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Schulen in DeutschlandDie Chance der Mehrsprachigkeit

In Sachsen-Anhalt wurden an einer Grundschule Kinder nach Muttersprache getrennt. Auch andernorts wird das Potenzial von Mehrsprachigkeit übersehen.

Das Potenzial von Mehrsprachigkeit wird oft übersehen Foto: wolfstone-photo/imago

D ie Einschulung in Deutschland Anfang der 1960er Jahre ist meine erste traumatische Kindheitserinnerung. Ich, das einzige Türkenkind in der Klasse, hatte keine Schultüte. Ein Mädchen machte sich lustig und belehrte. „Wer keine Schultüte hat, wird immer eine Niete in der Schule sein.“

Doch wie mickrig ist mein Kindheitstrauma im Vergleich zu der jüngst in Burg in Sachsen-Anhalt versauten Einschulung der Kinder. Für die Erstklässler gab es drei Klassen. Zwei „deutsche“ Klassen und eine dritte für die Kinder mit Einwanderereltern. „Die Schulleiterin ist davon ausgegangen“, schreibt ein Vater auf Facebook, „dass alle Schüler*innen, die nicht blond sind und blaufarbige Augen haben, nicht mit Deutschen in der gleichen Klasse sitzen dürfen.“ Unter ihnen sind viele Kinder, die in Deutschland geboren, hier aufgewachsen sind und Kitas besucht haben. „Wie erklär ich meiner Tochter, dass sie nicht mit ihrer besten Freundin die gleiche Klasse besuchen darf“, heißt es weiter. Die Verantwortung trifft nicht die Eltern, sondern Schule und Politik. Und das Ganze nach einem halben Jahrhundert der jüngsten Einwanderungsgeschichte in Deutschland.

Es gab einen Aufschrei der Eltern. Von einer rassistischen Trennung aufgrund äußerlicher Zuschreibungen“ sprach das Landesnetzwerk Migrantenorganisationen. Von Apartheid war die Rede. Letztendlich musste die Schulleitung die Einteilung der Schulklassen verändern. Der Sprecher des Landesschulamtes erklärte, man habe „die Sensibilität des Themas“ falsch eingeschätzt. Wie wahr. Kinderseelen sind sensibel.

Die von der sechsjährigen Aischa zum Beispiel. Sie ist in Deutschland geboren, mehrsprachig aufgewachsen und spricht perfekt Deutsch und Arabisch. Doch in der Diktion der Schulbürokratie ist sie ndH. Ein Kind nichtdeutscher Herkunftssprache, defizitär, weil man unterstellt, sie beherrsche die deutsche Sprache nicht. Wieso gibt es nicht das Kürzel maK (mehrsprachig aufgewachsene Kinder), welches nicht über Defizite, sondern über Stärken definiert ist? (Ein Beispiel aus eigener Erfahrung: Kindern, die die moderne türkische Grammatik beherrschen, fällt der Mathematikunterricht sehr leicht.)

Fragen unerwünscht

In einem wissenschaftlichen Aufsatz bin ich auf einen Dialog zwischen Lehrerin und Schüler gestoßen. Dutzendfach habe ich ähnliche Situationen von Freunden und Bekannten gehört. „Lucas: Ich habe in Mathe, in einer Klassenarbeit nach einem Wort gefragt. 'Was ist eine Maßnahme? Und die Lehrerin hat geantwortet. ‚Wir sind in Deutschland‘ und hat mir die Frage nicht beantwortet. Kann sie mir nicht sagen. Wir sind in Deutschland.“

Es gibt tatsächlich Schulhöfe in Deutschland, wo ausschließlich der Gebrauch der deutschen Sprache zugelassen ist. Vergangenes Jahr musste eine Neunjährige in Baden-Württemberg eine Strafarbeit schreiben, weil sie sich mit einer Mitschülerin auf Türkisch unterhalten hatte. So werden die Sprachen der Einwanderer und Mehrsprachigkeit als „Gefahr“ für „Integration“ gebrandmarkt.

In vielen Bundesländern ist der herkunftsprachliche Unterricht abgeschafft. Und in den Bundesländern, wo es ihn gibt, ist er freiwillig und bei Schulabschlüssen nicht relevant. Die Sprachen der Einwanderer sind kulturell stigmatisiert. Es gibt Elitesprachen und die Sprachen der Armen. Sieht man von Englisch ab, kann man mit Latein, Französisch und Spanisch ein Abi machen. Nicht jedoch mit Arabisch oder Türkisch. So etwas bleibt in Kinderseelen hängen.

Bleibt die Forderung an Politik und Schulbürokratie: Schaut euch Kanada an, wie man es besser machen kann. Lasst eure Ängste, das Deutsche verkümmere, beiseite. Lasst euch von Ideologien nicht verblenden. Hört auf die Wissenschaft, die die Potenziale von Mehrsprachigkeit betont. Und schließt endlich Frieden mit den Kindern.

