Aktivistin über Bürgergeld-Pläne: „Neue Worte für das Gleiche“
Wird das „Bürgergeld“ der Ampelkoalition wirklich Hartz IV überwinden und Verbesserungen bringen? Sozialaktivistin Helena Steinhaus ist skeptisch.
taz: Frau Steinhaus, Ihr Verein „Sanktionsfrei“ kämpft seit Jahren für die Abschaffung von Hartz-IV-Sanktionen und unterstützt Betroffene. Die neue Bundesregierung plant nun zumindest ein zwölfmonatiges Moratorium. Haben Sie Ihr Ziel nun erreicht?
Helena Steinhaus: Moratorium heißt ja nur, dass die Sanktionen temporär ausgesetzt werden. Unser Ziel ist deren Abschaffung, um Hartz IV zu einer echten Grundsicherung zu machen.
Sie gehen nicht davon aus, dass das Moratorium zu einer dauerhaften Abkehr von Kürzungen des Regelbedarfs – etwa bei verpassten Terminen beim Jobcenter – führt?
Leider nicht, das Moratorium ist ein Zeichen dafür, dass man sich in den Koalitionsverhandlungen eben nicht auf eine Abschaffung einigen konnte. Die Grünen wollen Sanktionen abschaffen, die FDP nicht, und die SPD … da weiß man eigentlich gar nicht so genau, ob die eine Position haben.
34, hat 2015 „Sanktionsfrei“ gegründet und setzt sich für eine bedingungslose Grundsicherung ein.
Aber ein Jahr ohne Sanktionen heißt doch zumindest, dass Hartz-IV-Betroffene sich ein Jahr lang keine Sorgen um Kürzungen machen müssen. Was bedeutet das für Ihre Kunden?
Es bedeutet weniger, als man im ersten Moment denkt. Auch jetzt übernehmen wir sehr viele Fälle, die mit Sanktionen im engeren Sinne eigentlich nichts zu tun haben, die sich für Betroffene aber so anfühlen – zum Beispiel Kürzungen aufgrund der Verletzung von Mitwirkungspflichten, etwa, wenn man angefragte Auskünfte zu den eigenen Lebensverhältnissen nicht erteilt hat. Der Regelsatz kann eben nicht nur über den Sanktionsparagrafen angetastet werden.
Welche Möglichkeiten gibt es sonst?
2019 hat das Bundesverfassungsgericht 100-Prozent-Sanktionen verboten, also den kompletten Entzug aller Leistungen. Mein Eindruck und der Eindruck von befreundeten Anwälten ist: Man sanktioniert durch die Hintertür, indem man zum Beispiel Bescheide nicht bearbeitet oder Weiterbewilligungsanträgen nicht stattgibt. Der Effekt bleibt: Menschen wird die Lebensgrundlage entzogen.
Ein Argument für Sanktionen ist ja, dass man ohne dieses Instrument Arbeitslose nicht mehr dazu bewegen kann, an der Arbeitsvermittlung mitzuwirken. Garantiert Sanktionsfreiheit ein Leben in der „sozialen Hängematte“?
Ja, das ist immer die große Sorge, dass es eine Art Freifahrtschein zur Ausbeutung unseres Sozialsystems gäbe. Tatsächlich gibt es dafür keine Belege. Die meisten Menschen wollen arbeiten.
Dennoch gibt es knapp eine Million Langzeitarbeitslose.
Natürlich gibt es Situationen, in denen man zeitweise oder auch längerfristig nicht arbeiten kann – und es gibt Umstände, die arbeiten nicht attraktiv machen. Wenn man Arbeit bekommt, mit der man schlechter dasteht als mit Hartz IV – dann müssen sich eben die Arbeitsbedingungen und die Löhne verbessern. Das Argument, dass Sanktionen als „Motivation“ wirken, ist nicht nachweisbar. Menschen, die aufgrund von Sanktionen Jobs angenommen haben, landen häufig wieder im Bezug. Es gibt einen Drehtüreffekt.
Die SPD, die Hartz IV vor 18 Jahren durchsetzte, spricht nun von einem „Bürgergeld“. Ist die Neuregelung wirklich eine Abkehr von den Schröder’schen Reformen?
Nein, eine Abkehr hieße: Der Regelsatz muss erhöht, die Sanktionen müssen abgeschafft werden, das ist ganz wichtig. Die Menschen dürfen nicht in der Armutsfalle feststecken. Und man muss mit ihnen auf Augenhöhe sprechen. Es muss einen echten Paradigmenwechsel geben. Stattdessen gibt es neue Begriffe. Anstelle einer „Eingliederungsvereinbarung“ gibt es jetzt eine „Teilhabevereinbarung“. Für mich sind das neue Worte für das Gleiche. Bisher klingt das für mich nicht besonders vielversprechend.
Gibt es denn gar nichts Positives? Zum Beispiel soll es ja jetzt einen Vorrang von Qualifizierungsmaßnahmen vor Vermittlung geben.
Das ist in der Tat positiv. Aber ich will sehen, ob das wirklich umgesetzt wird. Auch die Erhöhung des Schonvermögens und der Zuverdienstgrenzen ist schön. Aber bei beiden Vorhaben fehlt eine konkrete Zahl. Ein weiterer Fortschritt ist, die Löhne von Jugendlichen nicht mehr anzurechnen. Wenn das so kommt, ist das ein Schritt in die richtige Richtung.
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