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Leben ohne AufenthaltserlaubnisVon Duldung zu Duldung

Roma leben in Deutschland oft ohne Bleibeperspektive. Was das mit einem macht, zeigt die Geschichte von Tereza Adzovic aus Hamburg.

Tereza Adzovic auf einem Bauspielplatz in Hamburg. Sie hat Angst, dass ihr Sohn abgeschoben wird Foto: Miguel Ferraz

Hamburg taz | Als Dovani Ahmetovic seinen Pass wieder ausgehändigt bekam, war darin ein fetter Stempelabdruck: „Rückführung“. Das war um sechs Uhr morgens am 3. August bei Familie Ahmetovic zu Hause in Bahrenfeld. Die Be­am­t*in­nen nahmen den Familienvater direkt mit. Seine Frau, Tereza Adzovic, hatte die Be­am­t*in­nen gebeten, leise zu sein, um die Kinder nicht noch mehr zu ängstigen. Dann habe das Paar in der Küche noch eine letzte Zigarette geraucht und einen Kaffee zusammen getrunken, erzählt Adzovic. Von seinen Kindern durfte Ahmetovic sich nicht mehr verabschieden.

Tereza Adzovic sitzt auf einem Bauspielplatz in Bahrenfeld, sie hat einen Stapel Dokumente in der Hand und weiß, wie schon oft in ihrem Leben, nicht weiter. „Warum macht die Ausländerbehörde das?“, fragt die 46-Jährige. Neben ihr auf einem alten Sofa sitzen ein Erzieher und eine Sozialpädagogin, die auf dem Bauspielplatz arbeiten. Sie haben Kaffee, Wasser, Schokolade und Bananen auf einen kleinen, selbst gezimmerten Tisch gestellt. Aber Antworten haben sie nicht.

Adzovic ist Romni, sie wurde in Italien geboren und lebt seit zehn Jahren in Deutschland. Als sie jünger war, war sie immer auf der Durchreise, in Frankreich, Spanien, Portugal. „Mein Zuhause war die Straße“, sagt sie. Aber: „So ein Leben ist schwierig. Für meine Kinder will ich das nicht.“ Sie streckt ihr Gesicht in die spätsommerliche Sonne und überlegt kurz. Dann formuliert sie es um: „Ich lasse es für meine Kinder nicht zu.“

Vor über 20 Jahren kam Adzovic zum ersten Mal nach Deutschland. Im Krankenhaus Barmbek wurde ihr ältester Sohn Lukas geboren. Als er vier Jahre alt war, wurden er und sein Vater nach Montenegro abgeschoben. Adzovic packte ihre beiden kleinen Töchter ein und reiste hinterher, um Mann und Sohn zurückzuholen. 2011 waren sie wieder in Hamburg.

Der unsichere Aufenthaltsstatus wird vererbt

Geschichten wie die von Adzovic können in Deutschland viele Menschen erzählen, vor allem viele Roma. Ein Leben mit Kettenduldungen sei in der Community normal, sagt Victor von Doom vom Bundes-Roma-Verband: „Eine ganze Generation junger Roma bekommt den unsicheren Aufenthaltsstatus ihrer Eltern vererbt. Diese jungen Menschen sind faktische Inländer – aber sie werden über Jahre, gar Jahrzehnte nur ‚geduldet‘.“

Das Leben in permanenter Unsicherheit habe oft schwerwiegende psychische Folgen wie Schlaflosigkeit, Ängste, Konzentrations- und Lernschwierigkeiten. Unter diesen Bedingungen erfolgreich eine Schule abzuschließen, gelinge nur wenigen. Das Schulversagen werde dann wiederum als mangelnde Integration gewertet, die sich negativ auf die Aufenthaltsperspektiven auswirke. „So entsteht ein Teufelskreis“, sagt Von Doom. Der Bundes-Roma-Verband mit Sitz in Göttingen setzt sich seit Jahren für ein Bleiberecht für Roma in Deutschland ein.

