: Im Cringe mit den Wahlwerbespots
Meistens sind sie bloß nichtssagend bis peinlich. Doch ein gelungener Wahlwerbespot muss sich so richtig manipulativ ins Unterbewusstsein brennen. Eine Beobachtung
Von Ruth Fuentes
Das Wahltagebuch beleuchtet die Bundestagswahl aus Sicht des Wahlcamps der taz Panter Stiftung.
Dass der Wahlwerbespot der singenden Grünen für die Bundestagswahl cringy ist, sprich, eine:n unangenehm erschaudern lässt, ist nun allgemein bekannt und bedarf keiner weiteren Kommentierung. Keine Ahnung, wer bei denen dachte, dass man Wähler:innen so für sich gewinnen kann. Mit einem Liedchen, das vor allem an den Moment der Fremdscham erinnert, wenn die komische, alleinstehende Tante bei deiner Geburtstagsfeier aufsteht, um ein lieb gemeintes selbstgeschriebenes Paarreim-Gedicht vorzulesen. Aber Grünen-Bashing zu betreiben macht mittlerweile ja echt keinen Spaß mehr, dafür macht es uns die vermeintliche Klimarettungspartei viel zu einfach.
Da klickt man sich am liebsten doch weiter auf Youtube, um zu schauen, was, oder besser: ob die anderen Parteien womöglich etwas mehr zu bieten haben. Zuerst schaut man vielleicht bei der, die seit über einem Jahrzehnt eine Bundestagswahl nach der anderen gewinnt.
Die Union hat ein Filmchen gedreht, bei dem wir am Ende erfahren, wie dieser onkelhafte Spitzenkandidat heißt, der sich gerne filmen lässt, wie er blackfaced durch Bergwerke läuft und „weiß, was Veränderung bedeutet“. Stimmt, dafür steht die CDU. Schon immer.
CSU-Freund Söder hat vorsichtshalber noch seinen eigenen Spot gemacht, damit die Bayern trotzdem Halt finden im „Gewirr“ der Modernen – und der onkelhafte Spitzenkandidat der CDU die CSU nicht auch noch mitzerstört. Dafür ist Söder sogar bereit, die Welt zumindest „ein Stück weit“ zu retten, also wahrscheinlich das Stück „Bayern“. Immerhin. Vielleicht schafft er es ja, dass es schon bald CSU/CDU heißt.
Wie die Konservativen zeigt uns auch die SPD im Kanzlerfilm, wie stark sie für Klimaschutz steht: mit fünf Sekunden Windrädern. Ansonsten gibt es wenigstens minimale Inhalte mit ein paar konkreten Versprechen: Mindestlohn, Wohnungen, Renten. Irgendwas mit Sozialdemokratie halt, wie der Name der Partei schon sagt. Stellt sich die Frage, warum es das alles nicht schon gibt, da die Partei schon länger mitregiert … Die rot-weiße Optik jedenfalls erinnert mehr an Sparkassen-Werbung als an soziale Politik. Und die Scholz-Matrjoschka, die nach und nach aufdecken soll, was eigentlich „alles drin ist im SPD-Paket“, erinnert an Russland – Zufall?
Was uns direkt zu den Linken bringt: gleiche Sparkassen-Optik, aber mehr Stress und Ungeduld. Denn die Linke weiß, was abgeht auf der Welt. Sie geht unter. Jetzt. Also, die Welt. Nicht die Linke. Oder doch? Dunkle Untergangsmusik gepaart mit dem verzweifelten Betteln nach Wähler:innenstimmen. Auch sie spricht die Themen an, die uns aktuell zu beschäftigen haben. Wohnen, Pflege, Klimakrise, soziale Gerechtigkeit – aber aggressiv. Keine netten Worte, wie der Onkel von der CDU, kein beruhigendes Kinderlied wie die Ökos von den Grünen. Die Uhr tickt. Solche Untergangsszenarien sind der normalen Bevölkerung eventuell doch ein bisschen too much. Schnell wegschalten, nicht dass man noch in Sorge gerät während des entspannten Feierabends.
Nichts lässt einen Freien Demokraten so sehr in Panik verfallen wie schlechtes oder langsames Internet. Und damit man sich für einen kurzen Moment auch so fühlt wie die Anhänger der FDP das ganze Jahr über, haben sich diese einen ganz miesen Trick einfallen lassen. Ihr Wahlwerbespot fühlt sich an, als würde das Internet dauerhaft hängen. In einem Schwarz-Weiß-Daumenkino klärt Lindner mithilfe aneinandergereihter Fotos von Lindner noch mal auf: Wir brauchen Digitalisierung. Es geht ums Überleben, es geht um Freiheit, um Etwas-tun. Und natürlich um Lindner. Wie die Linke schon sagte: jetzt. Und Lindner fängt auch jetzt schon an. Nicht mehr aufschieben. Die Gedanken beschäftigen ihn bis spät in die Nacht. Workaholic-Style. Und er arbeitet, rettet die Digitalisierung, indem er super innovativ mit Füllhalter seine Gedanken oder Memoiren oder Tagebuch oder, I don’t know, seinen Liebesbrief an sich selbst auf weißes Papier schreibt. Wichtig ist arbeiten. Damit du den Aufstieg schaffst in Deutschland.
