Möglicher Ausgang der Bundestagswahl: Die Macht der Kleinsten
Was, wenn es Bergpartei, Team Todenhöfer und die Reformer in den Bundestag schaffen? Klar: Es kommt eine neue Groko. Ein Gedankenexperiment.
Wir schreiben den 10. Januar 2022. Am nebelverhangenen Montagmorgen herrscht im Reichstagsgebäude geschäftiges Treiben. An Tag 1 der ersten Sitzungswoche des Bundestages wird allerorts zusammengerückt. Sage und schreibe 17 Parteien, darunter selbstverständlich auch die FDP, und eine Parteiunabhängige aus Nordhessen, sind drin. „Jetzt müssen wir erst mal gucken“, so ein gechillter Vertreter von der HipHop-Partei Die Urbane. Nicht nur, dass der Bundestag durch massives Splittingverhalten von Zweitstimme-Grün-Erststimme-Union-Wähler mit Dritt-SUV und Viert-E-Auto auf nun 999 Abgeordnete anwächst.
Nein, unter anderem auch die Bergpartei, Team Todenhöfer und die dritte Neugründung von Bernd Lucke, die liberal-konservativen Reformer, schaffen es zusammen mit der wiedererstarkten SPD in das Gemäuer. Wie das? Na klar, die Vertreter:innen aus dem Rund der etwa 40 zur letzten Bundestagswahl zugelassenen Kleinstparteien haben allesamt Direktmandate geholt. Grund? „Immer individualisiertere Gesellschaft in Deutschland mit immer mehr Partikularinteressen“, so die abgekupferte (Achtung: Plagiat!) Auskunft von zig Meinungsforschern und meiner Bäckerin. Die anderen meist per Zweitstimme.
Oder gar nicht, so wie Armin Laschet. Der dreht ohne Wahlkreis im Aachener Dom Däumchen, weil im Rest NRWs die CDU ausgerechnet bei den Direktmandaten doch nicht so schlecht abgeschnitten hatte wie erwartet. Armer Armin.
Am 10. Januar 2022 steht seit drei Tagen der neue und sehr große Koalitionsvertrag zwischen der gerade so gewonnen habenden SPD (23,5 Prozent) und Friedrich Merz von der CDU (22,5 Prozent), der im Kabinett Scholzomat I, Vizekanzler für BWL/Krawatten wird. Nur schlappe 46 Prozent des Wahlvolkes hatten am 26. September 2021 für das ZweiundeinehalbeMaßBierParteiensystem aus CDU/Söder und SPD gestimmt, aber genau dadurch einem weiteren spaßbefreiten und ökologisch bremsenden Joint Venture die Garagentür geöffnet.
Denn die vielen Direktmandate der bei insgesamt 8 Prozent einfahrenden Kleinstparteien, auch Sonstige genannt, und das wieder mal am Wahltag plötzlich doch bescheidene Ergebnis der Grünen (9,9 Prozent) führen dazu, dass weder mit Christian Lindner, der erneut für seine FDP absagte, ein Staat zu machen ist, noch mit Angela Merkel, die sich per dritten Advent zum Stollenbacken zurückzieht. Ach ja: Ausgerechnet die Europäische Partei Liebe erbusselt kein Direktmandat. Für Brautkleid und Co bis zu 3.000 Euro muss also weiterhin nicht der Staat aufkommen. Was sagt eigentlich Schwiegermuttertraum Robert Habeck dazu?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Die Regierungskrise der Ampel
Schnelle Neuwahlen sind besser für alle
Bilanz der Ampel-Regierung
Das war die Ampel
Angriffe auf israelische Fans
Sie dachten, sie führen zum Fußball
Die Grünen nach dem Ampel-Aus
Grün und gerecht?
Kritik an der taz
Wer ist mal links gestartet und heute bürgerlich?
Regierungskrise in Deutschland
Ampel kaputt!