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12 Kommentare

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  • Je mehr die Kinder in den Klassen gemischt werden, um so einfacher wird es Nichtmuttersprachlern fallen, deutsch zu lernen und sich auch zu integrieren. Es sollte immer als positiv dargestellt werden, wenn Kinder mehrsprachig aufwachsen und nie unterbunden werden, dass sie ihre Mutter/Vatersprache mit anderen öffentlich anwenden. Es wäre ein Versagen der jeweiligen Schule, sollte dementsprechend diskriminiert werden.



    Ich bin Deutsche und lebe mit meinem persischem Mann im englischsprachigen Ausland, wo er auch aufgewachsen ist. Unser Sohn wächst dreisprachig auf und wenn ich nicht permanent deutsch sprechen würde auch in Gegenwart von Menschen, die es nicht verstehen, wäre es sehr schwer für mich seine mütterliche Herkunft an ihn weiterzugeben.



    Zum Glück kann er hier eine Deutsche Internationale Schule besuchen, wo er auf Deutsch und Englisch unterrichtet wird. Alle Schüler egal welcher Herkunft werden hier akzeptiert und die Klassen werden absichtlich gemischt zusammengestellt mit Kindern mit und ohne Deutschvorkenntnisse. Am Ende sprechen auch Schüler fließend und akzentfrei Deutsch, selbst wenn niemand in ihrer Familie diese Sprache versteht.



    Vorort kenne ich auch viele mit den unterschiedlichsten Wurzeln und viele sind nicht mehr in der Lage die Sprache ihrer Eltern zu sprechen, was ich sehr schade finde.



    Ich glaube, wie überall auf der Welt gibt es auch in Deutschland Ecken die weniger oder mehr anderen Kulturen gegenüber aufgeschlossen sind.

  • Da wir Einwanderer aus vielen Nationen haben, müsste man also an den Schulen nicht nur Türkisch und Arabisch sondern natürlich auch Russisch, Rumänisch, Bulgarisch, Vietnamesisch, Polnisch, Griechisch, Italienisch, Tigrisch, Pashtu, Persisch und ich weiß nicht, was sonst noch alles, lehren. Sonst wäre ja wieder irgendein Kind benachteiligt.



    Deutsch ist die gemeinsame Sprache. Bilingualität ist toll. Manche Kinder wechseln problemlos hin und her. Manche haben aber auch massive Probleme damit. Dann muss man sich entscheiden, welche Sprache gefördert werden soll. Da bietet sich in Deutschland dann eben wohl die deutsche Sprache an.

  • Hatten wir das nicht mal vor 40 Jahren? Wurde überall abgeschafft, weil es nichts gebracht hat.



    Aber jede Generation muss die Fehler der Alten erst zu eigenen Fehlern machen, um sie zu überwinden.

  • Ich bin der Meinung, dass die Sprache der elementarste Baustein zur Integration ist. Egal, ob Deutsch in Deutschland oder Arabisch in Arabien. Ich bin auch der Meinung, dass Kinder, die die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrschen, in der ersten Klasse, oder besser noch id Vorschule, speziell gefördert werden sollten, so, wie es zB in der Intergrationsgrundschule bei meinen Kindern der Fall war. Aber dafür fehlt ja leider das Geld.

    Ich kann mir auch vorstellen, dass es in D evtl nicht genügend Lehrer gibt, die eine Prüfung in Arabisch oder Türkisch abnehmen könnten. Was ich wiederum sehr traurig fände.

    Zumindest ein Gymnasium scheint es zu geben, wo man ein Abitur auf Arabisch machen kann, an der Salzmannschule in Schnepfenthal. Dort arbeiten auch die beiden einzigen (!) zwei Arabisch-Lehrkräften in Deutschland, die die Sprache als offizielle Fremdsprache nach Lehrplan unterrichten.



    Quelle: Deutschlandfunk

  • Welchen Vorteil sollte Arabisch oder Türkisch im Studium oder in der Arbeitswelt bringen?

    Der Zwang zum Gebrauch der deutschen Sprache auF Schulhöfen hat im Übrigen durchaus nur Positives, da es sich um die einzige Amtssprache handelt und hierdurch integratitv wirkt.

    • @DiMa:

      In einem Exportland wie Deutschland kann die Kenntnis von Türkisch oder Arabisch auch im Berufsleben große Vorteile mit sich bringen.

    • @DiMa:

      Zum Beispiel, wenn man Islamwissenschaft studiert, kann das schon von Vorteil sein.



      Amtssprache ist übrigens Hochdeutsch, und nicht Sächsisch, Bayrisch oder Plattdütsch.

  • Ich dachte, es wäre längst herausgekommen, dass all diese Klassen mehrsprachige Kinder hatten, und diese Kinder nur nach Sprachen vorsortiert wurden, um den nachfolgenden muttersprachlichen Unterricht zu vereinfachen. Das meint die Unterrichtsplanung: Kurse müssen nicht im Band laufen, wenn es nur eine Klasse betrifft. Verstehen wahrscheinlich nur Stundenplaner und ähnliche Berufszweige.

