piwik no script img

Sonneborn und Latour über „Die Partei“„Stalin hätte das anders gesehen“

Alles nur ein Spaß? Parteichef Martin Sonneborn und seine Beraterin Claudia Latour über den Einzug der Realpolitik in das Satireprojekt „Die Partei“.

Martin Sonneborn beim Interview im Maschinenraum der taz Foto: André Wunstorf

taz: Fangen wir mal mit der Frage an, ohne die es dieser Tage nicht zu gehen scheint: Wie halten Sie es mit der Linkspartei?

Martin Sonneborn (MS): Im Prinzip eine gute Partei. Ich hab mich ein paar Mal mit Gregor Gysi getroffen, wir haben uns auf der Bühne unterhalten. Das ist dann verschriftlicht worden. Wir haben festgestellt, dass sich unsere Ansichten zu 95 Prozent decken.

Dann braucht es Die Partei ja gar nicht.

MS: Wir sind eine Partei, die junge Leute politisiert. Und viele junge Leute an Politik heranführt. In Ostdeutschland existieren Orte, da gibt es nach dem Ende der Jugendklubs dort oft nur noch zwei Identifikationsangebote für junge Leute: Nazis und Die Partei. Und andererseits – ich habe mal versucht vor dem Karl-Liebknecht-Haus …

der Parteizentrale der Linken in Berlin …

MS: … auszuparken. Da standen drei, vier Parteimitglieder meinem Auto im Weg. Ich hab dann gehupt, aber das hat keiner von denen gehört. Also das ist eher eine Partei für ältere Herrschaften.

Claudia Latour (CL): Wenn man mit der Linken ins Gericht gehen wollte, was uns ja nicht fernliegt, dann ist es schon so, dass die Linke ihren Kernauftrag aufgegeben hat. Durch ihre jeweiligen neuen inhaltlichen Ausrichtungen stellt sie nicht mehr systematisch stets das Gegengewicht her, was ich als Dialektikerin aber fordere.

Werden nur verschiedene Spielarten derselben politischen Melodie angeboten, ohne dass dazu ein dialektischer Gegenentwurf formuliert wird – dann nutzt das der gesellschaftlichen Entwicklung nicht wirklich. Da springen wir dann als Die Partei für die Linken in die Bresche und machen das, was die Linke nicht mehr macht: aufzeigen, dass man eine Gesellschaft völlig anders denken und organisieren kann.

MS: Und … Interview fertig! Oder haben Sie noch eine zweite Frage?

CL: Es geht ja auch darum, die politische Utopie in unserer Gesellschaft wieder zu entzünden.

Die Linke bemüht sich, etwas in der Gesellschaft zu verändern und macht Realpolitik. Und Die Partei spielt mit einer Utopie herum. Da machen Sie es sich doch leicht.

MS: Ja!

CL: Nein.

MS: Natürlich machen wir es uns leicht. Wir haben punktuell utopische Vorstellungen formuliert, aber wir haben keinen konkreten Gesellschaftsentwurf. Klar, mit dem kleinen Apparat, den wir haben, mit unseren vier, fünf strategischen Köpfen, müssen wir es uns leicht machen.

CL: Nein, ich finde, man macht es sich überhaupt nicht leicht, wenn man eine Utopie formuliert. Im Gegenteil: Leicht macht es sich, wer auf realpolitische Notwendigkeiten einschwenkt und eben nicht das Kreuz auf sich nimmt, mit einer Utopie auf der Schulter herumzulaufen. Nach dem dialektischen Prinzip ist das ja auch für die gesellschaftliche Entwicklung notwendig. Es braucht ein Movens.

Wie geht man dann mit der Realität um?

CL: Man verhält sich dialektisch dazu.

Im Interview2Inews: Martin Sonneborn

Martin Sonneborn, 56, Satiriker, Ex-Chefredakteur von Titanic und Politiker, ist Bundesvorsitzender der Partei „Die Partei“. Sie hat derzeit rund 55.000 Mitglieder und ist deutschlandweit wählbar. „Die Partei“ zog mit zwei Sitzen 2019 erneut ins EU-Parlament ein. Der einstige SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow sitzt seit Ende 2020 für „Die Partei“ im Bundestag.

