine Partnerin schaut ihn an: „Einfach weit weg, wa?“ Es zog ihn in die Hauptstadt, obwohl er Menschenmengen scheute. „Ich habe mehr Angst vor Menschen als vor dem Alleinsein“, sagt er. „Ich bin anders, ich treffe gerne Menschen“, sagt sie.

Seine Wege: Michael Wutz studierte an der Berliner Universität der Künste. „Ich habe mich damals sehr stark auf Radierungen konzentriert, und das ist bis heute mein wichtigstes Medium.“ Franziska Klotz fragt: „Kann ich dein Germania zeigen?“ Nicken. Sie holt einen Katalog mit dem Bild der geplanten Nazi-Welthauptstadt aus dem Regal. „Ich habe Germania radiert, als wäre es wirklich gebaut worden“, sagt er.

Nazis: Außer mit Frühgeschichte setzt sich Michael Wutz in seinen Arbeiten auch viel mit dem Nationalsozialismus auseinander. In seinem familiären Umfeld gebe es Begeisterung für die AfD. Für ihn Anlass genug, um sich auch mit aktuellen Formen des Faschistoiden zu befassen. „Einer neuen Form von kulturellem Rassismus und Kulturpessimismus“, die mit der Vorstellung einhergehe, dass „eine Form des Untergangs bevorstünde“. Er sieht darin vor allem einem Hang zum Mythos und zu einer Abkehr von der Realität.

Katzen verbergen ihre Gefühle nicht Foto: Stefanie Loos

Geschichte: In seiner Arbeit gehe es also um die Kritik am Umgang mit dem Reellen – und der Geschichte. „Mir geht es um eine Verdinglichung der Geschichte. Wenn etwas als Ding wahrgenommen wird, wird es herausgenommen aus dem Ganzen.“ Er zitiert Adorno: „Alle Verdinglichung ist ein Vergessen.“

Seine Kindheit: Der Vater war Geschichtslehrer und hat ihn dazu angeregt, sich mit dem Historischen auseinanderzusetzen. 1979 wurde Michael Wutz im bayrischen Günzburg geboren. „Wir haben direkt an der Donau gewohnt. Es war eine Kindheit, wo man draußen war.“ Unweit des Wohnorts hatte es eine bronzezeitliche Siedlung gegeben. Schon als Kind machte er archäologische Funde: „Schöne verzierte Scherben, ein paar Knochengeräte.“ Im Wohnzimmer liegen heute welche davon in einer Tischvitrine. Die alten Gegenstände haben ihn schon immer fasziniert. „Mein Bruder und ich wurden von einem Kreisheimatpfleger angelernt“, sagt er.

Und ihre Kindheit? „Ich war auch viel draußen“, sagt Franziska Klotz. Doch ihr ging es mehr um die Menschen und die Kunst. „Ich habe viel gesehen, wir haben uns oft einfach ins Auto gesetzt.“ Sie sei in einer intellektuellen Familie aufgewachsen und war oft in Museen und Galerien. „Geist war wichtig.“ Zu Hause wurde viel diskutiert. Über „Weltgeschehen, humanistische Themen“ – und eben über Kunst. Der Vater war „wegen dem Finanziellen“ von ihrer Berufswahl dennoch nicht begeistert. Bereut hat Franziska Klotz ihren Weg jedoch nie.

Leben: Heute leben sie und Michael Wutz beide von der Kunst. Auch wenn es nicht immer einfach ist. „Es gibt solche und solche Phasen“, sagt sie. Manchmal bringt das Leben unvorhersehbare Umbrüche. Wutz hat vor einem Jahr seine Galeristin verloren, die ihn nach dem Studium entdeckte: Rebeccah Blum. „Die hatte einen großen Drang, Künstlerinnen und Künstler aufzubauen.“ Bis sie Opfer eines Femizids wurde. Ihr Lebensgefährte hat sie erstochen. Franziska Klotz sagt: „Es war furchtbar.“

Krankheit: Doch sie lassen sich von Düsterem nicht die Kunst verderben. Auch von Franziska Klotz’ Erkrankung nicht: 2019 wurde ihr Multiple Sklerose diagnostiziert. Trocken sagt sie: „In der Kunst darf man nicht kränkeln.“ Ob die Krankheit sie beim Malen stark beeinträchtigt? „Wenn ich merke, dass etwas kommt, mache ich erst recht die Bewegung.“ Und wenn es zu viel wird? „Gehe ich in die Tusche, das hat etwas Meditatives.“

Treffen: Wie haben sie sich kennengelernt? Michael Wutz zündet sich eine Zigarette an und raucht sie am offenen Fenster: „Ich weiß gar nicht mehr, wie.“ Franziska Klotz sagt: „Wir haben zusammen ausgestellt.“ Später seien sie sich immer wieder über den Weg gelaufen. „Und dann ist man irgendwann in einer Bar geendet“, sagt er.

Liebe: Sie sagt: „Ich hatte Respekt vor seiner Arbeit, die fand ich ganz toll.“ Er sagt schwärmerisch-ironisch, dass sie die letzte ernstzunehmende Malerin sei. Seit 2011 sind sie zusammen. Sie nennt ihn einen Schelm. Sie könne gut kochen, sagt er, bevor sie es als Lüge entlarvt. Manchmal, sagt er, gäbe es bei ihnen „geschälte Kartoffeln à la Franziska“.

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