Bombige Begegnung in Berlin: „Irre gibt es überall“
In einem beschaulichen Viertel wird eine Bombe gefunden. Gäste eines Restaurants verfolgen die Bergung mit einem Gläschen Sekt.
D er Prager Platz befindet sich im CDU-Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Früher sprach man von „Wilmersdorfer Witwen“, inzwischen leben dort aber auch viele Unverheiratete und sogar einige Arme. Weil die meisten Straßen hohe Bäume und breite Vorgärten haben, leben dort zudem viele Kaninchen, Eichhörnchen, Amseln und Spatzen. Außerdem scheint das Grünflächenamt des Bezirks im Gegensatz zum Friedrichshain-Kreuzberger noch Ehrgeiz zu haben: Der verkehrsberuhigte Prager Platz mit Brunnen und Fontäne wird jedenfalls regelmäßig mit bunten Blumen bepflanzt.
Kürzlich gingen wir dort hungrig zum „Italiener“. Kaum hatten wir draußen Platz genommen, fuhr ein Polizeiwagen nach dem anderen vor und sperrte das gegenüberliegende Haus großräumig mit rotweißen Plastikbändern ab, danach standen die Polizist:innen müßig in der Gegend herum. Neben uns meinte jemand: „Die warten auf die Spusi, die Spurensicherung. Ich kenn mich da aus, weil ich keinen ‚Tatort‘ verpasse.“ Schließlich kam einer der Polizisten rüber. Er sprach mit dem Wirt, und der bat uns daraufhin, alles stehen und liegen zu lassen und 30 Meter weiter in der Prinzregentenstraße zu warten; wir säßen zu nah am Einsatzort.
Alle fügten sich. Der Wirt ließ uns erst von seinen Kellnern Gläser mit Sekt bringen und spielte dann den Verbindungsmann zur Polizei, um uns Neuigkeiten vom Einsatzort mitteilen zu können: Dort wartete man. Dann gesellte sich ein Polizist zu uns, der uns erst noch etwas weiter scheuchte, aber dann bereitwillig Auskunft gab: Am Haus sei ein Gegenstand gefunden worden, der eine Bombe sein könnte; zur Sicherheit sollten wir in gebührendem Abstand bleiben. Noch wisse man nichts Genaueres und warte auf den Sprengmeister.
Als der kam, breitete sich angespanntes Schweigen unter den mit Sektglas in der Hand stehenden Gästen aus. „Hoffentlich ist es keine Atombombe in Koffergröße“, meinte einer. Weil man ihn sofort der Panikmache bezichtigte, fügte er hinzu, dass er gerade ein Buch von einer CIA-Agentin gelesen habe, die in Bagdad hinter solchen Kofferbomben her war, die angeblich in Russland hergestellt werden. „Natürlich, die Russen wieder“, empörte sich ein Gast in Hörweite, der an seiner Aussprache erkennbar aus Russland stammte.
Schnelle und präzise Arbeit
Der Sprengmeister leistete anscheinend schnelle und gute Arbeit. Denn kurz darauf rollten die Einsatzkräfte das Absperrband ein, stiegen in ihre Autos und fuhren weg. Wir nahmen wieder Platz beim „Italiener“, einige Gäste waren inzwischen nach Hause gegangen. Obwohl sie noch nicht bezahlt hatten, war der Wirt zuversichtlich, dass sie am nächsten Tag wiederkämen: „Wir sind hier in Wilmersdorf, da geht es ehrlicher als anderswo in Berlin zu“, meinte er.
Als wir was zu Essen und Trinken bestellten, erzählte uns der Kellner, dass es sich bei der Bombe um eine Gasflasche mit Zeitschaltuhr gehandelt habe. Der Sprengmeister hätte sie „entschärft und dann im Auto mitgenommen“. Unser Gespräch am Tisch drehte sich dann um das Motiv: Was könnte es für einen Grund geben, das Mietshaus gegenüber in die Luft zu sprengen, außer dass es architektonisch missraten war? Aber vielleicht war es gar keine Bombe, sondern, wie so oft, falscher Alarm? Und die Zeitschaltuhr war bloß ein zur Gasflasche gehörender Druckmesser? Brauchte es nicht außerdem auch noch einen Zünder, um das Ding explodieren zu lassen?
Weil wir uns keinen Reim auf den Bombenalarm machen konnten, wechselten wir das Thema und sprachen über ältere Wilmersdorfer Männer und ihre jungen Frauen. Einige dieser Paare saßen an den Nebentischen. So weit wir das akustisch mitbekamen, machten sie sich Gedanken über den oder die Täter. Eine junge Frau fragte ihren Mann: „Wer kann denn so etwas Schreckliches planen und dann noch an unserem schönen Prager Platz?“ „Irre gibt’s überall“, erwiderte er.
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