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Journalist über Arbeit in Afghanistan„Es ist eine harte Zeit“

Der Journalismus hat sich seit der Machtübernahme der Taliban verändert. Viele Journalisten schreiben anonym aus dem Exil, sagt Samidullah Mahdi.

Journalisten in Afghanistan arbeiten unter harten Bedingungen Foto: Los Angeles Times/Marcus Yam
Interview von Lisa Schneider

taz am wochenende: Herr Mahdi, Sie haben PAYK Media, ein Zentrum für investigativen Journalismus in Afghanistan, mitgegründet. Die Taliban haben die Macht ergriffen, PAYK publiziert trotzdem weiter. Wie arbeiten Sie gerade?

Samidullah Mahdi: Unser Büro in Kabul mussten wir schließen. Aber unsere Reporter recherchieren trotzdem weiter, in verschiedenen Teilen des Landes. Sie senden uns ihre Artikel und wir veröffentlichen sie online, ohne ihre Namen. Unsere Reporter machen immer noch ihre Arbeit, prüfen Fakten, sprechen mit Informanten. Auskünfte von den Taliban zu bekommen ist aber sehr schwierig, sie sprechen nur selten mit den Medien. Vor allem, wenn das, was sie schreiben, nicht in ihrem Interesse ist. Für uns ist es eine harte Zeit.

Als PAYK 2011 entstand, lag die Machtübernahme der Taliban in weiter Ferne. Wie ging es den Medien damals?

Für uns als Medienschaffende war das die beste Zeit. Es gab wahnsinnig viel Hoffnung, es lag so viel Energie in der Luft. Als wir PAYK gegründet haben, waren wir das erste investigative Projekt in Afghanistan; diese Art des Journalismus war damals noch ganz neu. Seitdem ist der investigative Journalismus quasi erwachsen geworden, wir haben Hunderte Artikel publiziert. Dutzende Journalisten in allen Landesteilen haben für uns geschrieben und recherchiert.

Damals gab es eine richtige Medienrevolution: Die Medien wurden zu einer der einflussreichsten Institutionen des Landes. Wir als Journalisten waren stolz auf diese Verbesserung. Wir waren ein Beispiel für die umliegenden Länder, keiner unserer Nachbarn hatte das gleiche Niveau an Pressefreiheit oder Diversität in den Medien erreicht.

Haben die Menschen in Afghanistan den Medien vertraut?

Ja, das haben unabhängige Studien, etwa der Asia Foundation, bestätigt. Nur den Moscheen und religiösen Persönlichkeiten vertrauten die Afghanen und Afghaninnen noch mehr. Das bedeutet: Den Medien wurde mehr Vertrauen entgegengebracht als der Regierung und ihren verschiedenen Institutionen, sogar mehr als Nichtregierungsorganisationen. Man sieht daran, welch wichtige Rolle wir Journalisten gespielt haben.

Aber auch während dieser „Goldenen Zeit“ wurden immer wieder Journalisten getötet, in der Rangliste der Pressefreiheit kletterte Afghanistan nie höher als auf Platz 118 von 180.

Afghanistan ist eines der blutigsten Länder für Journalisten, ich haben viele meiner Kollegen über die Jahre verloren – 2018 wurden elf Journalisten an einem Tag ermordet, bei zwei verschiedenen Terrorattacken. Und 2016 haben wir sieben Kollegen an einem Tag verloren, dazu kamen mehr als ein Dutzend Verletzte. Es war nie einfach, wir standen immer unter dem Druck verschiedener Terrorgruppen. Sie haben uns bewusst angegriffen.

Die Taliban haben zum Beispiel 2015 Medien als „Militärziele“ definiert, und 2016 einen Anschlag auf Journalisten von ToloTV, einen privaten TV-Sender, verübt. Aber: Es gab zu dieser Zeit weder private noch staatliche Einschränkungen der Pressefreiheit. Manche Themen waren immer „tabu“, Religion zum Beispiel. Abgesehen davon: Weder im TV noch im Radio noch in Zeitungen gab es vor oder nach der Veröffentlichung irgendeine Art von Zensur, nicht einmal bei Stücken, die den Präsidenten selbst betrafen. Für ein Land wie Afghanistan ist das – auch im Vergleich zu unseren Nachbarn – einzigartig in seiner Geschichte.

Sie haben den Privatsender ToloTV erwähnt. Wie sieht die Medienlandschaft in Afghanistan aus?

Die Mehrheit der Bevölkerung bevorzugt private TV- und Radiosender. ToloTV ist seit zwanzig Jahren der Marktführer, sowohl für Entertainment als auch für Nachrichten. Einige private Sender sind im Besitz von sogenannten „Strong Men“ – mächtige Politiker, ehemalige Regierungsangestellte, frühere „Warlords“, wobei man dieses Wort vorsichtig gebrauchen sollte. Wir haben auch eine staatliche Rundfunkanstalt – Radio Television Afghanistan –, die sehr groß ist, aber leider auch sehr unpopulär. Der Marktanteil ist gering, nur etwa zwei bis drei Prozent. Dann gibt es noch internationale Medien, zum Beispiel Deutsche Welle oder Radio Free Europe.

