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Volksabstimmung in der SchweizMehrheit für Coronagesetz

In der Schweiz stimmt eine klare Mehrheit bei einem Referendum für das Coronagesetz der Regierung. Der Widerstand ist laut, aber marginal.

Blieben klar in der Minderheit: Geg­ne­r*in­nen des Covidgesetzes in der Schweiz Foto: reuters

Basel taz | Von Spaltung keine Spur: Das Resultat der Abstimmungen in der Schweiz ist eindeutig. Rund 63 Prozent der Wäh­le­r:in­nen nehmen das Covid-Gesetz an der Urne an. Wochenlang hatten Kampagnen gegen das Gesetz mobilisiert, das seit Herbst 2020 die gesetzliche Grundlage für diverse Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie bietet.

Bereits im Sommer wurde gegen das Gesetz ein Referendum einberufen, so dass es zur Abstimmung kam. Die Bevölkerung stellte sich damals hinter das Gesetz. Daraufhin erwirkte eine Gruppe ein zweites Referendum. Das ging, weil es entsprechend der veränderten Lage angepasst wurde. An diesem Sonntag wurde nun auch das abgewiesen. Das Covid-19-Gesetz ist damit von der Bevölkerung legitimiert.

Der Abstimmungskampf legte dennoch Gräben offen. Gegen das Gesetz formierte sich sowohl ein linkes als auch ein bürgerliches Komitee. Das bürgerliche Komitee warnte vor der „Diskriminierung der Ungeimpften“ und hängte in der ganzen Schweiz Plakate auf, die im Look der rechtspopulistischen schweizerischen Volkspartei SVP daherkamen.

Die SVP war die einzige der großen Parteien, die für das Nein warb. Bei den anderen Parteien sprachen sich nur zwischen 7 und 16 Prozent der Wäh­le­r:in­nen dagegen aus. Wäh­le­r:in­nen der sozialdemokratischen SP waren fast geschlossen für das Gesetz.

Fürs Coronagesetz – und bessere Bedingungen in der Pflege

Neben der SVP machten auch Bür­ge­r:in­nen­be­we­gun­gen wie etwa die Jugendorganisation „Mass-voll“ oder die „Freiheitstrychler“ Stimmung gegen das Gesetz. Diese gehen seit Monaten mit Glockengeläut, Schweizer Trachten und den bekannten Argumenten auf die Straße, um vor einer angeblichen „Diktatur“ zu warnen.

Einen anderen Ton wählte das linke Nein-Lager um den Datenschutz-Aktivisten Hernâni Marques. Unter der Losung „Ja zur Impfung, nein zum Zertifikat“, wandte er sich ausschließlich gegen das Covid-Zertifikat, das in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens Pflicht ist. Dieses ist ein Teil des Covid-Gesetzes.

Mit dem Zertifikat würde der Staat die Verantwortung auf Einzelpersonen abwälzen, so das Komitee um Marques. Zudem biete es eine „Scheinsicherheit“, denn es bestehe die Gefahr, dass Menschen so höhere Risiken eingehen. Außerdem gängele das Zertifikat Ungeimpfte.

Neben dem Ja zum Covidgesetz wurde eine zweite Vorlage mit historischer Eindeutigkeit angenommen. Die Pflegeinitiative fordert eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege. Sie wurde am Sonntag mit rund 61 Prozent angenommen. Für eine progressive Initiative ist das ungewöhnlich.

Der Abstimmungssonntag zeigt: Die Schweizer Bevölkerung steht größtenteils hinter den Maßnahmen. Der Widerstand dagegen ist zwar laut, aber marginal. Zudem sendet das Ja zur Pflegeinitiative ein klares Signal an die Politik, dass die Pandemiebekämpfung mit entsprechenden sozialen Maßnahmen für Beschäftigte im Pflegesektor einhergehen muss.

Die Maß­nah­men­geg­ne­r:in­nen werden wohl trotzdem keine Ruhe geben: Kurz nach den ersten Hochrechnungen versammelten sie sich vor dem Bundeshaus, um gegen das Resultat zu protestieren. In sozialen Netzwerken kursiert, die Ergebnisse seien gefälscht.

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4 Kommentare

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  • Ich bin seit >40 Jahren (links) politisiert, habe noch keine Abstimmung oder Wahl verpasst (ja, wirklich!), aber so einen hässlichen Abstimmungskampf habe ich noch nie erlebt.



    Da wurde absolut faktenfrei geschwurbelt, konstruierten Vorwürfen und Mutmassungen, zuletzt sogar gegen die Legitimität der Abstimmung. Trumpistan in der Mitte von Europa. Auch wenn schlussendlich die Vernunft gesiegt hat, die Auseinandersetzung war absolut spaltend und wurde rein ideologisch geführt. Dass die Schwurbler:innen zudem über so hohe finanzielle Ressourcen verfügte, stimmt sehr bedenklich...



    Eine Abstimmung zum Vergessen, aber zwingend zum Aufmerksam bleiben, was die gesellschaftlichen Verwerfungen angeht.

  • GMV* behält die Oberhand



    Die größte Minderheit von SVP bleibt im Abseits



    Es bleibt Hoffnung



    Grüsse aus dem Tessin



    *GMV - Gsunder MenschenVerstand

  • Die Entscheidung will ich nicht bewerten. Das Zertifikat hat seinen Nutzen, aber auf lange Sicht sind die Folgen zu beobachten.

    Nur, und das halte ich jetzt bei den umläufigen Begriffen von den "marginalisierten Gruppen", die in der Regel deutlich kleiner als 30% sind, die Bezeichnung, dass der Widerstand von ca.37% marginal sei, für eine problematische Formulierung.

    • @J_CGN:

      Einverstanden, ich habe auch den Eindruck, dass die Neinsager nicht marginal sind. Insbesondere unsere Trumpisten der SVP, denen aktuell alle ihre anderen Themen (EU, Ausländer, Kriminalität) abhanden gekommen sind, bewirtschaften das Segment schon wieder aktiv. Das sieht man auch schon am Stil und der Menge der gestreuten Plakate. Andererseits wurden derart abstruse Behauptungen aufgestellt von den Schwurbler:innen, dass wenn sich eine Partei voll darauf einlässt, sie definitiv in eine marginale Position gerät.



      Gut möglich allerdings, dass sich neue Bevölkerungsschichten mit dieser Abstimmung "gegen die Staatsgewalt" politisiert und in den Schwurbler:innen-Gruppen sozialisiert haben. Die werden nicht einfach verschwinden. Das war in Merika genau gleich mit dem Trumpel und seinen Heilsversprechen...



      On verra. Wir werden diese Entwicklung mindestens so aufmerksam verfolgen müssen wie den Einsatz des Zertifikats.