piwik no script img

Pflege-Anwälte im Interview„Die Arbeitgeber können blockieren“

Öffentliche Unternehmen kämpfen in Berlin heute mit denselben Mitteln wie private Firmen, so die Anwälte Daniel Weidmann und Benedikt Rüdesheim.

Streiken geht nur mit Notdienstvereinbarung: Kundgebung in Berlin im August 2021 Foto: dpa
Timm Kühn
Interview von Timm Kühn

taz: Herr Weidmann, Herr Rüdesheim, zum Streikauftakt der Berliner Krankenhausbewegung hat der kommunale Krankenhauskonzern Vivantes den Arbeitskampf seiner Beschäftigten durch zwei einstweilige Verfügungen kurzfristig verbieten lassen. Sie haben die Beschäftigten der Vivantes-Tochtergesellschaften vor dem Berliner Arbeitsgericht vertreten – wann dürfen Krankenhausbeschäftigte streiken – und wann nicht?

Daniel Weidmann: Das Streikrecht ist ein Grundrecht und Grundrechte gelten in Deutschland für alle Beschäftigten. Bei Streiks in Krankenhäusern muss aber auch etwa die Sicherheit der Pa­ti­en­t:in­nen gewährleistet sein. Deshalb werden bei Krankenhausstreiks Notdienstvereinbarungen getroffen, die die Versorgung sicherstellen.

Im Interview: Daniel Weidmann (43) und Benedikt Rüdesheim (33)

arbeiten als Fachanwälte für Arbeitsrecht in der Kanzlei dka Rechtsanwälte in Berlin, die Verdi im einstweiligen Verfügungsverfahren der Vivantes-Tochterunternehmen gegen Verdi vor dem Arbeitsgericht vertreten hat.

Wie wird so eine Vereinbarung getroffen?

Weidmann: Man muss jede Abteilung durcharbeiten. Es kommen weiter Kinder zur Welt, weshalb es Personal in den Kreißsälen braucht. Auch die Notaufnahme muss besetzt sein. Eine Nasen-OP kann dagegen auch mal verschoben werden. Notdienstvereinbarung bedeutet: Der Betrieb wird bis auf das unerlässliche Maß eingeschränkt.

Und wenn keine Einigung zustande kommt?

Benedikt Rüdesheim: Die Rechtsprechung ist da nicht einheitlich. In Berlin wurde ein Streik auch schon so lange untersagt, bis eine Notdienstvereinbarung getroffen wurde. Die Arbeitgeberseite kann dann natürlich einfach blockieren. Wir können nur spekulieren, ob dies auch die Strategie von Vivantes war.

Weidmann: Nach Auffassung der meisten Gerichte ist es in solchen Fällen aber Sache der Gewerkschaft, den Notdienst sicherzustellen. Andere Gerichte legen den Notdienst selbst fest. Das kann man aber alles nicht vernünftig erörtern, wenn ein Richter so etwas kurz vor dem Wochenende ohne mündliche Verhandlung entscheidet. So ist das aber geschehen, als der Streik in den Tochtergesellschaften vorläufig verboten wurde.

Rüdesheim: Es ist grundsätzlich schwierig, weil das Streikrecht nur im Grundgesetz, im Europarecht und in verschiedenen internationalen Abkommen geregelt ist. Darüber hinaus gibt es gar keine Gesetze. Alle Vorgaben gehen nicht aus Gesetzen, sondern aus der vergangenen Rechtsprechung hervor.

Weidmann: Weil im Grundgesetz nicht viel steht, mussten die Rich­te­r:in­nen kreativ sein und daraus ihre Schlüsse ziehen. So hat sich in Arbeitskampffragen bereits in den 1950er Jahren ein „Richterrecht“ herausgebildet, das leider auch durch die Nazivergangenheit und den vehementen Antikommunismus vieler Richter – Gendern ist hier unnötig – geprägt war. So hat sich in der frühen Bundesrepublik ein ausgesprochen restriktives Streikrecht entwickelt. Aber das nur am Rande. Notdienstarbeiten sind ja einleuchtend.

Mit welcher Begründung wollte Vivantes die Streiks verbieten?

Rüdesheim: Im Verfahren zu den Tochtergesellschaften hatte die Arbeitgeberseite sich beschwert, dass der von Verdi zugesicherte Notdienst nicht ausreiche. Das Gericht hat daraufhin gesagt, dass die Arbeitgeberseite selbst über den Notdienst entscheiden darf. Dagegen haben wir Widerspruch eingelegt, weil das, was Vivantes vorgelegt hat, in weiten Teilen der normalen Besetzung entsprochen hätte. Letztlich haben wir uns vor Gericht auf eine Notdienstvereinbarung geeinigt. Im Verfahren der Muttergesellschaft hatte das Gericht den Streik komplett untersagt, weil es der Meinung war, dass Verdi keinen Notdienst zugesichert hätte. Vor Gericht hat Verdi diese Zusage dann dargelegt. Das Gericht hat das eingesehen und den Streik erlaubt.

Die streikenden Krankenhausbeschäftigten sind ja sehr verantwortungsbewusst

Weidmann: Die streikenden Krankenhausbeschäftigten sind ja sehr verantwortungsbewusst. Für das Wohl der Pa­ti­en­t:in­nen zu kämpfen ist doch genau ihr Anliegen, hat oberste Priorität – auch ohne Notdienstvereinbarung.

Berichten zufolge mussten Charité-Beschäftigte ihre Streikteilnahme absagen, weil Betten und Stationen trotz vorheriger Streikankündigung nicht geräumt worden waren. Ist das legal?

Rüdesheim: Die Gewerkschaft kann zwar sagen: Während des Streiks kommen soundso viele Beschäftigte nicht. Wie aber ein Krankenhaus seinen Betrieb organisiert, bleibt Sache der Klinikleitung. Natürlich ist das moralische Erpressung, wenn Betten nicht geräumt werden. Justiziabel ist es aber wohl nicht.

Vor Gericht wurde auch erörtert, ob Verdi mit dem geforderten Tarifvertrag Entlastung – TV E – gegen die sogenannte Friedenspflicht verstößt. Was bedeutet das?

Weidmann: Wird ein Tarifvertrag abschlossen, soll auch erst einmal Ruhe sein. Vivantes hat jetzt gesagt, dass die Streikforderungen bereits im Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes geregelt seien. Verdi widerspricht. Da wir in diesem Verfahren nicht mandatiert sind, möchte ich mich dazu ungerne inhaltlich äußern. Merkwürdig ist die Chronologie der Ereignisse aber schon. Das Ultimatum der Beschäftigten lief 100 Tage, und dann reicht die Klinikleitung am letztmöglichsten Tag eine einstweilige Verfügung ein? Als Richter hätte ich gesagt: Das fällt Ihnen etwas spät ein.

Rüdesheim: Letztlich hat der Richter wohl auch genau das gesagt: Für ein einstweiliges Verfügungsverfahren müsste schon ein wirklich offensichtlicher Verstoß vorliegen. Den sehe er nicht, deshalb wurde der Streik auch erlaubt.

Weidmann: Ein Arbeitskampf ist eine ruppige Auseinandersetzung. Politisch interessant ist aber, dass öffentliche Unternehmen in Berlin heutzutage mit denselben Bandagen kämpfen wie ganz normale profitorientierte Unternehmen. Dabei wäre gerade von ihnen ein anderes Verhalten zu erwarten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!