Migration aus dem Irak: Über Minsk ins Ungewisse
Offensiv warben irakische Reisebüros für das Flugziel Belarus. Seit es keine Direktflüge mehr gibt, geht die Route über Dubai, Istanbul oder Damaskus.
Lange sei nichts leichter gewesen, als ein Touristenvisum für Belarus zu bekommen, erzählt Khadir Domly, ein Journalist aus dem irakisch-kurdischen Dohuk, der sich auf Migration spezialisiert hat. Aus dem kurdischen Nordirak kommt ein Großteil der Menschen, die jetzt an der belarussischen Grenze zum EU-Land Polen festsitzen.
Dort haben am Donnerstag Tausende Menschen eine weitere Nacht in provisorischen Lagern in eisiger Kälte verbracht. Die EU wirft dem belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko vor, absichtlich Migranten an die EU-Grenzen zu bringen, um Vergeltung für EU-Sanktionen zu üben.
„Seit Anfang des Jahres hat sich hier die Nachricht verbreitet, dass es einfach ist, ein Visum für Belarus zu bekommen, und dass man von dort weiter in die EU kommt, speziell nach Litauen und Polen“, erzählt Domly am Telefon gegenüber der taz. „Aber die meisten haben Deutschland als Ziel. Das Ganze wird mit regulären Reiseagenturen und Schmugglern organisiert.“
Reisebüros lockten mit einfachem Visaprozess
Nach Angaben der Organisation Kurdistan Refugee Association haben in den vergangenen drei Monaten rund 3.000 Kurden den Nordirak verlassen. Mehr als die Hälfte von ihnen sei mit Touristenvisa nach Belarus eingereist. Irakische Reisebüros hatten seit Monaten Reisen nach Minsk beworben, mit dem Argument, dass der Visaprozess einfach sei. Den weiteren Schmuggel nach Polen erwähnten sie nicht.
„Wenn ihr gebucht habt, bekommt ihr innerhalb von nur drei Tagen euer Visum am Counter am Flughafen in Bagdad. Bei der Ankunft in Minsk geht ihr direkt zur Passkontrolle, die stempelt den Pass ab und dann nehmen wir euch in Empfang“, warb ein Mitarbeiter der irakischen Reiseagentur Dar al-Rahim noch im Juni via Video auf der Facebookseite der Agentur.
Seit August ist die Reise etwas komplizierter geworden. Direkte Flüge von Bagdad oder Erbil nach Minsk wurden aufgrund Drucks aus der EU eingestellt. Nun geht die Reise über Dubai, Istanbul oder Damaskus. „Es gibt viele Routen nach Belarus. Die Schmuggler bleiben da immer am Ball und passen sich an. Sie folgen keiner festgelegten Route“, beschreibt Dolmy deren Strategie.
Unter jenen, die sich aus dem Irak auf den Weg nach Minsk machen, seien Araber aus Bagdad oder Mosul, schildert Dolmy, aber vor allem viele Kurden. „Unter ihnen stammen viele von religiösen Minderheiten. Ganz häufig sind es Jesiden. Nachdem die Balkanroute geschlossen wurde, hat sich dieser Weg als alternative Route etabliert.“
Einer der Ausgangspunkte ist der kleine Ort Schiladze in den kurdischen Gebieten im Nordirak, unweit der türkischen Grenze. Der Ort mit seinen 40.000 Einwohnern ist eines der Schmuggelzentren in Richtung Belarus. Ein lokaler Schmuggler berichtete der Nachrichtenagentur Reuters im Oktober, dass er bereits 200 Menschen nach Minsk gebracht habe.
Viele seiner Verwandten und Freunde seien bereits weg, andere würden noch folgen, wird der lokale Friseur Abdullah Omar bei Reuters zitiert. „Die Menschen haben ihre Häuser oder Autos verkauft, um sich das leisten zu können“, erzählt er. Die gesamte Reise koste zwischen 6.000 und 10.000 Dollar, sagt Dolmy.
„Besonders betroffen“
Gründe, dem Irak den Rücken zu kehren, gebe es so viele wie Routen nach Minsk, meint Dolmy. „Da gibt es Instabilität, Arbeitslosigkeit, einen nicht funktionierenden Staat, keine Sicherheit und konfessionelle Konflikte. Ganz besonders sind religiöse Minderheiten betroffen. Sie werden jede Chance ergreifen, das Land zu verlassen.“
Letzte Woche allerdings informierte ein weiteres irakisches Reisebüro, Zahrat Al-Hayat, seine Kunden über neue Entscheidungen der Behörden in Belarus. „Unter 18-jährige bekommen kein Visum mehr für Belarus. Familien können also nicht reisen. Sie würden sich auch in Gefahr begeben. Diese Reise ist ermüdend und sie würden Gefahr laufen, Geld zu verlieren“, erklärt ein Mitarbeiter per Facebookvideo mit dem indirekten, aber eindeutigen Hinweis, dass die illegale Weiterreise schwer geworden ist.
Auch die irakische Regierung hat auf Druck der EU weiter reagiert. Die belarussischen Konsulate in Bagdad und Erbil sind am Samstag vorübergehend geschlossen worden. Am Montag dann kündigte Iraks Regierungschef Mustafa al-Kadhimi einen Notfallfond von 200.000 US-Dollar an. Damit, erklärte er, solle die Rückkehr von irakischen Staatbürgern organisiert werden, die bei eisigen Temperaturen an der polnischen Grenze feststecken.
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