Missbrauch in der Kirche: Entsolidarisiert euch!
Vor der zweiten Synodalversammlung muss gefragt werden: Wie weit kann ich gehen, um die katholische Kirche zu reformieren?
H eute beginnt in Frankfurt die zweite Versammlung des Synodalen Weges, des Reformprozesses der katholischen Kirche – und die Stimmung könnte kaum angespannter sein. Große Teile der Synodalversammlung kritisieren die päpstlichen Entscheidungen, den Hamburger Erzbischof Stefan Heße, den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, sowie die Weihbischöfe Dominikus Schwaderlapp und Ansgar Puff im Amt zu belassen. Alle außer Woelki hatten dem Papst ihren Rücktritt angeboten.
Es herrscht Erschütterung darüber, mit welcher Begründung der Papst die Rücktrittsgesuche abgelehnt hat. Die Tagesordnung mit 16 zu beratenden Texten der vier Arbeitsgruppen ist kaum leistbar – und all dies in dem Dilemma, bitter nötige Reformen auf den Weg zu bringen, aber eigentlich nicht mit Vertuschern zusammenarbeiten zu wollen.
Nach mehr als einem Jahr findet endlich die zweite Synodalversammlung statt, in der nun konkret zu diesen Texten Stellung bezogen werden kann. Doch bevor dies überhaupt möglich ist, ist es von enormer Relevanz, sich insgesamt zu positionieren. Stehe ich auf der Seite der Menschen – oder auf der Seite der Institution?
Wir jungen Teilnehmer*innen an der Synode haben diese Frage auf Transparente geschrieben, denn sie ist für unser Handeln zentral – und sie sollte es auch für die Bischöfe sein. Die Studien der vergangenen Jahre, zum Beispiel die MHG-Studie, haben deutlich aufgezeigt, welche Faktoren in unserer Kirche und ihren Strukturen geistigen und sexuellen Missbrauch fördern. Diesen Machtmissbrauch zu stoppen muss das höchste Ziel des Synodalen Wegs sein.
Fatales Zeichen des Papstes
Doch die Entscheidung des Papstes, Woelki im Amt zu lassen, ist hierbei ein fatales Zeichen, vor allem an jene, die noch daran geglaubt haben, dass Taten auch echte Konsequenzen folgen. Ein Erneuerungsprozess, die Übernahme von Verantwortung und ein Aufbrechen der Machtstrukturen werden hierdurch verhindert oder es wird gar erneute Vertuschung ermöglicht.
Aber wo ist der Aufschrei der Empörung darüber, dass die Ergebnisse von Gutachten in Bedenkzeit, der keine Konsequenzen folgen, und selbst gesetztem Neuanfang münden und die Beteuerung von Einsicht zu genügen scheint, um als Bischof weiterhin in einer Machtposition zu bleiben? Wo bleibt die Entsolidarisierung unter den Mitbrüdern? Wo sind die Bischöfe, die mutig aufstehen und sich für ihre Werte und dann eben auch gegen die Institution wenden? Bischöfe, die deutlich zeigen, dass es nicht die Worte eines Papstes braucht, um Verantwortung zu übernehmen. Menschen in dieser Kirche, die laut sagen, dass es in ihr keinen Raum für Menschenfeindlichkeit gibt.
Wie viel Wut können wir noch ertragen? Eine Bedenkzeit und eine brüderliche Aufforderung zur Einkehr an einen mächtigen Kardinal wie Woelki zu richten ist keine angemessene Reaktion. Immer wieder stilisieren sich Bischöfe – und mit ihnen ihre Kirche – zu Opfern. Doch es muss uns allen klar sein, dass die Kirche als Institution nicht das Bewahrenswerte ist, sondern die Menschen, die in dieser Kirche Heimat finden.
Es ist nicht meine Aufgabe, diese Kirche zu retten. Meine Aufgabe ist es, mutig diese Kirche zu erneuern, um sie zu einem sicheren Ort für alle zu machen. Als Bundesvorsitzende der Katholischen Landjugendbewegung, die seit ihrer Kindheit in der Jugendverbandsarbeit sozialisiert ist, habe ich glücklicherweise früh lernen dürfen, was es heißt, in einer Glaubensgemeinschaft verwurzelt zu sein, die Kritik als Zeichen der Liebe versteht. In meinem Jugendverband konnte ich meinen Glauben und meinen Demokratieanspruch miteinander verknüpfen.
Stärkende Erfahrungen
Mein Verband hat mir ein Fundament gegeben, das aus wundervollen Erinnerungen, Misserfolgen, die mich stärker gemacht haben, unvergesslichen Begegnungen und vor allem Vertrauen in mich selbst besteht. Ein tiefes Vertrauen darauf, dass ich einer Berufung folge und auf diesem Weg immer Menschen um mich herum habe, die mich inspirieren weiterzumachen.
Ich durfte gemeinsam mit anderen Menschen erfahren, was es bedeutet, aus dem Glauben heraus politisch aktiv zu sein, mich für die Umwelt einzusetzen, politische Beteiligung junger Menschen einzufordern – allesamt Erfahrungen, die mich stärker gemacht haben. Ich hatte immer auch weibliche Vorbilder, die mir gezeigt haben, dass Verantwortung übernehmen zu wollen nichts mit dem Geschlecht zu tun hat und dass Gleichberechtigung keine Maximalforderung ist. Unsere Posten sind paritätisch besetzt, auf Zeit gewählt und wir sind rechenschaftspflichtig.
Wir haben den Anspruch, diese Werte auch in unserer Kirche wiederzufinden, in einer Kirche, die an der konkreten Lebensrealität junger Menschen ansetzt. Das wird eine Hürde sein, die der Synodale Weg hoffentlich meistern wird: die Kirche wieder näher an die relevanten Themen zu rücken. Bedeutung zurückzugewinnen, indem die Kirche aus ihren Fehlern lernt, Schuld anerkennt, Machtstrukturen abbaut und den Menschen wieder in den Fokus nimmt.
Die Ereignisse der letzten Wochen haben leider deutlich gemacht, dass die Strategie der „Null Toleranz“ bezüglich des Missbrauchs und seiner Vertuschung, von der Papst Franziskus spricht, nicht ernst genommen wird.
Vor allem habe ich für mich allerdings auch gelernt, dass wir nicht auf Rom warten dürfen, wenn wir echte Reformen umsetzen möchten, die den Fokus des Synodalen Weges im Blick behalten. Noch bin ich unsicher, ob es sich lohnt, auf die Bischöfe zu warten, dass sie mutiger werden und nicht nur von Erschütterung und Unterbrechung sprechen, sondern sie in konstruktive und authentische Reformen umwandeln. Und zuletzt bleibt die Frage, wie weit wir gehen müssen, um die katholische Kirche zu erneuern, um unserem Glauben und unseren Werten treu zu bleiben.
Hinweis:
Dieser Artikel wurde korrigiert. In der ersten Version hieß es irrtümlich, auch Kardinal Woelki habe seinen Rücktritt angeboten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!