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Spitzenpartie in WolfsburgSchönster Scheiß

Das hochklassige Spiel zwischen Wolfsburg und Gladbach berührt wirklich alle. Selbst den Verlierern aus Niedersachsen wird applaudiert.

In Ekstase: Joe Scally bejubelt seinen Treffer zum 3:1 für Mönchengladbach Foto: Fabian Bimmer/reuters

Wolfsburg taz | Auch das Fußballstadion wird immer mehr zu einem Ort, an dem man nicht ist, obwohl man dort ist. Weil das eigene Erleben zu reizlos scheint, kann man sich nicht mehr auf das Spiel konzentrieren und flieht ständig mit seinem Smartphone an andere Orte, um zu checken, was sonst so los ist und ob es woanders vielleicht aufregender ist.

Dieser Verlust, sich im Stadion zu spüren, wurde beim 1:3 des VfL Wolfsburg gegen Borussia Mönchengladbach spektakulär aufgehoben in einer Schlussviertelstunde, in der die Ordnung verloren ging und die großen Gefühle entstehen konnten. Es waren Minuten voller Intensität, beginnend mit dem Platzverweis des VfL-Innenverteidigers Maxence Lacroix (76.) wegen Foulspiels und dem daraus resultierenden Strafstoß, den Gladbachs Kapitän Lars Stindl (78.) verschoss.

Plötzlich stimmten all die abgegriffenen Standards der Sprache, der Rasen brennt, die Luft fühlt sich elektrisch an, es wird existenziell. Nicht im Sinne, dass man sterben würde oder seinen Arbeitsplatz verlieren, aber existenziell im Sinne, dass man plötzlich körperlich und emotional im Geschehen drin ist, dass man sich spürt, und zwar nicht als Teil der zuschauenden Masse, sondern als Teil des Spiels. Man lebt in diesen Minuten im Rhythmus eines hektischen Auf und Ab, des unbedingt vorn eins reinhauen wollen und im anderen Moment hinten eines reinkriegen können.

Wie man im Eishockey den Torwart rausnimmt, um vorn einen mehr zu haben, so stellte VfL-Trainer Mark van Bommel beim Stand von 1:2 hinten Roussillon und Arnold als letzte Verteidiger breit auf – und warf einen Mittelstürmer nach dem anderen in die Partie; zu Weghorst kamen Nmecha, Ginczek, sogar Brooks. In der kleinen Hoffnung, das nächste Tor könnte vorn fallen und nicht hinten, wie es wahrscheinlicher war.

Von größter Intensität

Tatsächlich hatten die Wölfe dann auch ein paar richtig gute Chancen, gleichzeitig drohte ihnen bei jedem Konter der endgültige K. o. Dann wurde auch noch Roussillon wegen Notbremse vom Platz gestellt, dann wurde das Rot zurückgenommen, dann hielt Sommer Waldschmidts platzierten 18-Meter-Schuss. Und in der 95. Minute foulte Arnold den davonstürmenden Scally schon gar nicht mehr, weil das nichts mehr gebracht hätte, und Schiedsrichter Willenborg pfiff nach dessen 1:3 auch gar nicht mehr an, weil das auch nichts mehr gebracht hätte. Danach waren alle platt, die unten auf dem Rasen, die oben auf den Tribünen, und irgendwann prasselte Beifall auf beide Teams herab. Es war nicht magisch, aber es war so intensiv, dass in dieser Zeit keiner ein Smartphone brauchte.

Mit etwas Abstand ist nun die analytische Frage, ob denn Wolfsburgs Superstart in die Saison (vier Siege) stark dem Spielplan geschuldet war, der ihnen Bochum, Hertha und Fürth beschert hatte. Die letzten fünf Spiele hat man nicht mehr gewonnen. Es ist offensichtlich, dass der verletzungsbedingte Verlust des Sechsers Xaver Schlager schwer zu verkraften ist, dadurch wird der Aufbau auf das Pass-Spiel von Maximilian Arnold reduziert, und es fehlt ein zentrales Moment beim dynamischen Umschalten.

Der VfL hat ja seinen Erfolg der Vorsaison (Platz 4) einem funktionierenden Umschaltfußball zu verdanken Damit kann man nicht mehr kommen, wenn man so früh 0:2 zurückliegt wie gegen Mönchengladbach (Embolo, 5., Hofmann, 7.). Ursache waren herausragende Aktionen des Borussen-Mittelstürmers Breel Embolo, aber auch ein Ausbruch von Schlampigkeit im Verteidigen, wie er beim Wolfsburger 1:3 in Hoffenheim letzte Woche erstmals auffällig geworden war.

„Am Anfang geben wir das Spiel weg, dann laufen wir diesen ersten Minuten hinterher“, sagte Mark van Bommel, und fand, „dass wir das gegen eine schlaue Kontermannschaft gar nicht so schlecht gemacht haben.“ Kann man so sehen, Gladbach war sehr gut, aber Wolfsburg hatte auch seine Chancen. Aber van Bommels Arbeitsauftrag, dem Team neben dem Umschaltspiel ein druckvolles Ballbesitzspiel beizubringen, endet derzeit noch dreißig Meter vor dem gegnerischen Tor.

Die besonderen Qualitäten der Einzelnen sind sichtbar, etwa die des Neuzugangs und Torschützen Luca Waldschmidt (24.), aber sie werden noch nicht zusammengebracht. Oder sie sind im Moment außer Betrieb wie im Falle des Torjägers Wout Weghorst. Aber auch wenn VfL-Leader Maximilian Arnold die Partie als „so ein Scheiß“ klassifizierte und das aus seiner Sicht verständlich ist, muss man als Fußballliebender sagen: So einen Scheiß gerne öfter!

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