piwik no script img

Rückgabe-DiskussionDer Dino in der Politik

Ein Forschungsprojekt des Naturkundemuseums mit ­­ Wis­sen­schaft­le­r*in­nen aus Tansania hilft auch bei der Wiedergutmachung kolonialen Unrechts.

Agness Gidna, Paläontologin am Nationalmuseum Tansania, bei der Grabung Foto: Daniela Schwarz

Wem gehört der Dino Giraffatitan (Brachiosaurus) brancai, der im Hauptsaal des Museums für Naturkunde (MfN) steht? Das angeblich größte rekonstruierte Dino-Skelett der Welt ist seit Jahrzehnten eine der Haupt­attraktionen des Museums. Doch in der Diskussion um die kolonialen Kontexte hiesiger Museen gibt es immer wieder Stimmen, die seine Rückgabe an das Herkunftsland Tansania fordern. Denn die Fossilien wurden bei einer kolonialen Expedition 1909 bis 1913 im damaligen „Deutsch-Südost­afrika“ geborgen und nach Berlin verbracht.

Am Mittwoch nun hat das Museum erste Ergebnisse eines gemeinsamen Forschungsprojekts mit dem Nationalmuseum Tansania und der Universität von Daressalam am Herkunftsort des Dinos – dem Hügel Tendaguru in Südost-Tansania – vorgestellt. Die Funde seien „sensationell, allein schon aufgrund der schieren Masse“, erklärte Daniela Schwarz, Saurierspezialistin am MfN. Insgesamt wurden in wenigen Tagen mehr als eine Tonne Knochen geborgen. Große Extremitätenknochen (der größte über 1 Meter 40) seien dabei sowie zahlreiche Fragmente von Wirbeln, Rippen und Gürtelknochen.

„Ein Fund dieser Größenordnung war nicht zu erwarten“, sagt Schwarz, da das Gebiet in der Vergangenheit schon oft untersucht worden sei. Zwar seien die Funde nicht ausreichend, um einen weiteren kompletten Dino zu rekonstruieren, sagte sie auf taz-Nachfrage. Doch durch die Erkundungen am Boden sowie Luftaufnahmen sei man nun in der Lage, genaue Orte zu bestimmen, an denen sich weitere Grabungen lohnen würden.

Das Projekt mit dem Namen „Fossil Heritage in Tansania“ ist durchdrungen von der Idee, über wissenschaftliche Zusammenarbeit eine Art Wiedergutmachung kolonialen Unrechts zu erreichen. Eines der expliziten Ziele: das Potenzial des Gebietes um Tendaguru für neue Dinosaurierfunde, die in Tansania bleiben können, zu erkunden. Dabei geht es, auch wenn dies niemand offen ausspricht, natürlich auch darum, tansanischen Forderungen nach Rückgabe des berühmten „Berliner“ Dinos den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Bekanntermaßen sperrt sich MfN-Chef Johannes Vogel seit Jahren gegen solche Forderungen, vor allem mit dem Argument, die eigentliche Forschungsarbeit an den Fossilien sei damals in Deutschland geschehen. Gleichzeitig zeigt er sich offen für das Thema Kolonialismus in hiesigen Museen. „Das Museum ist der Diskussion über den kolonialen Kontext seiner Sammlungen sehr verbunden“, sagte er denn auch am Mittwoch. Man wolle Verantwortung übernehmen und arbeite daher schon lange eng mit Wissenschaftlern aus Herkunftsländern zusammen.

Es gab viele Expeditionen zu Kolonialzeiten, aber dies war die erste, die wirklich den Tansaniern gehört

Frank Masele, Archäologe

In der Tat scheinen die beteiligten tansanischen Wissenschaftler sehr zufrieden mit dem Dino-Projekt. Allein, dass die aktuelle Expedition unter Führung tansanischer Wissenschaftler stattgefunden habe und von ihnen koordiniert wurde, sei eine große Errungenschaft, so der Archäologe Frank Masele von der Universität der tansanischen Hauptstadt Daressalam. „Es gab viele Expeditionen zu Kolonialzeiten, aber dies war die erste, die wirklich den Tansaniern gehört. Es gab hier keine kolonialen Aspekte.“

Dazu gehört auch, dass dieses Mal die Funde im Land bleiben und an der Uni Daressalam präpariert und beforscht werden sollen. Die deutsche Seite würde dafür Hilfe anbieten, etwa bei der Ausbildung von Präparatoren, sagte Vogel; aber nur in Einzelfällen, wenn es notwendig wäre, würden Stücke nach Berlin gebracht. „Und auf jeden Fall gehen sie zurück ins Herkunftsland“, betonte er.

Dass dort die Erinnerungen an die koloniale Grabung vor über 100 Jahren weiterhin sehr gegenwärtig sind, brachte das „Fossil Heritage“-Projekt ebenfalls zutage. Neben der Fossi­liensuche wurden nämlich die BewohnerInnen von vier Dörfern rings um Tendaguru befragt.