  • Ich bin selber Lehrer und freue mich über jede inhaltliche Bereicherung des Unterrichts. Nur müssen dafür auch Vorraussetzungen geschaffen werden. Lehrämtler müssen sich auf Fächer spezialisieren, je mehr Fächerauswahl, desto mehr Mangel bei ohnehin zu wenig Peronal.



    Warum nicht auch Chinesisch (wird immerhin von über einer Milliarde Menschen gesprochen), Russisch (auch kein kleines oder unwichtiges Land), Polnisch (historisch verbundene Nachbarn) oder Indisch (sind auch nicht wenige Menschen) mit einbeziehen und auf die mögliche Zweisprachigkeit setzen?



    Ich glaube nicht, dass die Mehrzahl der Lehrer ihre Schüler nötigt, sich ihrer kulturellen, familiären und sprachlichen Wurzeln zu entfremden, ich jedenfalls erlebe dies nicht.



    Auf jeden (berechtigten) Wunsch nach individueller Teilhabe mit den jeweiligen Vorraussetzungen und Stärken institutionell einzugehen, also diese in Lehrpläne zu übernehmen und so verpflichtend anzubieten, übersteigt das momentan Leistbare bei weitem. Dies kann meiner Meinung nach nur im individuellen Rahmen der jeweiligen Schule, bzw, Klasse geschehen und ist dann eben aber auch abhängig von verschiedenen Faktoren. Es bleibt nun einmal dabei, dass wir uns zu allererst auf bestimmte Kernkompentenzen konzentrieren müssen.



    Ein letzter Gedanke noch dazu: Durch die Weigerung mancher (bei weitem nicht aller, nicht mal ansatzweise, ich möchte NIEMANDEN unter Generalverdacht stellen oder Ähnliches) Eltern die Sprache des Landes zu lernen und zu sprechen, in dem man selbst und seine Kinder aufwachsen, verhindert aber eine gute Ausbildung. Das perfekte Können der beispielsweise türkischen Sprache bei gleichzeitig kaum vorhandenen Sprachkompetenzen im deutschen wird nicht dazu beitragen, dass das Kind eine erfolgreiche Schullaufbahn einschlagen kann. Anderes zu erwarten, wäre blauäugig und fahrlässig.

    • @Gregor von Niebelschütz:

      Gebe Ihnen hier in vielem Recht. Ich glaube auch nicht, dass die Mehrheit der Lehrer die SchülerInnen nötigt, aber ich bin in meiner schülerischen Laufbahn doch mehrfach dieser Situation ausgesetzt worden und als Kind ist das schon traumatisierend. Im übrigen fand ich die Kombination zuhause die Muttersprache meiner Eltern zu sprechen und mit FreundInnen in der Schule etc wiederum auf Deutsch sehr bereichernd. Ich bin meinen Eltern bis heute dankbar, dass Sie darauf bestanden haben mit Ihnen in ihrer Muttersprache zu sprechen. Denn viele MigrantInnenkinder antworten ihren Eltern nur auf Deutsch, lesen nur auf Deutsch etc etc womit natürlich eine der Sprachen verkümmert, und das wiederum ist eine vertane Chance. Meine Eltern haben sich damals darum bemüht selbst Deutsch zu lernen, nur gab es damals eben kein Angebot vom Staat für Einwanderer / Flüchtlinge. Der DGB jedoch half in dieser Situation.

  • Leider kenne ich das alles nur zu gut. Ich bin mehrsprachig in Deutschland aufgewachsen. Ich empfinde meine Mehrsprachigkeit als großen Vorteil - sie hat mir nicht nur auf beruflicher Ebene viel gebracht. Mehrsprachig aufzuwachsen ist grossartig , jeder/jede mit dieser Erfahrung weiss, wie schön und bereichernd es z.B. eigene Reflektionen mal in der einen, mal in der anderen Sprache zu führen, und alles, was man dabei beobachten kann. Es ist traurig, dass das in Deutschland nicht nur nicht gefördert, sondern sogar boykottiert wird. Und das ist nichts Neues. In den 80ern (NRW) wurde ich in der Grundschule zu anderen “Ausländerkindern” gesetzt und beim Elternsprechtag wurde dann schön von der Lehrern den entsprechenden Eltern dazu geraten “doch bitte nicht mehr mit dem Kind in der Muttersprache zu reden”. Zum Glück haben meine Eltern nicht auf den Unsinn gehört. Mittlerweile spreche ich 5 Sprachen fliessend und arbeite mit Leuten aus aller Welt, dabei hat mir meine anfängliche Zweisprschigkeit natürlich extrem geholfen.

  • " Schaut euch Kanada an, wie man es besser machen kann. "

    Das leuchtende Beispiel Kanada holt jeder dann hervor, wenn es zur eigenen Argumentationslinie passt.

    Dann bitte auch alle anderen verwandten Aspekte erwähnen wie strikt gesteuerte und kontrollierte Einwanderungspolitik, die nur Ausländer reinlässt, die bestimmte Kriterien erfüllen.