: Alles nur ein Bagatelldelikt
Der Film zum Thema: Ladri di Bicciclette, zu deutsch Fahrraddiebe wurde 1948 von Vittorio de Sica gedreht. Er gilt als das Meisterwerk des italienischen Neorealismus. Sehr unsentimental erzählt er die Geschichte eines Arbeitslosen, dem das Fahrrad geklaut wird. Das bräuchte der Mann aber, um seinen Job als Plakat-Ankleber in Rom wahrzunehmen. Begleitet von seinem Sohn durchstreift er die Stadt auf der Suche nach den Dieben – vergeblich. Die böse Pointe: Zum Schluss klaut er selbst ein Rad.
412.097 Fahrraddiebstähle wurden laut Kriminalstatistik im vergangenen Jahr bundesweit angezeigt, siebenmal so viele wie Autodiebstähle. In den wenigsten Fällen bekommen die Geschädigten ihr Eigentum zurück. Allein die Hausratversicherungen kostete das vermeintliche Bagatelldelikt 2003 rund 110 Millionen Euro, schätzt der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft – spezielle Fahrradversicherungen nicht inbegriffen. Okay, Autodiebstahl kostet mehr als doppelt so viel. Allerdings gibt es auch eine große Zahl unversicherter Räder.
„Das Thema wird einfach nicht richtig ernst genommen“, klagt Bettina Cibulski vom ADFC. „Das gilt immer noch als Bagatelle.“ Dabei sind die Zeiten längst vorbei, als man seine Drahtesel noch aus der Portokasse bezahlen konnte: Bis zu 1.500 Euro kosten gute Fahrräder, „und die“, so Cibulski, „hat man nicht mal eben so über“. Der ADFC appelliert deshalb an Städte und Firmen, sichere Abstellplätze einzurichten.
Gleichgültigkeit und Machtlosigkeit sind auch bei den Behörden im fahrradreichen Norden verbreitet. Beispiel Hamburg: Das Delikt Fahrraddiebstahl wird in der dortigen Kriminalstatistik gar nicht ausgewiesen, obwohl laut Polizeipressestelle im vergangenen Jahr täglich 38 Drahtesel als gestohlen gemeldet wurden. Ein Anti-Fahrradklau-Programm oder eine Spezialdienststelle? Fehlanzeige. Schuld sind nämlich die Besitzer: „In erster Linie“, so Polizeisprecherin Christiane Leven, „sind hier natürlich die Eigentümer der Räder gefordert.“ Natürlich!
Nur jeder 27. Fahrraddiebstahl wurde in Hamburg aufgeklärt – macht 3,7 Prozent. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 7 Prozent. Auch Bremen kann den nicht erreichen – 4 Prozent, und die Fahrraddiebstahl-Quote pro Einwohner liegt deutlich höher als in Hamburg: Täglich 26 einschlägige Anzeigen wurden 2004 registriert. Im vergangenen Sommer hat deshalb eine eigene Ermittlungsgruppe Fahrrad die Arbeit aufgenommen. Vorbild dafür: Oldenburg und Braunschweig. Die Städte konnten ihre Aufklärungsquote durch Fahrrad-Kommissare immerhin auf 10 und sogar 14 Prozent heben. Ein Großteil von ihnen, gibt Sascha Weiß, Sprecher der Polizei Oldenburg, zu bedenken, seien Jugendliche, „die den Fahrraddiebstahl als Einstieg in ihre kriminelle Karriere nutzen.“ Von organisierten Banden geht die Polizei nicht aus – allerdings haben geringe Aufklärungsquoten kaum Aussagekraft.
Zur Prävention wird das Übliche empfohlen: Radfahrer sollten Schlösser namhafter Hersteller benutzen. Als die sichersten gelten Bügelschlösser: Preisspanne zwischen 15 und 70 Euro. „Eine Geldkassette mit tausend Euro würden Sie ja auch nicht mit einem einfachen Schloss sichern“, vergleicht Jörg Pinski von der Polizei Hannover. Sinnvoll: Die Rahmennummer aufzubewahren und das Rad kostenlos bei der Polizei codieren zu lassen. Der Eigentumsnachweis sei ein „Riesenproblem“, so Pinski. Oft müsse man die mutmaßliche Hehler ziehen lassen, „obwohl jeder sieht, dass das Rad geklaut ist.
yvs/taz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen