Impfung gegen Malaria: Mangelndes Interesse
Während Vakzine gegen Corona schnell verfügbar waren, dauerte es bei Malaria Jahrzehnte. Das liegt neben Geld auch der Krankheit selbst.
Die Welt, könnte man meinen, hat in den letzten eineinhalb Jahren viel über Impfungen gelernt. Sie lernte, dass sich Vakzine selbst gegen einen unbekannten Erreger schnell entwickeln lassen. Sie erfuhr, wie mächtig neue Technologien darin sind, Immunisierungen mit hoher Wirksamkeit hervorzubringen. Und sie sah, welch geringe Rolle Geld offenbar spielen kann, wenn Millionen Menschenleben auf dem Spiel stehen.
Als die Weltgesundheitsorganisation WHO vor wenigen Tagen einen Durchbruch im Kampf gegen die von Parasiten verursachte Malaria verkündete, ging es um einen Impfstoff, der damit wenig gemein hat. Er wurde nicht über eineinhalb Jahre, sondern über dreieinhalb Jahrzehnte entwickelt. Die zugrundeliegende Technologie ist fast veraltet, die Wirksamkeit schlecht. Und dennoch: RTS,S/AS01 oder auch Mosquirix gilt als Meilenstein. Das Vakzin wurde schon vor sechs Jahren in Europa zugelassen und soll laut Empfehlung der WHO bald für alle Kinder in Gebieten mit mittlerem und hohen Malariarisiko verfügbar sein.
Peter Kremsner, Parasitologe
Erteilen auch die Länder des südlichen Afrika bald eine Zulassung, könnte RTS,S ein knappes Drittel der schweren Malariaverläufe – nicht der Infektionen – von unter 5-jährigen verhindern. Damit ließen sich hochgerechnet 23.000, also knapp jeder zwölfte der jährlich etwa 270.000 Todesfälle in dieser Altersgruppe vermeiden. Vorausgesetzt, jedes Kind erhält mindestens drei, besser noch vier Dosen des Impfstoffs. Die Frage liegt nahe, ob ein Durchbruch nicht anders, nämlich hoffnungsvoller aussehen sollte.
Es ist nicht leicht, das Potential dieses jahrzehntealten, dürftig wirksamen und noch nicht mal billigen Vakzins gegen Malaria einzuschätzen. Schon die Krankheit ist eigen und lässt sich biologisch kaum mit einem Virus vergleichen. Und natürlich spielt Geld eine Rolle. Wenn in westlichen Industrieländern eine Pandemie ausbricht und Teile der Bevölkerung in Gefahr sind, steht davon viel zur Verfügung. Gerade für dringend benötigte Impfstoffe, denn die können in so einer Lage sehr lukrativ sein. Aber auch, weil ein Virus wie Sars-CoV-2 die westliche Wirtschaft generell gefährdet.
Corona gibt zu denken
„Was für Covid möglich war, wird es für die Malaria so nicht geben“, sagt Peter Kremsner, Parasitologe an der Universität Tübingen und Präsident des Centre de Recherches Médicales in Lambarene, Gabun. Kremsner ist seit vielen Jahren an den Studien zu RTS,S sowie anderen Impfstoffen beteiligt. Und Corona gibt dem Malariaforscher zu denken: „Nach nur eineinhalb Jahren haben wir weltweit 24 zugelassene Impfstoffe gegen Sars-CoV-2. Viele weitere Vakzine sind noch in der Entwicklung. Es ist völlig irre, was da möglich wurde, in so kurzer Zeit.“
An Malaria hingegen sei das Interesse nicht groß genug. „Insgesamt ist für die Forschung zu Malaria-Impfstoffen in den vergangenen Jahrzehnten nicht ein Tausendstel der Mittel aufgewendet worden wie jetzt für die Covid-Impfungen“, sagt Kremsner. „Und die Stiftungen können etwas Vergleichbares nicht alleine stemmen.“
Stiftungen wie die Bill & Melinda Gates Foundation und Allianzen wie Gavi tragen einen großen Anteil der Kosten im Kampf gegen Malaria – sowohl in der Forschung als auch wenn neue Ansätze in die Bevölkerungen gebracht werden. Die verfügbaren Mittel sind jedoch begrenzt. Entsprechend wenige Kandidaten können gleichzeitig vorangebracht werden. Doch entscheidend im Kampf gegen die Malaria ist nicht Geld allein. Knackpunkt ist auch der Parasit selbst.
Anders als ein Virus dringen die Erreger der Malaria, die Plasmodien, nicht einfach in einen Organismus ein, vermehren sich, und ziehen dann in gleicher Gestalt ihres Weges. Plasmodien sind Einzeller, die sich in ihren zwei Wirten mehrfach wandeln. Was durch den Stich einer Mücke in die Blutbahn des Menschen gelangt, ist das jüngste Stadium dieses komplexen Kreislaufs: der Sporozoit. Kann er sich weiterentwickeln, entstehen erst in der Leber, dann in den roten Blutkörperchen weitere Stadien, bis hin zu geschlechtlichen Zellen. Die werden wieder auf Mücken übertragen und erzeugen dort neuen infektiösen Nachwuchs.
