Klimaschutz in Hamburg: Senat schwächelt beim Kohleausstieg
Der rekommunalisierte Versorger Wärme Hamburg verfehlt sein CO2-Reduktionsziel. Damit werde das Klimaschutzgesetz verletzt, sagen Umweltverbände.
Die Hamburger Fernwärme ist nach dem Strom- und Gasnetz im September 2019 als letztes Versorgungsnetz rekommunalisiert worden. Ziel der Volksinitiative zur Rekommunalisierung war „eine sozial gerechte, klimaverträgliche und demokratisch kontrollierte Energieversorgung aus erneuerbaren Energien“.
Der Aspekt des Klimaschutzes wurde durch eine Einigung von Senat und Bürgerschaft mit der Initiative „Tschüss Kohle“ betont: Sie ließ sich auf einen Kohleausstieg erst 2030 ein; dafür schreibt das Hamburgische Klimaschutzgesetz vor, „den Einsatz von unmittelbar aus Stein- oder Braunkohle produzierter Wärme bereits vor Ablauf der in Satz 1 genannten Frist möglichst weitgehend zu vermeiden“.
Das habe Wärme Hamburg seit dem Rückkauf durch die Stadt aber versäumt, kritisieren der Umweltverband BUND, die Volksinitiative „Tschüss Kohle“ und die Genossenschaft Energienetz Hamburg. Sie verweisen auf die von den beiden relevanten Kraftwerken veröffentlichten Zahlen. Beide haben in den Jahren 2020 und 2021 bei der Stromproduktion sogar mehr Kohle verbrannt als 2019.
Ein langer Winter
Das sei ein durchaus valider Indikator, weil die beiden Kraftwerke Strom und Wärme produzierten und das Verhältnis zwischen Strom und Wärme übers Jahr gesehen konstant sei, sagt Matthias Ederhof von Energienetz Hamburg. Für das Kraftwerk Tiefstack gebe es gar keinen Plan, im laufenden Betrieb weniger Kohle zu verbrennen. Das Kraftwerk Wedel habe das selbst gesteckte Ziel, 2021 ein Fünftel weniger Kohle einzusetzen, verfehlt.
Wärme Hamburg räumt ein, sie werde das Ziel, 100.000 Tonnen CO2 gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2019 einzusparen, leider verfehlen. Ein langer Winter, der Brand eines Kraftwerks und stark gestiegene Brennstoffpreise hätten es unmöglich gemacht, das Ziel in diesem Jahr zu erreichen.
„Wärme Hamburg hat auf ein besseres Jahresergebnis verzichtet, um durch Verlagerungen von Wärme- und Stromlieferungen vom Heizkraftwerk Wedel auf die Gas- und Dampfturbinenanlage Tiefstack Einsparungen zu realisieren“, sagt Sprecherin Karen Kristina Hillmer. Damit habe Hamburg Wärme zusätzliche 2,5 Millionen Euro ausgegeben, um weniger Kohle einsetzen zu müssen.
Björn Marzahn, der Sprecher der zuständigen Behörde für Umwelt und Energie, argumentiert mit Blick auf die Haushalte: „Wir haben uns gemeinsam mit Wärme Hamburg entschieden, die stark erhöhten Gaspreise nicht auf die Kunden umzulegen, sondern haben eine saisonale Reduzierung der CO2-Ziele in Kauf genommen.“
Das Pariser Klimaziel im Blick behalten
Ederhof sieht das nochmal anders. „Die Kohleeinsparung darf nicht dem Gewinnstreben zum Opfer fallen“, findet er auch mit Blick auf das Gutachten. Im vergangenen Jahr hat Wärme Hamburg allerdings noch 22 Millionen Euro Miese erwirtschaftet. Das liege aber vor allem an den Kosten für das Herauslösen des Unternehmens aus dem Vattenfall-Konzern, heißt es im Geschäftsbericht. In Zukunft hoffen die Stadt und die Initiatoren des Volksentscheids auf Gewinne.
Die Gutachter von der Hamburger Kanzlei Günther ziehen aus der Analyse der Rechtslage den Schluss, dass der Senat die Wärme- und Stromproduktion aus den beiden Kraftwerken bis auf das „wirtschaftlich vertretbare Maß“ verringern müsse. Wo das liege, dürfe er nicht nur rein betriebswirtschaftlich herleiten, sondern er müsse das Pariser Klimaziel im Blick behalten.
Der Senat müsse laufend technisch und wirtschaftlich prüfen, wie weniger Kohle eingesetzt werden könnte, und Wärme Hamburg verbindliche Vorgaben zur Dekarbonisierung beider Kraftwerke machen und diese veröffentlichen.
„Wenn Wärme Hamburg uns allen gehört, dann müssen wir auch alle gemeinsam entscheiden, was uns der Klimaschutz wert ist“, sagt Ederhof. „Bislang wird das weder transparent gemacht noch diskutiert.“ Das Unternehmen dürfe dies nicht alleine entscheiden.
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