Vor allem die beliebten privaten Medien haben unter der Machtübernahme der Taliban gelitten. Über 150 mussten den Betrieb einstellen. Und vor allem staatliche Medien publizieren, was die Taliban ihnen vorsetzen, oder werden zumindest von ihnen beeinflusst. Auch bei privaten Sendern gibt es kaum mehr kritische Berichterstattung über die Taliban. Ein Beispiel: Mehrere Sender hatten die Taliban als „Regierung“ bezeichnet. Die Taliban haben sie daraufhin gezwungen, sie stattdessen „Islamisches Emirat Afghanistan“ zu nennen, obwohl keine andere Regierung der Welt diesen Titel anerkannt hat. Sie versuchen, sich so Legitimation zu verschaffen.

Wenn Sie sich zurückerinnern an die Jahre 1996 bis 2001, als die Taliban schon einmal von Kabul aus regierten: Lässt sich ihr damaliges Verhalten mit dem heutigen vergleichen?

Die Taliban sind nur zu denen freundlich, die ihre Meinung teilen. Sie wollen eine Gesellschaft, die nur ein Gesicht, eine Stimme, eine Farbe hat. Sie waren schon immer gegen jegliche Vielfalt. In den 1990ern gab es nur einen TV-Sender in Afghanistan, der vom Staat betrieben wurde, den haben die Taliban sofort dichtgemacht. Denn jede Art von Bild war in ihrer Interpretation des Islam verboten.

Heute nutzen sie selbst diese Medien, aber: Seit der Machtübernahme gibt es im staatlichen Fernsehen keine Reporterinnen oder Moderatorinnen mehr. Noch treten bei den privaten Sendern Frauen auf, aber deutlich weniger. Die verbliebenen Journalisten und Journalistinnen arbeiten unter extremer Zensur und schwierigen Bedingungen. Viele wurden von den Taliban verhaftet, gefoltert, entführt und getötet. Die Erfahrensten haben das Land bereits verlassen.

privat
Im Interview: Samidullah Mahdi

ist investigativer Journalist und forscht am Shorenstein Center der Uni Harvard. Seit der Machtergreifung der Taliban lebt er mit seiner Familie im türkischen Exil.

So wie Sie.

So wie ich, ja. Denn die grundsätzliche Einstellung der Taliban gegenüber den Medien hat sich nicht verändert. Wir sehen immer wieder: Wenn es Demonstrationen auf den Straßen Kabuls gibt und Journalisten darüber berichten wollen, werden sie von den Taliban verprügelt. Erst vor zwei Wochen ist das wieder passiert, es gab viele Videos davon in den sozialen Medien.

Die Taliban sind mittlerweile auch auf Twitter.

Sie nutzen seit Jahren Netzwerke wie Twitter und Facebook und veröffentlichen dort ihre Propaganda. Zusätzlich nutzen sie jetzt auch traditionelle Medien für ihre Zwecke. Zwischen Propaganda und Fakten zu unterscheiden, wird so immer schwieriger. Denn Medien können diese Unterscheidung nicht mehr öffentlich treffen.

Die Taliban sind nicht die einzige Bedrohung für Journalisten. Auch die Terrororganisation IS-KP, ein Ableger des „Islamischen Staats“, geht brutal gegen sie vor.

IS-KP hat die abscheulichsten Anschläge der letzten Jahre für sich reklamiert, etwa den Mord an drei Journalistinnen im Frühjahr 2021. Aber ehrlich gesagt sehe ich kaum einen Unterschied zwischen ihnen und den Taliban, die in der Vergangenheit genauso vorgegangen sind.

In letzter Zeit sind die Angriffe der Taliban zurückgegangen, dafür sind die von IS-KP deutlich gestiegen. Manche, auch frühere Regierungsangestellte, glauben, dass es die Taliban selbst sind, unter dem Deckmantel von IS-KP. Denn unter der Bevölkerung waren die letzten Angriffe gegen Journalisten sehr unpopulär. Belege dafür gibt es aber bisher nicht.

Wie können wir die Medienschaffenden unterstützen?

Das ist eine sehr wichtige Frage. Erstens: Die internationale Presse muss weiter über Afghanistan berichten und vor allem über die Lage der Menschenrechte, Frauenrechte, Freiheitsrechte, alle Arten von Rechten. Zweitens: Viele afghanische Journalisten und Journalistinnen mussten das Land verlassen. Aber sie möchten trotzdem weiter in ihrem Beruf arbeiten. Manche gründen Start-ups, bauen Exilmedien auf. Sie zu unterstützen, ist wichtig.

Drittens: Internationale Medien würden stark davon profitieren, afghanische Journalisten und Journalistinnen einzustellen. Sie sind erfahren, kennen das Land aus ihrer eigenen Erfahrung, haben Kontakte. Gerade Berichte über Afghanistan hätten so mehr Tiefe. Auch die, die noch in Afghanistan sind, möchten publizieren, aber nicht unter ihrem Namen. Sie könnten mit Medienschaffenden im Exil zusammenarbeiten und so weiter berichten, was in Afghanistan passiert. Ich wünsche mir, dass wir als Journalisten unser Volk weiterhin mit objektiven und unabhängigen Informationen versorgen können. Und dass ich eines Tages zurückkehren kann, um mein Land zurückzufordern.

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