piwik no script img

Karussell oder Camp

In Bremen konkurrieren Jahrmarkt und Klimaaktivismus um einen Platz am Rathaus

„Da kann kein vernünftiger Mensch etwas dagegen haben“

Rudolf Robrahn, Bremer Schaustellerverband

Von Benno Schirrmeister

Fünf Wochen noch, dann ist Bremer Freimarkt, der große auf der Bürgerweide – aber auch ein kleiner auf dem Marktplatz. Aber nicht auf dem Grasmarkt, so zumindest lautet die Auskunft des Wirtschaftsressorts. „Das Klimacamp verbleibt während des Kleinen Freimarkts auf der Fläche des Grasmarkts am Rathaus“, teilt Senatorin Kristina Vogts (Die Linke) Sprecher Christoph Sonnenberg auf Nachfrage mit. „Das Kinderkarussell, das dort vor Corona traditionell gestanden hat, wird auf dem Domshof aufgebaut.“

Bedauerlich findet das Rudolf Robrahn, der Vorsitzende des Bremer Schaustellerverbandes und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Bremer Märkte. „Der Bürgermeister hatte uns beim Besuch der Sommerwiese zugesagt, dass es keine Beeinträchtigung geben wird durch das Klimacamp – und jetzt gibt es doch eine.“ Dabei möchte er keinesfalls für einen Gegner der Dauerdemo gehalten werden. „Ich finde, das verdient Respekt, wenn sich junge Menschen so engagieren.“ Und: „Da kann kein vernünftiger Mensch etwas dagegen haben“, stellt Robrahn klar. An dem Standort sei das Camp aber „doch schon eine Beeinträchtigung“.

Bereits früher im Jahr hatte es den Wunsch gegeben, den Grasmarkt mit Fahrgeschäften zu bespielen – außer der Reihe, als Teil der Maßnahmen, um die City zu beleben. „Die drei, die da hätten stehen sollen, konnten nicht aufgebaut werden“, sagt Robrahn. Grund: die Mahnwache. „Das hat den Kollegen in dieser Zeit die Arbeit und die Erträge gekostet.“ Denn ja, der Standort gleich beim Rathaus sei ein guter. Und die Schausteller hat Corona sehr hart erwischt: „Wir waren alle zum Stillsitzen verdonnert“, sagt Robrahn.

Die Osterwiese 2020 – enfallen. Nach der Absage des durchgeplanten Freimarkts hatte man als Mini-Ausgabe einen coronakonformen „Freipark“ aufgebaut – der kurz nach der Eröffnung wieder dicht gemacht werden musste. Statt Osterwiese gab es einen Lockdown. Immerhin hat man sie im Sommer nachgeholt. Und jetzt soll der erprobte Standort auch beim wichtigsten Ereignis des Jahres wegfallen. „Und ich denke natürlich auch an den Weihnachtsmarkt“, so der Schausteller, der mit Fahrgeschäften wie dem „Frisbee“ Jahrmärkte in ganz Deutschland bespielt. Warum nicht für die Dauerdemo ein Alternativstandort gefunden werden könne, leuchte ihm nicht ein. Wobei er keine Räumung fordert. „Die halten sich ja an alle Vorschriften“, lobt er. „Ich komme da ja häufiger vorbei und das macht einen sehr zivilisierten Eindruck.“

Damit trifft er einen Punkt. Denn während im Senat offenbar schon so sehr die Fetzen zum Thema flogen, dass Regierungssprecher Christian Dohle die Frage, ob die Grasmarkt-Sondernutzung am Tag der Beschlussfassung im Kollegialorgan beraten worden sei, auf der Senatspressekonferenz rundheraus verneint, zeigen sich die Klima-Camper*innen kompromissbereit. Zwar haben sie plakatiert, sie würden bleiben, bis eine Politik auf den Weg gebracht ist, mit der das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken, noch erreichbar scheine – aber auf welchen Ort genau sich dieses Bleiben bezieht, in der Frage sind sie nach eigener Auskunft flexibel.

Ein Plenum am Dienstag hatte noch kein eindeutiges Votum erbracht. Immerhin läuft die Sondernutzungserlaubnis ja auch erst am 29. September aus – die dem Ordnungsamt hatte abgetrotzt werden müssen. „Aber die Tendenz geht klar dahin, nach der Bundestagswahl an einen anderen Standort auszuweichen“, sagte Paul-Nikos Günther der taz, also zwei Wochen vor Freimarktaufbau. Viel Gewalt gebe es zwischen Dom und Rathaus, erläutert Günther. Oft werde man attackiert. „Das ist hier ein wirklichlebensfeindlicher Ort“.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen