piwik no script img

Rezeption von Rapper Kanye WestSeine Widersprüche

Rapper Kanye West steht immer wieder für sein Verhalten in der Kritik. Als Künstler wird er aber weiterhin fast ausnahmslos gefeiert. Warum?

Kanye West bei der Vorstellung seines Albums „DONDA“ im Juli in Atlanta, Georgia Foto: Kevin Mazur/Getty Images

Ich wurde angefragt mit: „Wo bleibt deine ‚Donda‘-Review?“ Meine Antwort lautete: „Hab keinen Bock, das zu hören.“ Das Drumherum der letzten Wochen und die Ausreißer der letzten Jahre haben bei mir zu einer Kanye-Resignation geführt. Seit Jahren hat mich Kanye immer wieder überrascht, genervt und verwirrt, aber jedes Mal wieder verzaubert. Zu „Yeezus“ war ich genervt, zu „The Life of Pablo“ war ich genervt, zu „ye“ war ich genervt, zu „Jesus is King“ war ich genervt, trotzdem habe ich immer reingehört. Diesmal hat es zum ersten Mal nicht geklappt, daher ist das keine musikalische Review, von denen es gerade eh mehr als genug gibt. Tage nach Release habe ich das Album doch angehört und ja, Kanye West bleibt das musikalische Ausnahmetalent, was die Kritik an seiner Person nicht schmälert.

Die Veröffentlichung von „Donda“ war so chaotisch, dass ich irgendwann ausgestiegen bin. Es erschien aus dem Nichts, ohne Feature-Angaben, dafür mit späteren Song-Änderungen. Heute denke ich: Kanye tritt mehr und mehr als Kurator statt als Rapper auf. Ist es nicht eigentlich gut, Möglichkeiten des Streamings zu nutzen und Songs zu ändern, auszutauschen oder komplett zu löschen? Auch unser Konsumverhalten können wir hinterfragen: Warum haben wir die Erwartungshaltung an Musik, dass es ein fertig abgepacktes, perfektes Produkt sein muss?

Menschen, auch ich, neigen dazu, eindimensional zu urteilen und zu vergessen, dass Kanye eine fast zwanzigjährige Karriere auf dem Buckel hat. Viele, die Kanye heutzutage zu Recht kritisieren, lästern abschätzig über diejenigen, die jedes Mal glaubten, dass die Alben pünktlich veröffentlicht werden, trotz unzähligen Aufschiebens, oder die trotz aller Fehlgriffe der letzten Jahre neugierig blieben. Gerade weil er seit Jahren dieses Talent besitzt, sich für Menschen immer wieder interessant zu machen, ist es nur arrogant, diejenigen zu verpönen, die weiter zuhören. Nur weil jemand problematisch ist, heißt es nicht, dass er popkulturell, gesellschaftlich, gar politisch keine riesige Bedeutung haben kann. Gerade deshalb sollte man erst recht über Kanye reden. Über das Genie, aber eben auch über alles, was schiefläuft. Denn er ist vieles, aber nie irrelevant.

Man könnte den ganzen Zeitstrahl abarbeiten, von problematischen Dingen, die Kanye West getan hat, es gibt ganze Artikel wie „Here Is The Definitive Timeline Of Kanye West’s Controversies“. Kanye relativierte Sklaverei und kumpelte mit Donald Trump an. Zweiteres ist in Rap-Kreisen gar nicht so selten, schließlich gilt Trump als Inbegriff für Reichtum, jeder wollte „up like Trump“ sein. Ist es überraschend, dass ein Superreicher einen anderen Superreichen unterstützt?

Berechtigte Kritik

Warum ich diese alte Debatte hier überhaupt anbringe? Um anzuregen, sich von Identitäten zu lösen, wenn man versucht herauszufinden, warum jemand problematisch handelt, und um aufzuzeigen, wie wir selbst die Erwartungshaltung an Kanye haben, dass er, wie viele andere reiche Prominente of Color, linksliberale Ansichten vertreten muss, die die Hoffnung auf eine schönere Welt propagieren, aber dennoch Millionen und Milliarden anhäufen und eben doch nicht sind „wie wir“. Auch Kanye hat ein Recht auf eine Meinung, die unserer komplett widersprechen kann. Dass wir empört sind, weil wir etwas „Wokeres“ erwartet haben, ist gar nicht sein Problem, sondern unser eigenes. Sobald wir aufhören, prominente Menschen auf Podeste zu stellen, zu idealisieren und ihnen automatisch Eigenschaften zuzuordnen, könnte das verändern, wie wir über Kunst, aber auch wie wir über Psyche sprechen, aber dazu gleich.