Dazu erklärte der Historiker Musa Sadock von der Universität Daressalam: „Die aktuellen Bewohner erinnern sich an die Namen ihrer Vorfahren, die die Dinosaurier-Überreste ausgegraben haben, die von den Kolonisatoren mitgenommen wurden.“ Sie könnten auch die Route beschreiben, entlang deren ihre Vorfahren die insgesamt 200 Tonnen Knochenfunde seinerzeit bis zur Küstenstadt Lindi tragen mussten – immerhin rund 60 Kilometer. Bis heute würde „Tendaguru site“ zudem als „heiliger Ort“ angesehen, den man nur nach bestimmten Ritualen betreten dürfe.

Besonders betonte Sadock, dass sich die BewohnerInnen der Gegend einig seien, dass auch sie (endlich) von der berühmten Fundstätte profitieren wollen. Sie forderten den Bau eines Museums und wollten auch an Einnahmen durch Dino-Funde beteiligt werden, um Straßen, Elektrizität und Bildung finanzieren zu können. Allerdings gebe es Uneinigkeit darüber, wem die Grabungsstelle gehöre: „Jedes Dorf beansprucht den Besitz für sich“, so Sadock.

Uneinigkeit bestehe vor Ort auch in der Frage, ob der „Berliner Dino“ zurück an seinen Herkunftsort gehöre, sagte Sadock auf taz-Nachfrage. Manche würden dies in der Tat fordern, andere hingegen befürworteten, dass er in Berlin bleibt. „Aber Deutschland soll Geld geben“ für Straßenbau und Weiteres – dies habe er oft gehört, so der Historiker.

Auswärtiges Amt (AA) und MfN haben in der Vergangenheit immer wieder betont, es gebe gar kein offizielles Rückgabeersuchen der tansanischen Regierung

Auch die tansanischen WissenschaftlerInnen wussten auf die Frage, ob sich mit dem Projekt und der Aussicht auf weitere Dino-Funde die Forderungen nach Rückgabe des Dinos erledigen würden, keine Antwort. „Das ist harte Politik, das entscheiden unsere Bosse“, sagte Masele. Tatsächlich ist die Frage politisch offenbar heikel: Auswärtiges Amt (AA) und MfN haben in der Vergangenheit immer wieder betont, es gebe gar kein offizielles Rückgabeersuchen der tansanischen Regierung.

Der tansanische Botschafter in Berlin, Abdallah Possi, hatte aber genau dies im vorigen Jahr in deutschen Medien angekündigt. Und auch in Tansania selbst äußern vor allem WissenschaftlerInnen und Museumsleute Rückgabeforderungen – vom Berliner Dino wie von Kulturgütern gleichermaßen.

Ein wenig erinnert die Situation an die Diskussion um die Benin-Bronzen im vorigen Jahr: Damals hatte der Botschafter Nigerias, Yusuf Tuggar, immer wieder öffentlich die Forderung nach Rückgabe gestellt, während AA und betroffene ­deutsche Einrichtung, in diesem Fall die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, stets betonten, es gebe dazu nichts Offizielles von der Regierung Nigerias. Am Ende musste Deutschland trotzdem nachgeben und die Rückgabe der Bronzen zusagen: Zu groß war der öffentliche Druck und potenzielle Imageschaden nicht nur fürs Humboldt Forum, wo die Bronzen gezeigt werden soll(t)en, sondern ingesamt für Deutschlands internationalen Ruf.

Beim Dino liegt die Sache allerdings etwas anders: Eine breitere Debatte, ob er rechtmäßig hier ist oder nicht, gibt es bislang nicht – zumindest nicht in Deutschland. Dennoch ist das „Fossil Heritage“-Projekt weit mehr als ein Wissenschaftsprojekt, sondern „voller politischer Komponenten“, wie Vogel sagte. Deshalb wurde es mit 1,7 Mil­lio­nen Euro vom AA finanziert – und deshalb ist Vogel zuversichtlich, dass die Politik auch die Fortführung des Projekts – mit intensiveren Grabungen, die noch mehr Knochenfunde bringen sollen – bezahlen wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • 9G
    97287 (Profil gelöscht)

    Ich schlage einen Solidaritätsfond vor, zugunsten der ehemaligen Kolonialgebiete. Dieser Fond zahlt den ehemaligen Kolonien solange bedingungslos Geld aus, solange diese Länder besetzt waren. In den meisten Ländern dürfte dies nicht mehr als 30 Jahre dauern, in etwa solange wie nach der Wiedervereinigung. Im Anschluss können die anderen Kolonisatoren ( Großbritannien, Frankreich, Spanien, Portugal, Italien und vor allem Holland und Belgien übernehmen. Auch die Arabische Welt die ja an der Ausbeutung der Schwarzen maßgeblich beteiligt war muß sin die Pflicht genommen werden, insbesondere sämtliche Golfstaaten. In 50 Jahren wäre die Schuld dann getilgt und man könnte auf Augenhöhe kommunizieren. Die moralische Schuld wird natürlich bleiben, die kann man nicht abtragen.