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Die Sekte hat gesiegt. So einfach ist es. Es wurde erfolgreich ein neues Glaubensdogma errichtet, dem zu widersprechen zum Tabu gemacht wurde. Insofern ist bereits die Prämisse falsch, es gebe zwei Lager, die Brexit-Fans und die Brexit-Gegner. Sollte es solche noch geben - und laut Umfragen sollen sie gar inzwischen die Mehrheit der Bevölkerung stellen - sind sie doch vollständig abgetaucht, sie ducken sich weg vor der Hasskampagne der Brexiteers und fürchten, als Spielverderber gebrandmarkt zu werden, wenn sie am Brexit was zu mäkeln haben.
Davon, dass es zwei gleich starke Parteien gebe, kann gar keine Rede sein. Sonst könnte man auch behaupten, im Mittelalter seien die Kirchen und die Hexen gleich stark gewesen. Trotzdem hat eine der Gruppen obsiegt und die andere wurde vernichtet. Man hofft, natürlich, dass sich die Brexiteers ein wenig zurück halten mit dem Vernichten, aber bis ein ehrliches Fazit gezogen werden kann, muss die Generation Johnson ausgestorben sein. Die Labour Partei macht das Spiel mit, Starmer traut sich nicht, den Brexit anzuzweifeln, vielleicht tut er das nicht einmal, so macht er sich zum Gesellen der Gläubigen des heiligen Weltreichs Grossbritannien, zu Witzfigur und Helfershelfer, der offenbar die Chance zur Profilierung nicht sieht oder sie gar fürchtet. Insofern kann ich der Analyse auch nicht zustimmen, es gebe im UK eine grosse Koalition. Das mag oberflächlich betrachtet so aussehen. Mir scheint der Narr König zu sein und nicht einmal die Opposition, deren verdammte Pflicht es eigentlich wäre, ihn zu entlarven, ist bereit, das zu erkennen, sondern gibt sich mit der Rolle des königlichen Hanswurstes zufrieden. Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet dann, wenn eine starke Opposition gefragt wäre, sich diese als Wackelpudding erweist.
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Tories und Labour in Großbritannien: Die heimliche Große Koalition
Die Parteitage in Großbritannien haben gezeigt: Tories und Labour arbeiten de facto zusammen. Was unterscheidet beide Seiten eigentlich noch?
Mitglieder des Schattenkabinetts klatschen auf dem Jahreskongress der Labour-Partei Foto: Henry Nicholls/Reuters
Es gibt zwei Zerrbilder der aktuellen Lage Großbritanniens. Die eine malt das Land in einer endlosen Krise: erst die negativen Folgen des Brexit, dann die Verwüstungen durch Corona, jetzt eine Versorgungskrise, in der Isolation und Inkompetenz sich gegenseitig verschärfen. Die andere entwirft ein Land in leuchtenden Farben, das Brexit und Corona erfolgreich gemeistert hat, das jetzt globale Herausforderungen angeht, und wo auf Grundlage zeitloser Werte eine neue Ära von Wohlstand und Fortschritt vor der Tür steht.
Das erste Zerrbild ist das vieler Regierungsgegner in Großbritannien und wird auch in deutschen Medien gern gepflegt. Das zweite Zerrbild ist das der Regierung von Boris Johnson.
Auf die Frage, welches dieser Bilder stimmt, lautet die kurze Antwort: Keines davon. Die aktuelle Versorgungskrise könnte Vorbote einer Wirtschaftskrise sein, und es kommen viele aktuelle Unsicherheiten zusammen. Ob die Regierung darauf die richtigen Antworten findet, lässt sich noch nicht abschließend sagen.
Die interessantere Frage ist aber ohnehin, was aus dem Vorhandensein zweier so diametral entgegengesetzter Sichtweisen folgt. Und darauf ist die Antwort ein Paradox. Denn der große Showdown zwischen Brexit-Fans und Brexit-Gegnern, zwischen Johnsons Regierung und der Opposition will sich einfach nicht einstellen. Das haben die beiden Jahresparteitage von Konservativen und Labour in den letzten beiden Wochen, die ersten seit Corona und die ersten seit Johnsons Wahlsieg, gezeigt.
Die beiden Parteiführer Keir Starmer und Boris Johnson könnten im Naturell unterschiedlicher kaum sein: Hier der Entertainer, dort der Grabredner. Aber was trennt sie denn inhaltlich? Beide wollen einen aktiven, starken Staat, beide betonen den Wert von Arbeit und Patriotismus, beide berufen sich auf das Erbe Tony Blairs.
Wenn Starmer auf Johnsons Wahlkampfparole „Get Brexit Done“ von 2019 jetzt mit der Forderung „Make Brexit Work“ entgegnet, zieht er einen Schlussstrich unter das wichtigste Streitthema der Vergangenheit. Wenn Labour den Tories eine zu lasche Verbrechensbekämpfung vorwirft und Boris Johnson Unternehmen zu höheren Löhnen auffordert, verwischen sich politische Unterschiede bis zur Unkenntlichkeit.
Großbritannien entdeckt die faktische Große Koalition just in dem Moment, in dem Deutschland sich davon verabschiedet. Und der neue London-Konsens spielt in dem Rahmen, den Boris Johnson definiert hat. Man kann das schrecklich finden oder gut. Aber so oder so ist es die Realität.
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Kommentar von
Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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