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Ehemalige Gestapozentrale in HamburgEin bisschen Gedenken

Im Stadthaus in der Hamburger City wird heute geshoppt – und die Erinnerung an die dort begangenen Verbrechen auf engsten Raum gesperrt.

Shoppen in der ehemaligen Gestapo-Zentrale: in Hamburg ist das möglich Illustration: Sebastian König

HAMBURG taz | Am besten, man geht auf die andere Straßenseite. Schaut sich das Bau-Ensemble an der Stadthausbrücke in der Hamburger City zunächst aus einer gewissen Distanz an. Denn die Vorbeigehenden mindestens zu überwältigen, das war schon immer die Absicht dieses steinernen, großherrschaftlichen Riegels, massig und kompakt, in dem ab 1933 die gleichgeschaltete Polizei, bald auch die Gestapo ihren Hauptsitz hatten, für Hamburg und weite Teile Norddeutschlands gleich mit.

Es war ein Schreckensort mit Verhörräumen und Gefängniszellen, dessen Geschichte jahrzehntelang von der Hamburger Politik ignoriert wurde. Stattdessen residierte hier unverdrossen die Baubehörde, dann die Behörde für Umwelt. Bis man alles einem Investor übergab, der sanierte, Historisches weitgehend überbaute und die frei gewordenen Flächen mit hochpreisigen Design-Geschäften und sogenannter exquisiter Gastronomie bestückte. Die schmiedeeiserne Überschrift: „Stadthöfe“.

Eine Art Teufelsaustreibung

Und dann betritt man sie, die Buchhandlung mit dem Namen „Lesesaal“, in der Hausnummer 6, das war zumindest nicht doof gedacht: Buch gleich Geist gegen den Ungeist, eine Art dienstleisterische Teufelsaustreibung. Schmale Stufen führen hoch, nach rechts in einen offenen Raum, der abstrakt-verloren „Geschichtsort“ heißt und der auf den zahlreichen Umgebungsplänen nicht verzeichnet ist, die man überall in die Durchgänge zu den Innenhöfen an die Wände geschraubt hat. Hier findet sich eine kleine, gedrängte Ausstellung, die zu erzählen versucht, wie von hier aus die Vernichtung der Hamburger Juden, der Roma und Sinti, der Kommunisten und Sozialdemokraten, der Homosexuellen geplant und durchgeführt wurde, bis britische Bomber 1943 das Areal schwer trafen.

Und fast hätten sie einen jetzt erwischt, dass man sich sagt: Okay, arg wenig Platz, alles ziemlich gehetzt, doch vielleicht sollte man gnädig sein, auch froh, dass wenigstens ein grober Einblick geboten wird. Und wer wirklich wühlt, wer eintaucht, der erfährt durchaus Weiterführendes. Etwa dass Hamburgs Gauleiter Karl Kaufmann nie für sein Tun zur Verantwortung gezogen wurde, sondern nach dem Krieg mit einem anderen Hamburger Naziverbrecher ein Versicherungsunternehmen gründen konnte, erneut ein anerkannter Bürger der Stadt.

Hanseatischer Pomp

Aber zum Glück muss man ja wieder raus, raus auf die viel befahrene Straße. Steht wieder für sich auf dem geschlossenen, breiten Pflaster, schaut an der nicht endend wollenden Fassade hoch und weiß wieder: Dieser Ort ist eine Zumutung, weil er einem nichts zumutet. Weil alles Fragile und Brüchige und nicht zuletzt das Verletzbare, das ein Menschenleben ausmacht, noch einmal mehr nachträglich steinern verschlossen und erstickt wurde. Weil hier der hanseatische Pomp auf eine Weise Hof hält, die sich nicht beirren lässt.

Und das Kunstwerk, das hier entstehen soll, mit Namen „Stigma“? Eine Intervention des Projekts „Missing Icons“: Der Gehweg wird gerade einige Meter lang aufgebrochen, wird aufgefüllt mit einer Granulatsplittschicht, eine Art Wunde soll sich so zeigen, so die Idee, preisgekrönt nach einem Wettbewerb, auch um die Gemüter derer zu beruhigen, die einen so schmalen Gedenkort bis heute nicht hinnehmen wollen. Ach ja, die Kunst. Mal schauen, ob sie etwas ausrichten kann; noch zeigt sie sich als Baustelle mit Absperrgittern.

Von daher und mal angenommen, man würde die damals prügelnden Schergen der unteren Dienstgrade auf den Gängen wie die höher gestellten Befehlsgeber in ihren Büros mit weitem Blick über die Stadt mal kurz aus der Hölle hochlassen, sie würden anerkennend nicken: Macht doch noch immer was her, dieser imposante Bau! Und sie würden stolz sein, dass sie hier mal arbeiten konnten, in diesem einschüchternden Komplex.

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