Eine beachtliche Genetik
Egal, an welcher Stelle seines äußerst komplexen Lebenszyklus man den Malariaerreger mit einer Impfung packen will, man wird mit einer beachtlichen Genetik konfrontiert. Das Erbgut von Plasmodien umfasst etwa 5.000 Gene, die nicht alle gleichzeitig aktiv sind, sondern je nach Entwicklungsstadium an- und ausgeschaltet werden und entsprechend unterschiedliche Eiweiße erzeugen. Viele dieser Eiweiße sind mögliche Angriffspunkte für das Immunsystem und damit auch für Impfungen. Doch nicht jedes dieser Ziele, die im Fachjargon auch Antigene genannt werden, ist gleich gut als Basis für eine Impfung geeignet.
„Antiparasitäre Impfstoffe sind in ihrer Entwicklung sehr komplex“, sagt Peter Kremsner. „Man hat es dabei eben nicht mit einem Micky-Maus-Virus zu tun, das nur ein paar Gene besitzt und bei dem sich alle Impfstoffe gegen das immer gleiche Ziel richten.“ Kremsner zufolge hat es in der inzwischen langen Historie der Malaria-Impfstoffforschung deshalb Dutzende Vakzine gegeben, die in der vorklinischen Entwicklung nach einem Volltreffer aussahen und – mit Ausnahme von RTS,S – in Tests am Menschen kläglich versagten. Die Gründe sind vielfältig. Kremsner hält die Tierversuche der vorklinischen Studien für nutzlos, weil sie das komplexe Zusammenspiel von Mensch und Parasit nicht abdecken. „Ich bin so weit zu sagen, dass wir auf Versuche an Mäusen in der Infektiologie und insbesondere in der Malariaforschung komplett verzichten sollten“, sagt er.
„Der Parasit hat viele Strategien entwickelt, um sich anzupassen und einer Immunantwort auch wieder ausweichen zu können“, sagt Michael Ramharter, Malaria-Experte am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg. Er forscht ebenfalls in Lambarene, war an den Studien zu RTS,S aber nicht beteiligt und ist auch nicht gerade enthusiastisch, was dessen Wirksamkeit betrifft. Er sieht trotzdem die Stärken: „Das Eiweiß des Parasiten, das in RTS,S genutzt wird, ist stark konserviert, also genetisch kaum veränderlich. Und es tritt in einem Stadium direkt nach der Infektion in Erscheinung, in dem eine Impfung eine Erkrankung noch verhindern kann.“
RTS,S schöpft diese Möglichkeit nicht aus, das haben Pilotprojekte an 800.000 Kindern in drei Ländern gezeigt. Sie sollten nach den klinischen Studien und der europäischen Zulassung sicherstellen, dass das Vakzin auch in der Realität funktioniert und sicher ist. Zuvor hatte es Hinweise gegeben, dass für Mädchen das Risiko für malariabedingter Hirnhautentzündungen etwas erhöht sein könnte. Die WHO-Empfehlung legt zumindest nahe, dass der Verdacht ausgeräumt wurde.
Auch Biontech im Rennen
Unabhängig davon bleibt die Frage, ob dem Impfstoff mit 30-prozentigem Schutz vor schwerer Erkrankung nicht möglichst bald ein besserer folgen muss. Kandidaten gibt es inzwischen einige, auch die gegen Covid so erfolgreichen Unternehmen Biontech und Moderna wollen mit ihrer mRNA-Technologie jetzt ins Rennen um ein wirksames Malariavakzin einsteigen.
Ramharter sieht darin durchaus Potential: „Mit mRNAs könnte man heute viel rascher neue Ansätze probieren, die Technik ist elegant und schnell“. Dennoch sei damit nicht ausgemacht, dass diese Impfstoffe dann auch besser wirken. „Zu Lebendimpfstoffen zum Beispiel gibt es jetzt tolle Studien, da erreicht so ein Vakzin volle Wirksamkeit in ersten Tests an Menschen. Aber in der Realität sieht man diese Wirkung dann meist doch nicht mehr.“
Dass RTS,S dazu ausreicht, Malaria auszurotten, glaubt auch Peter Kremsner nicht: „Nicht mit diesem Impfstoff. Dafür bräuchten wir ein Vakzin mit annähernd hundertprozentiger Wirksamkeit.“ Und weil das so bald nicht verfügbar sein wird, sind neue Medikamente nötiger denn je. Gegen die alten sind die Malaria-Erreger vielerorts bereits resistent. Zudem haben mehrere Studien gerade gezeigt, dass sich ausgerechnet in Afrika erste Resistenzen auch gegen moderne Therapien ausbreiten. „Wir sind in einer Situation, in der der gesamte Fortschritt der vergangenen 15 Jahre binnen ein, zwei Jahren wieder zunichte gemacht werden kann“, sagt Ramharter.
Man könnte daher meinen, dass aus den letzten eineinhalb Jahren noch etwas anderes zu lernen ist: wie privilegiert westliche Nationen mit ihren modernen Impfstoffen und medizinischen Möglichkeiten sind. Und wie schnell Erfolge im Kampf gegen eine Seuche verspielt werden können.
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