Über patriarchalische Mobilität: Eine Huskymeute mitten in Berlin

Eine Kolumne über Karawanen und Schlittenhunde – und ein Berliner Pferdehotel. Helmut Höge schreibt über patriarchalische Mobilität.

Michael Ruopp fährt mit einem von Huskies gezogenen Schlitten durch die verschneite Landschaft auf der Schwäbischen Alb

Kein Sommer, nicht Berlin, aber passend zur Kolumne: Huskies auf der Schwäbischen Alb Foto: picture alliance/Thomas Warnack/dpa

Schon bei der kleinsten Karawane setzt sich die traditionelle Geschlechtertrennung durch: Ein Mann, möglichst mit Bart, geht mit dem Packpferd oder dem Leithund voran, die Frau geht mit Kind und Kegel hinterdrein. So kürzlich wieder geschehen, als kleine „nomadische Kriegsmaschine“ mit Kamel am Zügel, die auf dem Weg in die Hauptstadt bei Greifswald Quartier machte, was einen „nächtlichen Polizeieinsatz“ auslöste.

Man weiß nicht, wo das Kamel herkam, aber die Frau stammte aus Polen und der Mann aus Frankreich. „Sie nutzten nach eigenen Angaben das Kamel als Lastenträger auf ihrer Wanderung“, wie der Tagesspiegel aus Polizeiquellen erfuhr. Der Polizeisprecher in der Leitstelle Neubrandenburg verteidigte den Einsatz: „So ein Paar mit Kamel fällt hier auf, wir hatten schon mehrere Anrufe von besorgten Leuten.“

Unsere Hunderte Anrufe und Mails, gerichtet an verschiedenste Leitstellen in den letzten 20 Jahren, in denen wir sie anflehten, endlich einzuschreiten – bei den ganzen Burgen und Schlössern in Ostdeutschland, bevor die Nachfahren der einstigen Krautjunker sich auch noch diese letzten volkseigenen Lu­xus­immo­bi­lien unter den Nagel rissen –, lösten keinen einzigen Einsatz aus. Gegen deren Penetration des Ostraums war doch die nach Westen orientierte polnisch-französische Minikarawane wahrlich ein Witz.

Vor einiger Zeit war es ein norddeutsches Pärchen mit Eseln, das nach Sibirien wollte. Hinter Strausberg liefen ihm in einem Quartier die vier Esel weg, aber die beiden konnten sie wieder einfangen. Dennoch kann man sich fragen, ob Sibirien den Eseln guttun wird. Schon viele Nordwanderer – Polarforscher und solche, die es werden wollten – haben ihre „Expeditionen“ mit Ponys durchgeführt – statt mit Schlittenhunden. Alle scheiterten, die Pferdchen starben an Hunger und Kälte.

Schlittenhunde im Sommer

Der norwegische Polarforscher Roald Amundsen wollte einmal Eisbären vor seine Schlitten spannen, und Hagenbeck ließ schon mal ein Dutzend trainieren, aber dann kam der Deal doch nicht zustande, weil Hagenbecks Dompteur die Eisbären nicht mit in die Arktis begleiten wollte.

An der „Brandenburger Torheit“ hielt sich eine Weile lang ein Mann auf, der ein kleines Rudel Huskys und einen Schlitten dabeihatte – auch im Sommer. Vielleicht wartete er auf Schnee, um weiterzuziehen. Seine Hunde warteten ganz sicher darauf, denn es war ihnen zu heiß dort. Aber ich vermute eher, dass er mit seiner Husky­meute vereinsamt war und vorm Brandenburger Tor versuchte, mit anderen Vereinsamten und Touristen, die sich dort ebenfalls gerne aufhalten, in Kontakt zu kommen.

Man wird dort leicht in ein Gespräch über die „Mauertoten“ und die kommunistische „Diktatur“ verwickelt. Dem Schlittenmann fehlte eine Frau, um arktisch zu nomadisieren, auch auf sie mochte er an diesem immer wieder wie magisch „BRD-Regimekritiker“ anziehenden „Nicht-Ort“ (Marc Augé) hoffen.

Auch dem Bauer Emil Kort fehlte für eine echte Karawane eine Frau – seine Frau. Sie fand das Nomadisieren blöd und war zu Hause in Kampehl geblieben, einem Ortsteil von Neustadt (Dosse). Die Volkspolizei hatte ihrem Mann den Führerschein abgenommen, und um nicht im Dorf festgenagelt zu sein, spannte er eines seiner Pferde vor einen kleinen Wagen und fuhr über Land. Tagsüber kehrte er gerne in Dorfgasthäuser ein, abends bat er den erstbesten Pastor um einen Schlafplatz. Als er wieder in Kampehl war, schrieb er einen Reisebericht, den er Stefan Heym schickte. „Ich wusste gar nicht, dass es so viele Kneipen in der DDR gibt“, meinte der.

Mit Pferd und Esel auf Tour

Einmal wanderten eine Freundin und ich mit Pferd und Esel durch Norditalien, der Esel trug ihre Sachen, das Pferd meine, aber den Esel hielt sie nicht am Halfter, er lief frei – mal trabte er voran, mal blieb er zurück, guckte in jedes Café und in jeden Hausflur. Ich weiß nicht mehr, ob meine Freundin nomadenmäßig hinter mir ging, erinnere mich aber, dass sie Blasen an den Füßen hatte und kein Wort darüber verlor, was einen starken Eindruck auf mich machte. Wegen des unternehmungslustigen Esels mit wenig Gepäck auf dem Rücken war unsere Wanderung keine ordentliche Karawane, eher ein langer Spaziergang vom Brenner nach Arezzo.

Eine der interessantesten Berliner Schriftstellerinnen, Emine Sevgi Özdamar, die an der Volksbühne arbeitete und im Wedding wohnte, schrieb einen biografischen Roman mit dem Titel „Das Leben ist eine Karawanserei, hat zwei Türen, aus einer kam ich rein, aus der anderen ging ich raus“.

Im Charlottenburger Pferdehotel musste man seinen Gaul mit aufs Zimmer nehmen

Karawansereien sind institu­tio­nalisierte Raststätten für Nomaden. In Berlin gab es eine vier Stockwerke hohe, von der noch ein Foto existiert. Die Landesbildstelle hat das Gebäude „Pferdehotel“ genannt. Ähnlich wie heute das Nachwendewohnhaus in der Reichenberger Straße, in dem man sein Auto mit dem Fahrstuhl in seine Wohnung mitnehmen kann, musste man im Charlottenburger Pferdehotel 1910 seinen Gaul mit aufs Zimmer nehmen. Und es gab dort keine Doppelbetten, mitreisende Frauen waren also wohl nicht vorgesehen. Ohne sie ist man jedoch bloß ein blöder Reiter.

Neuerdings macht sich ein Forschungstrend bemerkbar, der die Karawanen bildenden Nomaden im Gegensatz zu den barbarischen Stadtstaaten als den wahren Hort der Zivilisation begreift. Das erhellt in gewisser Weise den barbarischen Polizeieinsatz in Vorpommern gegen ein Kamel.

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geb. 1947, arbeitet für die taz seit 1980, Regionalrecherchen, ostdeutsche Wirtschaft, seit 1988 kulturkritischer Kolumnist auf den Berliner Lokalseiten, ab 2002 Naturkritik.

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