In Montenegro, wo der Mann von Tereza Adzovic ist, könne es auch schön sein, sagt sie: „Wenn man Geld hat.“ Ihr Mann habe dort aber nichts: keine Wohnung, keine Verwandten, keine Freund*innen, keinen Job. Viele Roma lebten deshalb im Ghetto, sagt Adzovic. Die medizinische Versorgung sei katastrophal, ohne Geld bekomme man keine Impfung, Kinder würden zu Hause geboren, „wie vor 300 Jahren“, sagt sie. Seit ihr Mann weg ist, könne sie nicht schlafen, ihr Sohn Lukas auch nicht. Er hat als Einziger in der Familie nur eine Duldung, keinen richtigen Aufenthaltsstatus. Er rede kaum, sagt sie, sei depressiv und orientierungslos.

„Viele Kinder hier haben ähnliche Biografien und ähnliche Probleme“, sagt Philipp Zang, der als Erzieher auf dem Bauspielplatz arbeitet. Auf dem mit Gras und Büschen bewachsenen Grundstück stehen bunt angemalte Holzhütten, Klettergerüste und aus Brettern zusammengebastelte Unterstände. Der Vormittag ist die ruhigste Zeit des Tages, ab mittags kommen zwischen 30 und 80 Kinder dorthin. Viele von ihnen leben wie Familie Ahmetovic in den angrenzenden Sozialbauten, oft zu sechst in einer kleinen Wohnung.

Mein Zuhause war die Straße. So ein Leben ist schwierig. Für meine Kinder will ich das nicht. Ich lasse es für meine Kinder nicht zu

Tereza Advozic, Romni in Hamburg

Auf dem Bauspielplatz bekommen sie weder Hausaufgabenhilfe noch ein warmes Essen, dafür fehlen wie so oft in der offenen Kinder- und Jugendarbeit das Geld und die Kapazität. Aber sie können spielen, toben, die Probleme zu Hause für einen Nachmittag vergessen. Was sagt Zang ihnen, wenn sie wie Tereza Adzovic Fragen stellen, auf die es keine Antworten gibt? „Dass ich es nicht weiß“, sagt der Erzieher. „Und dass es nichts nützt, den Mut zu verlieren. Dass sie weiterkämpfen müssen.“

Suada Adzovic hat in ihrem Leben auch viel gekämpft, aber manchmal wollte sie sich vergiften oder von einer Brücke springen, sagt die 46-Jährige. Suada und Tereza sind Cousinen, auch sie wohnt in den heruntergekommenen Flüchtlingswohnungen nebenan, schon seit 18 Jahren. Als im Kosovo der Krieg ausbrach, versteckte Suada Adzovic sich mit ihren drei Kindern monatelang im Wald, bevor ihnen die Flucht gelang.

Immer nur die nächste Duldung – und Angst

In Hamburg lebte die Familie ein halbes Jahr lang auf dem berüchtigten Flüchtlingsschiff „Bibby Altona“. Nach drei Monaten wurde ihr damals 76-jähriger Vater nach Montenegro abgeschoben. „Einen Monat später war er tot“, sagt Suada Adzovic. Er sei auf einer Matratze auf der Straße gestorben. Sie bekam in Hamburg drei weitere Kinder, aber keinen Aufenthalt, auch nicht für die in Deutschland geborenen. „Immer nur Duldung, Duldung, Duldung“, sagt sie. „Und Angst.“

Angst hat Tereza Adzovic hauptsächlich um ihren Sohn Lukas. Er ist das einzige ihrer Kinder, das nicht auf den Bauspielplatz kommt. Als er 17 war, habe sie eine Ausbildung für ihn gesucht, erzählt Adzovic. Sie habe auch beim Arbeitsamt nachgefragt, aber immer habe es geheißen: „Tut mir leid, ohne Aufenthalt können wir ihn nicht nehmen.“ Eine Ausbildung könnte der Schlüssel zu einem Aufenthaltstitel in Deutschland sein. Aber vielen Betrieben ist es zu unsicher, jemanden zu beschäftigen, der vielleicht von heute auf morgen nicht mehr kommen kann.

Dovani Ahmetovic hat mit seiner Abschiebung eine Wiedereinreisesperre für drei Jahre bekommen. Dagegen will Tereza Adzovic mit einem Anwalt vorgehen. Woraus schöpft sie Hoffnung? Sie schließt die Augen, hält ihr Gesicht nochmal in die Herbstsonne und überlegt. Dann sagt sie: „Ich habe viele Länder gesehen und mich entschieden, hier zu leben. Ich will das für meine Kinder.“

Das ist zwar noch nicht unbedingt ein Hoffnungsschimmer, aber immerhin etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt.

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