Lustig, alles in allem. Aber irgendwie auch nicht. Denn was sollen diese Wahlwerbespots überhaupt? Werden sie einfach nur traditionell gedreht, um dann die Standardkritik zu ernten: „Minimaler Inhalt mit maximalen Emotionen?“ Doch ist das überhaupt schlimm? Gibt es denn eigentlich Menschen, die letzten Endes von einem TV-Spot überzeugt werden, von einer Partei, die sie davor niemals gewählt hätten? Wird man nicht, wenn überhaupt, in der eigenen politischen Überzeugung noch mal bestätigt? (Beziehungsweise wählt trotz allem weiter Grün …?)
Gehört das Werbespotdrehen einfach dazu als Partei, weil die anderen es auch so machen, um wenigstens präsent zu bleiben? Am Ende sagen die Spots immerhin viel darüber, welche Emotionen die Parteien bei den Wähler:innen versuchen anzusprechen. Von Beruhigung, Stabilität bis hin zu Stress und Panik, für jeden Geschmack ist etwas dabei.
Stellt sich die Frage: Was wäre denn eigentlich ein guter Wahlwerbespot? Sollen sie denn nun an die Emotionen potenzieller Wähler:innen appellieren oder doch an den Intellekt? Beides? Sollte man jetzt stattdessen in knapp zwei Minuten versuchen, möglichst viel Wahlprogramm vorzulesen? Oder reicht einfach der klassische Ansatz der etablierten Parteien – ein bisschen Blabla, Windräder und viel Screentime für den (!) Spitzenkandidaten?
Die Partei – bekannt für Ernsthaftigkeit und ihrer dauerhaft präsenten Ambition zu regieren – schenkte bei der Europawahl 2019 ihre anderthalb Minuten Screentime der Seenotrettungsorganisation See-Watch. Diese zeigte ein Kind, das im Mittelmeer ertrinkt. Hart, ehrlich, idealistisch. Null Werbung. Null Manipulation. Reicht meistens nicht, um gewählt zu werden.
Die andere Möglichkeit wäre, man sieht der Tatsache ins Auge, dass ein Wahlwerbespot eben nichts anderes ist als ein Werbespot und dass das Ziel ist, Stimmen zu gewinnen, und dass Werbung eben manipulativ ist. Überzeugen, egal wie. Niemand kann das doch besser hinbekommen als eine ganz bestimmte Partei. Eine, die aus einer Gruppe Fans einer Zeit besteht, in der politische Propaganda und Manipulation von Massen über Film so richtig groß wurden. Die AfD.
Denn Spots auf Youtube schauen endet meistens so, dass du dir sogar den AfD-Spot gibst, aus Frust und einer schuldbewussten Neugier. Diesmal, um zu realisieren, dass du, wenn du nicht wüsstest, dass die Partei für Ausländerfeindlichkeit, Nationalismus und ein überkommenes Weltbild steht, diesen Spot am ansprechendsten fändest.
Der Spot erzählt eine Geschichte, die den normalsten Bürger Deutschlands in den Mittelpunkt stellt: Martin Schmidt. Familienvater mit Normalo-Job und Dieselauto. Ziele und Inhalte fließen nur nebenbei ein. Ganz gezielt sprechen sie genau die Bürger an, deren Stimme sie auch bekommen können. Ganz gezielt wird alles nicht angesprochen, was sie alles super Rechtes im Wahlprogramm stehen haben. Klar, sie haben natürlich den Vorteil, dass sie als Oppositionspartei in den Wahlkampf gehen. Das macht es einfacher, ehrlich, vertrauenswürdig, echt zu erscheinen.
Die Filmemacher sind sneaky: bauen Kleinigkeiten ein, die sich ins Unterbewusstsein einprägen. Martin Schmidt tankt Diesel und sagt: „Die Regierung soll uns nicht nur abkassieren, wo es geht.“ Martin Schmidt fährt an einem Wettkasino und protzigem Auto vorbei und sagt, „es sollen mal wieder echte Ganoven“ drankommen. Wer das sein soll, wird nicht gezeigt. Martin Schmidt sagt, man solle „die Kleinen wieder beschützen“, und an der Wand steht ACAB. Und Martin Schmidt fährt aus der Dunkelheit in die aufgehende Sonne hinein. Fährt durch Schmutz und Missstände und steht am Ende oben auf einem hellen Parkdeck.
Filmisch hervorragend. Wenn es einen Werbespot gibt, der Wähler:innen umstimmen könnte, wenn sie ihn abends nach einem langen Arbeitstag beim Feierabendbier auf der Couch sehen, während das Kind schon wieder schreit, dann der. Ziel erreicht. Denn wenn man es schafft, die Stimmen der Menschen für sich zu gewinnen, die sich als „normal“ ansehen, dann hat man das Medium „Wahlwerbespot“ genau richtig eingesetzt. Das müsste nämlich nach der Definition von „normal“ die meisten Wähler:innen betreffen.
Ruth Fuentes ist Teil des taz-Wahlcamps. Sie hat Mathematik in Madrid und Heidelberg studiert. Schrieb dort über Unipolitik, Feminismus und Kino für die Studierendenzeitung und lernte Lokaljournalismus bei der „Rhein-Neckar-Zeitung“.
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