Claudia Latour ist Sonneborns Beraterin. Gerade erschien von beiden: „99 Ideen zur Wiederbe­lebung der politischen Utopie“.

Im Vorwort zu Ihrem gerade erschienenen Manifest sprechen Sie von Utopie und von Eutopia, als dem guten Land. Ist das denn auch zu erreichen oder ist das ein Bullerbü?

MS: Das ist eine gemeine Frage. Nach alldem, was wir in der politischen Arbeit bis jetzt gesehen haben, ist es nicht zu erreichen. Es gibt wenig, was sich zum Positiven entwickelt hat. Wir betrachten die Satire ja auch als eine Art Notwehr. Und wir könnten jeden Tag mit den Dingen, die wir in der Europäischen Union beobachten, drei, vier Texte schreiben und ins Netz stellen, und es würde sich doch nichts ändern.

Es ist ein niederschmetterndes Bild von der Demokratie, das da von Ihnen gezeichnet wird. Eine Dystopie, über die dann gewitzelt wird.

CL: Ja? Wir versuchen doch eher die Menschen dazu zu animieren, sich mit der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Wir beschreiben doch nur, was ist. Wie lautet dieses uralte Bonmot von Karl Marx? „Man muss den Verhältnissen ihre ureigene Melodie vorspielen, um sie zum Tanzen zu bringen.“ In unserem Manifest beschreiben wir ja wirklich nur die Verhältnisse und machen dann in einer Zuspitzung vielleicht einen Witz, auch als Blitzableiter für unsere eigene Wut. Zynisch ist das in jedem Fall nicht gemeint.

Viele jüngere Leute in der Klima­bewegung gehen mit einem heiligen Ernst auf die Straße. Kann man die mit einer Pointe erreichen oder müssten Sie nicht viel ernster sein?

MS: Wir können nicht ernst. Wir kommen ja von Ihrer Printkonkurrenz, von der Titanic. Das ist halt unsere Art, sich mit den Dingen auseinanderzusetzen. Es würde uns, glaube ich, keinen Spaß machen, uns ernsthaft mit den Dingen auseinanderzusetzen.

Aber moralisch ist die Partei doch?

MS: Das ganze hat natürlich einen ernsten Anspruch, nur unsere Methoden sind fragwürdig.

So hat es Die Partei ins EU-Parlament geschafft. Wie geht es weiter?

MS: Wir haben jetzt weitaus mehr als 200 Leute in deutschen Kommunalparlamenten. Auch deswegen gibt es gerade eine Diskussion in der Partei, ob wir realpolitisch werden sollen oder ob es satirisch bleiben soll. Interessant ist für uns die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am Sonntag. Das Portal wahlkreisprognose.de hat uns hier drei Monate lang gesondert ausgewiesen.

Normalerweise ist Die Partei bei den „Sonstigen“ einsortiert.

MS: Ja, die Einzelergebnisse für uns waren bei den Umfragen zur Berlin-Wahl 6, 4,5 und 5 Prozent. In Berlin entscheidet sich, ob es mit der Partei weitergeht. Ich habe die besten Köpfe der Partei zusammengezogen: Tom Hintner, einer der Gründer noch aus Titanic-Zeiten, Anna Katz, die auch zu den Gründerinnen zählt. Ich stehe ebenso auf der Liste und dazu junge Leute aus Berlin.

Wenn wir wirklich 5 Prozent kriegen, sind wir mit zehn bis zwölf Leuten im Abgeordnetenhaus. Dann können wir zeigen, dass wir hier das Gleiche schaffen können wie in Brüssel. Transparenz herstellen mit komischen Mitteln, Politik unterhaltsam vermitteln und die Konservativen ärgern.

CL: Das mag schon ein Wagnis sein. Aber es gibt doch kein gesellschaftliches Projekt, das nicht durch Kritik verbessert werden könnte.

MS: Stalin hat das anders gesehen.

CL: Ob diese Kritik nun außerparlamentarisch wie bei Fridays for Future oder im Parlament geübt wird, ist letztlich unbedeutend. Bedeutend ist, dass sie geübt wird, einfach um diese dialektischen Kontrapunkte zu setzen.

Steht uns da ein Kampf bevor zwischen Realos und Satiros?

