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Spannungen im Ukraine-KonfliktHoffnung auf Diplomatie

Am Dienstag wollen die Präsidenten der USA und Russlands über die Spannungen an der russisch-ukrainischen Grenze reden.

Reichen sie sich nochmal die Hände? Putin und Binden bei einem Treffen im Juni in Genf Foto: ap

Berlin taz | Die Sternstunde der internationalen Ukraine-Diplomatie schlug vor genau 27 Jahren. Am 5. Dezember 1994 bekräftigten die fünf Vetomächte des UN-Sicherheitsrats – die USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich – im sogenannten Budapester Memorandum samt Zusatzerklärungen die Unabhängigkeit und territoriale Unversehrtheit der drei ehemaligen Sowjetrepubliken, die nach dem Zerfall der Sowjetunion neben Russland ebenfalls Teile des sowjetischen Atomwaffenarsenals geerbt hatten: Belarus, Kasachstan und die Ukraine.

Im Gegenzug für die Anerkennung und internationale Garantie ihrer Souveränität sowie das Festschreiben eines Gewaltverzichts ihnen gegenüber, verzichteten die drei Länder auf ihre Atomwaffen und rüsteten sie in den folgenden zwei Jahren ersatzlos ab. Ein späterer Vertrag zwischen Russland und Ukraine regelte die fortdauernde Nutzung des Krimhafens Sewastopol durch die russische Schwarzmeerflotte.

Tatenlos schauten die USA, China, Großbritannien und Frankreich dann im Jahr 2014 zu, als Russland die Vereinbarungen brach, in der Ukraine einmarschierte, die Krim annektierte und lokale Milizionäre unterstützte, die zwei „Volksrepubliken“ in den Donbass-Regionen Donetsk und Luhansk gründeten.

Die russische Krim-Annexion wurde zwar international nie anerkannt, für die Regelung des Konflikts im Donbass wurde das „Normandie-Format“ zwischen Russland, der Ukraine, Frankreich und Deutschland erfunden und 2014 bis 2015 mehrere Abkommen in der belarussischen Hauptstadt Minsk geschlossen. Doch der Krieg in der Ostukraine ist nie zu Ende gegangen und das Ausmaß der militärischen Ambitionen Russlands im Nachbarland scheint erneut zu wachsen – so jedenfalls die Befürchtungen der Ukraine.

Erst am Freitag hat die Regierung in Kiew vor einem russischen Großangriff Ende Januar gewarnt. Zuvor hatte die Zeitung Washington Post unter Berufung auf US-Geheimdiensterkenntnisse „umfangreiche Bewegungen von hundert Bataillonen taktischer Verbände mit schätzungsweise 175.000 Mann, zusammen mit Panzern, Artillerie und Ausrüstung“ gemeldet. Dem Zeitungsbericht zufolge sammeln sich die russischen Streitkräfte an vier Orten.

Diplomatie per Videocall

Die Hoffnung, eine erneute Eskalation zwischen Russland und der Ukraine auf diplomatischem Wege abwenden zu können, muss aufgrund der Folgelosigkeit früherer Vereinbarungen mit Russland als gering gelten. Dennoch wollen US-Präsident Joe Biden und Russlands Staatschef Wladimir Putin am Dienstag in einem Videogipfel über die Spannungen im Ukraine-Konflikt beraten. Das Gespräch werde so lange dauern wie von den Präsidenten gewünscht, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Samstag.

Das Weiße Haus bestätigte die Angaben. ­Biden werde „die Besorgnis der USA wegen der russischen Militäraktivitäten an der Grenze zur Ukraine unterstreichen und die Unterstützung der Vereinigten Staaten für die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine bekräftigen“, erklärte Regierungssprecherin Jen Psaki.

Russland wirft der Ukraine vor, sich vom Westen militärisch ausrüsten zu lassen – für besonderen Ärger sorgt die Lieferung von Drohnen aus der Türkei, welche die Artillerie ausschalten kann, mit der die Separatisten im Donbass fast täglich den von der OSZE überwachten Waffenstillstand in der Ostukraine brechen. Der russische Außenminister Sergei Lawrow wurde am Sonntag von russischen Medien mit dem Satz zitiert, man müsse die Ukrai­ne dazu „zwingen“, die Abkommen von Minsk zu respektieren. Außerdem prangert Russland regelmäßig Nato-Militärmanöver nahe der russischen Grenzen an, also im Baltikum. Putin warnte den Westen und die Ukraine davor, die „roten Linien“ des Kremls zu überschreiten.

Biden sagte am Freitag im Weißen Haus: „Ich werde von niemandem rote Linien akzeptieren.“ Zugleich kündigte der US-Präsident an, dass er mit einer Reihe von „Initiativen“ eine russische Invasion der Ukraine verhindern wolle. Die Maßnahmen würden es Putin „sehr, sehr schwierig machen, voranzuschreiten und das zu tun, was Leute befürchten, was er tun könnte“, sagte Biden. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin ergänzte am Samstag, die USA stünden bereit, um der Ukraine bei der „Verteidigung ihres Hoheitsgebietes“ zu helfen. (mit afp)

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1 Kommentar

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  • Wie kann der gordische Knoten durchschlagen werden, dass der Westen auf eine NATO-Ausdehnung in die Ukraine hinein verzichtet - und auch die Führung in Kiew derlei Ambitionen aufgibt -, Russland im Gegenzug die staatliche Souveränität seines Nachbarlandes vollumfassend garantiert und auf weitere territoriale Ansprüche in der Ostukraine verzichtet (wobei die Ukraine der russischsprachigen Bevölkerung in den östlichen Gebieten wohl weitgehende Autonomiezugeständnisse machen müsste)?



    Aus meiner Sicht liegt darin der Schlüssel zu einer friedlichen Lösung des Konflikts und das sollte auch in den bilateralen Gesprächen zwischen Putin und Biden berücksichtigt werden, also die Schaffung einer Win-Win-Situation, die ich bei einigermaßen guten Willen auf beiden Seiten für möglich halte … dass dabei die ukrainischen Nationalisten die größten Abstriche machen müssen, liegt auf der Hand, aber deren Position sollte sich der Westen nicht zu eigen machen.



    Mit Verweis auf Nazi-Deutschland und die gescheiterte Appeasement-Politik wird von einigen (auch hier im taz-Forum) ein historischer Vergleich bemüht, der erst einmal bewiesen werden muss. Es wird argumentiert, die baltischen Staaten wären längst Opfer russischer Expansion geworden, wären sie nicht zeitig der NATO beigetreten … dabei hätte Putin mit den großen russischen Minderheiten in Estland und Lettland (ca. 25% der Bevölkerung) durchaus ein Faustpfand, die Lage im Baltikum zu destabilisieren. Der Schlüssel für innenpolitische Stabilität liegt allerdings in der ökonomischen Prosperität der baltischen Staaten sowie der Fähigkeit, ihre russischsprachigen Bevölkerungsgruppen wirtschaftlich wie politisch in die Mehrheitsgesellschaft zu integrieren, so dass es für diese erst gar nicht attraktiv ist, sich als “fünfte Kolonne” Moskaus zu verstehen.



    In der Ostukraine fehlt es wohl an beiden Voraussetzungen - ökonomisch wie politisch - , weshalb das Säbelrasseln von beiden Seiten vorerst nicht beendet werden kann.