Nur weil jemand problematisch ist, heißt es nicht, dass er popkulturell oder gar politisch keine Bedeutung hat

Bei „Donda“ hagelte es berechtigte Kritik zu den Kollaborateuren von Kanye West. So arbeitete Kanye mit Marilyn Manson zusammen, gegen den Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs erhoben wurden, ließ sich von Chris Brown, der unter anderem wegen Körperverletzung verurteilt wurde, ein paar Zeilen einsingen, und gab bei einem Release-Event DaBaby die Bühne, um sich über Cancel Culture auszulassen, der sich kurz zuvor homofeindlich äußerte. Ironischerweise ist Kanye Co-Produzent des Songs „Industry Baby“ von Lil Nas X, dem wohl bekanntesten homosexuellen US-Rapper, der DaBaby zuletzt als meistgestreamten Rapper einholte.

Ferndiagnosen sind gefährlich und was ab hier zu lesen ist, ist Spekulation, was Teil von Kanyes Charakter und was seine diagnostizierte bipolare Störung ist. Das ist selbst bei Menschen, die man kennt, nicht einfach, schon gar nicht bei irgendeinem Rapper aus Chicago. Es könnte zumindest eine Erklärung für dieses Release, für sein Verhalten, für alles sein. Bipolarität kann genetische Ursachen haben, kann aber auch durch traumatische Ereignisse ausgelöst werden. Der Tod seiner Mutter, nach der das Album benannt ist, zahlreiche öffentliche Nervenzusammenbrüche und die Tatsache, dass sein Leben permanent kommentiert wird, ist bestimmt nicht förderlich.

Verantwortung übernehmen

Gerade wegen der öffentlichen Thematisierung seiner Psyche ist Kanye im Vergleich zu vielen anderen Superstars trotz aller Eskapaden so wichtig. Es ist gerade sehr modern zu sagen, dass man mehr über Psyche sprechen sollte, aber das gilt nicht für alle beziehungsweise nur so weit, wie die Krankheit in das akzeptable Bild hineinpasst. Gerade von PoC wird in der Entertainmentbranche erwartet, dass sie vor allem performen. Solange sie sich in diesem Rahmen aufhalten, sind sie akzeptiert, weil kontrollierbar. Auch in der taz erschienen Texte, die ihn als „durchgeknallten Superstar“ betiteln. Auch von einer „Ästhetik der Depression“ ist die Rede. Das impliziert: Eine psychische Erkrankung darf in der Popkultur dann stattfinden, wenn sie produktiv ist. Wenn schon psychisch krank, dann soll es geil klingen oder gut aussehen.

Wie beim Politischen: Seine Krankheit bleibt nicht nur romantisch beim „Lass mal darüber reden, Repräsentation ist so wichtig!“, sondern zeigt sich brutal mit allen unberechenbaren, positiven sowie negativen Seiten. Psychische Krankheiten sind nun mal nicht eindimensional, gerade bipolare Störungen nicht, wie der Name schon verrät. Sie können ekelhaft sein und einen Menschen zerstören. Paradoxerweise fühlen wir uns davon unterhalten und befeuern das alles. Indem wir immer wieder Mental Breakdowns oder Twitter-Tiraden konsumieren, verbreiten und diskutieren, und damit schließt sich dieser Artikel vollkommen ein, demonstrieren wir: Es entertaint uns, sonst hätten wir von Kanye doch schon längst abgelassen, gerade wenn wir ihn für so problematisch halten. Wer profitiert von Kanyes regelmäßigen Meltdowns? Wir? Alle, die an ihm mitverdienen? Ihm die Kunst, die er so gut kann und liebt, wegzunehmen, wäre vermutlich auch keine sinnvolle Maßnahme. Es scheint Dynamiken zu geben, die davon profitieren, dass Kanye sich nicht in Ruhe zurückzieht und durch kontroverse Aussagen polarisiert.

Psychisch krank zu sein, kann schlechtes Verhalten erklären, aber nicht legitimieren. Und genau das ist so wichtig zu betonen. Auch als erkrankte Person möchte man als Mensch mit Rechten und Pflichten wahrgenommen werden. Verantwortlich gemacht zu werden heißt auch: Man wird respektiert. Man wird nicht als verloren angesehen. Deshalb muss Kanye für Fehlverhalten zur Verantwortung gezogen werden. Ein bekanntes Beispiel für unsoziales Verhalten ist sein Umgang mit Taylor Swift. Er machte sie vor einem Millionenpublikum fertig, ließ seine Fans „F*ck Taylor Swift“ auf Konzerten singen und erstellte sie als nackte Wachsfigur in einem Musikvideo. Nur, weil er selbst krank ist, ist es keine Entschuldigung dafür, die Psyche einer weiteren Person zu gefährden.