MS: Ich finde eine Synthese gut. Und die leben wir ja vor. Wir treiben Kritik mit komischen Mitteln. Wir machen Real­politik damit, dass wir junge Leute politisieren, interessieren und auch an die Wahlurnen bringen.

Gar nicht so leicht in diesen Zeiten, wo man als Komiker in so viele Korrektheitsfallen tappen kann. Das war früher sicher einfacher. Würden Sie heute noch einmal das Projekt Satire­partei starten?

MS: Wir waren 17 Jahre jünger, es hat uns einfach Spaß gemacht und traf auf eine Zeit, in der viele wirklich nicht mehr wussten, was sie auf dem Wahlzettel ankreuzen sollten. Aber heute würde ich das nicht noch mal starten.

Hat das mit dem Humor zu tun, der sich verändert?

MS: Es wird in jedem Fall schwieriger. Im Unterschied zu einem tradi­tions­reichen Satiremagazin wie Titanic, das seinen Platz in einem schwindenden Markt behaupten muss, ist Die Partei ein modernes Satireprojekt.

CL: Uns fällt schon auf, dass das Urteilsvermögen derer, die sich an politischen Debatten beteiligen, gerade in sozialen Netzwerken, dass das teilweise von der menschlichen zur künstlichen Intelligenz gewandert ist.

Wie jetzt?

CL: Solche Menschen funktionieren wie Algorithmen, die nicht in der Lage sind, ein Wort zu kontextualisieren oder die Intention des Autors zu erfassen. Da wird auf bestimmte Wörter reagiert, ohne sie einzuordnen.

MS: Indianerhäuptling zum Beispiel.

Das Wort war Bettina Jarasch, der aktuellen Bürgermeisterkandidatin der Berliner Grünen, mal rausgerutscht. Später hat sie das als „unreflektierte Kindheitserinnerung“ bezeichnet. Haben Sie Angst, dass Ihnen ein Megashitstorm mal das ganze Projekt verhageln könnte?

MS: Es gibt eine Blase von Leuten, die Die Partei als rassistisch, sexistisch …

CL: … misogyn …

MS: … ableistisch bezeichnen. Hab ich jetzt was vergessen?

Der Frauenanteil in der Partei ist aber wirklich nicht sehr hoch.

MS: Ja, wir haben eine Frauenquote wie CSU, AfD und FDP, aber wir tun etwas dagegen. Die drei Spitzenkandidatinnen in Berlin jetzt sind Frauen. Wir hatten auch mal einen 100-tägigen Aufnahmestopp für Männer. Wir stellen Frauen auf die vorderen Plätze, wo es geht. Da sind wir auch nicht anders als die Grünen.

Haben Frauen einfach einen anderen Humor?

MS: Ich beobachte, dass bei Titanic jetzt mehr weibliche Redakteurinnen arbeiten. Gleichzeitig ist das Heft auch ein bisschen überraschungsfreier, ein bisschen weniger frech. Es fehlt das Unverschämte. Aber das hängt vielleicht auch mehr mit meinem Alter und dem Alter der neuen Redaktion zusammen als mit dem Geschlecht. Auch die Männer sind mittlerweile zahmer.

Heißt zahm korrekter? Wäre ein mal erschienener Titanic-Titel zur K-Frage mit dem Titel „Warum nicht mal ein N*…?“ heute noch möglich?

MS: Das haben Sie jetzt gesagt! Nein, heute würde Roberto Blanco auch nicht mehr als Ehrengast zur Titanic-Feier eingeladen werden, weil man Angst hat. Das sind merkwürdige Zeiten. Früher haben wir nicht über Hautfarbe, Geschlecht oder sexuelle Orientierung nachgedacht. Das war vielleicht der Höhepunkt der Freiheit unserer Zivilisation. Und heute guckt man erst mal genau hin, bevor man etwas sagt, fragt sich immer, wer was gesagt hat.

Kann man da noch eine Satirepartei betreiben?

MS: Doch kann man. Und ich setze sehr auf die heute 13- bis 14-Jährigen. Immer mit dieser politischen Korrektheit durchs Leben laufen, das geht nicht. Da kommt eine Gegenreaktion.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen