Was gibt es da zu lachen?

Die SPD könnte nach langer Zeit wieder eine Wahl gewinnen, Olaf Scholz träumt sogar von Rot-Grün. Erinnerungen an das Jahr 1998 werden wach. Aber wie war das noch, damals?

Na dann Prost: Gerhard Schröder, Joschka Fischer und Oskar Lafontaine stoßen auf den Koalitionsvertrag an Foto: Roberto Pfeil/ap

„DieseSchlawiner“

taz: Herr Horn, woran erinnern Sie sich, wenn Sie an 1998 denken?

Guildo Horn: Ich erinnere mich an fröhliche Gesichter, bunte Bühnen, nach Bier duftende Garderoben, durchfeierte Nächte im Nightliner und schweißtropfende Reporter auf der Suche nach der heißen Investigativgeschichte.

Wissen Sie noch, wo Sie den Wahl­abend verbracht haben?

Wenn ich nicht mit meinen Orthopädischen Strümpfen auf Tour bin, verbringe ich jeden Wahlabend mit frisch lackierten Fußnägeln im Joggingdress auf der Kord-Couch.

Was haben Sie damals gedacht?

Aha, hab ich gedacht! Diese zwei Schlawiner. Mir waren die Herren Schröder und Fischer viel zu selbsttrunken.

Haben Sie Rot-Grün lieb?

Ich habe Menschen lieb und keine Parteien.

Wie erleben Sie den Wahlkampf?

Ich empfinde den Wahlkampf als verlogen. Die beiden Kandidaten der Groko wollen uns weismachen, dass sie mit den politischen Versäumnissen der letzten Jahre, zum Beispiel bei den Themen Umwelt, Digitalisierung, soziale Ungleichheit, Renten und Wirtschaftskriminalität, nichts zu tun haben. Ich finde das feige und unlauter! Machen wir es kurz: Obwohl ich nicht mit allem inhaltlich d’accord laufe, muss ein gestandenes Horn wie ich dieses Jahr erstmals in seinem mitteljungen Leben die Grünen wählen.

Freuen Sie sich schon auf HartzV und den nächsten Krieg in Afghanistan?

Ich freue mich drauf, endlich mal wieder unbeschwert meinem Beruf nachgehen und Konzerte spielen zu dürfen, und darauf, dass unsere Kinder hoffentlich bald wieder ohne Masken im Unterricht sitzen und gemeinsam unbeschwert auf dem Pausenhof spielen dürfen. Bei Themen wie Existenzminimum und Krieg habe ich keine Lust auf Ironie.

Wenn die SPD ein Comeback feiert, kommen Sie dann auch zurück?

Schauen wir mal auf die neuen Corona-Verordnungen. Jenseits davon war ich nie weg.

Interview: Julia Weinzierler

Deutscher Machtwechsel

Ein Auszug aus dem Leitartikel der taz vom 29. 9. 98, dem Dienstag nach der Bundestagswahl:

„Die Deutschen haben Kohl gestürzt, und es ist, als erschreckten sie ob dieser Ungeheuerlichkeit über sich selbst. Nur die Union scheint erleichtert zu sein, daß sie endlich die Regierungsverantwortung los ist und mit Rot-Grün einen Gegner hat, gegen den sie sich als Bürgerblock reorganisieren kann. Verunsicherte Sieger, frohe Verlierer. Ein deutscher Machtwechsel.

(…)

Denn wirtschafts- und sozialpolitisch wird es mit Schröder keine Experimente geben. Die SPD hat bereits durchblicken lassen, daß sie ihre ohnehin vagen Wahlkampfversprechen sanft zurücknehmen wird. Und die Grünen werden gegen den überragenden Wahlsieger Schröder keine fundamentale ökologische Umorientierung der Gesellschaft durchsetzen können.

Wird dies also die Fortsetzung der Kohl-Ära mit anderen Gesichtern? Nicht ganz. Daß Deutschland eine Mitte-links- Regierung bekommt, liegt im europäischen Trend. Auch die Deutschen wollen, wie Briten und Franzosen, einen gezähmten, sozial abgefederten Kapitalismus. Schröder scheint dies zu garantieren – auch dafür ist er gewählt worden. (…)“

Raus aus der Nato!

Ist es verantwortbar, dass eine Partei an die Regierung kommt, die nicht aus vollem Herzen zur Nato steht und dem Militärbündnis „bewaffnete Abenteuer“ vorwirft? Und nicht nur das! Die „langfristig angelegte antimilitaristische Strategie“ dieser Partei zielte „darauf ab, Militärbündnisse und nationale Armeen in eine gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsordnung aufzulösen“, war in deren Wahlprogramm zu lesen. Ungeheuerlich, oder? Aber so waren sie halt damals drauf, die Grünen.

Bei der SPD war es nicht viel anders. Erst im April ’98 hatte die Partei ihr altes Grundsatzprogramm überarbeitet. Das Kapitel zur Sicherheitspolitik blieb gleich: „Friedenspolitik muss die Vorherrschaft militärischer, bürokratischer und rüstungswirtschaftlicher Interessen brechen und Rüstungsproduktion in die Produktion ziviler Güter überführen“, war darin zu lesen. „Unser Ziel ist es, die Militärbündnisse durch eine europäische Friedensordnung abzulösen.“ Auch die SPD wollte perspektivisch die Nato auflösen.

Es ist dann anders gekommen. In ihrem Koalitionsvertrag legten SPD und Grüne ein Bekenntnis zur Nato ab. Mit der Teilnahme an der völker­rechtswidrigen „Operation Allied Force“ der Nato gegen Jugoslawien verantwortete die Regierung kein Jahr später den ersten Kriegseinsatz Deutschlands seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Pascal Beucker

Die grüne Wahlparty

Am Abend der Bundestagswahl ist es voll im Bonner Brückenforum. 2.000 Menschen sind zur Wahlparty gekommen, nicht alle finden Platz. Nur wer über eine Eintrittskarte verfügt, darf in die Halle. So warten viele wie bei einem Rockkonzert vor der Tür: „Noch eine Eintrittskarte übrig?“ Ein Getränkestand verkauft 0,3 Liter Bier für 4 Mark. „Wie? Hier muss man zahlen? Bei den anderen gibt’s das Bier für lau“, beschwert sich ein Pärchen.

In der Halle wird Rieslingsekt präferiert, Partylaune will allerdings nicht aufkommen. Das Wahlergebnis ist nicht berauschend, die Grünen hatten auf mehr gehofft. Aber der Regierungswechsel zum Greifen nahe! Das hebt dann doch die Stimmung. Schadenfroher Applaus brandet auf, als eine erste Prognose des ZDF über die Bildschirme flimmert, nach der die PDS möglicherweise nur zwei Berliner Direktmandate halten kann. Viele der Partygäste hoffen, dass sie aus dem Bundestag fliegt. Am Ende reicht es für die PDS – und für Rot-Grün.

Als Joschka Fischer gemeinsam mit den Parteivorsitzenden Jürgen Trittin und Gunda Röstel am späteren Abend die Wahlparty verlässt, haben sie noch einen Termin: Sie fahren zur niedersächsischen Landesvertretung, um sich mit der SPD-Troika Gerhard Schröder, Oskar Lafontaine und Rudolf Scharping zu einem ersten Sondierungsgespräch zu treffen. Pascal Beucker, Bonn

Das Jahr 1998 in der taz

Ein Jahr vor der Niederlage der Union sagten die einen: Ist doch fast egal, ob Schröder, damals schon als Autokanzler verrufen, Kanzler wird. Und die Grünen – sind doch gar nicht mehr links. Die anderen sahen es so: Würde die Union abgelöst, wäre Raum für Besserungspolitiken, etwa im Staatsangehörigenrecht, beim Abschied von der Kernkraft, bei der Homoehe. Die einen freuten sich auf die unruhige Zeit des Regierungswechsels, die anderen taten so, als sei das einerlei. Kalle Ruch, damals Geschäftsführer, fragte nur: „Werden die Grünen an der Regierung überhaupt noch ans Telefon gehen, ruft sie die kleine taz an?“ Er sollte recht geunkt haben: Die Grünen bevorzugten künftig andere Medien für ihre Verlautbarungen. In der taz gab es nur einen echten Hoffnungsträger, Christian Ströbele, erfolgreicher Direktmandateur für die Grünen in Kreuzberg, ewig aufrecht. Ansonsten: Skepsis, ein gewisser Mies-, besser Missmut, man hing an der Nadel des Adorno’schen Diktums, dass es kein wahres Leben im falschen gebe. Die Nacht der Wahl verbrachte die taz in Chronistenpflicht, aber der Sonntag wurde nicht als Festtag der Demokratie gefeiert, eher als ein leidenschaftsloses „Naja“.

Eigentlich schade: Im Vergleich mit heute war es ein fröhliches Jahr, aufbruchbereit jedenfalls außerhalb der linkssrevolutionären Perspektive. Jan Feddersen