Kritik klar benennen

Die letzten Tage las man oft: „Mental health matters until it’s kanye west“. Ja, gerade Schwarze Männer unterliegen bei diesem Thema enormen Stigmata. Der Druck, Männlichkeit aufrechtzuerhalten, oder der statistisch schlechtere Zugang zu Krankenversorgung sind nur zwei von vielen Faktoren, warum gerade Schwarze Männer in den USA, aber auch hierzulande, die unter psychischen Problemen leiden, schwieriger Hilfe bekommen. Nicht selten wird Verhalten, das auf eine erkrankte Psyche zurückzuführen ist, als aggressiv aufgefasst, was auch in Deutschland bis zum Tod führen kann. So wird auch Kanye als unberechenbar und geisteskrank dargestellt. Auch die Performances zu „Donda“, dass er zum Beispiel in der Halle, in der er auftrat, schlief, galten nicht als künstlerisch, sondern als irre, da sie nicht sofort verstanden ­wurden.

Es ist ein schmaler Grat zwischen Mental Health thematisieren, normalisieren und entstigmatisieren auf der einen und romantisieren, verurteilen und vermarkten auf der anderen Seite. Bei Kanye ist es irgendwie alles. Aber wie damit umgehen? Ich halte nichts von Dogmatismus. Viele wünschen sich, jemand würde ihnen vorgeben, was der richtige Umgang mit Künst­le­r*in­nen wie Kanye West ist. Ich glaube, der Mensch ist schlau genug, um Widersprüche auszuhalten, Kanye als musikalisches Genie anzuerkennen, aber trotzdem Kritik an ihm klar zu benennen. Und wenn man das Album nicht hört, dann dreht sich die Welt trotzdem weiter.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Zitat: „… wie wir selbst die Erwartungshaltung an Kanye haben, dass er, wie viele andere reiche Prominente of Color, linksliberale Ansichten vertreten muss, die die Hoffnung auf eine schönere Welt propagieren, aber dennoch Millionen und Milliarden anhäufen und eben doch nicht sind ‚wie wir‘.“

    Himmel! Ist das denn wirklich so schwer nachzuvollziehen? Die Leute wünschen sich doch nicht nur, dass „jemand ihnen vorg[i]b[t], was der richtige Umgang mit Künst­le­r*in­nen wie Kanye West ist.“ Diese Gesellschaft ist dermaßen auf Autoritäten fixiert, dass die wenigsten Menschen es wagen, sich auch nur bei der Wahl ihrer Musik auf ihr eigenes Urteil zu verlassen. Nicht ständig mit mindestens einem Auge da hin zu schielen, wo der „Erfolg“ wohnt, kann schließlich alles zunichte machen, wofür man sich jahrelang angestrengt hat. Und überhaupt: Andere sind sowieso immer viel cooler.

    Wie wird Erfolg denn am simpelsten buchstabiert? Bekanntheit und Geld und natürlich auch Einfluss. Wenn also ein „Schwarzer“ das alles hat, eine Frau oder ein Homo, ist damit bewiesen, dass alles in Ordnung ist mit einem Weltbild, das sich an Äußerlichkeiten ausrichte. Menschen brauchen dann weder die Autoritäten zu hinterfragen, die sie und ihre Erwartungshaltungen geprägt haben, noch müssen sie sich ihre Bereitschaft kritisch anschauen, sich kritiklos zu unterwerfen, um sich sicher zu fühlen.

    Nein, er ist nicht „wie wir“, dieser Star. Aber „wir“ wären doch gerne wie er, Depression hin oder her. Weil „wir“ denn bei „uns“bleiben könnten, bei unseren Idealen, all dem, was „uns“ ausmacht, unserer Identität. „Wir“ wollen ihnen gar nicht zu nahe kommen, unseren Idolen. „Wir“ wollen, dass sie auf dem Sockel stehen bleiben. Denn nur, wenn sie da oben sind, sind „wir“ hier unten sicher genug, weiter träumen zu können.

    Wir leben unsere Träume nicht. Wir lieben sie nicht mal. Wir träumen uns unser Leben schön. Denn normal ist zu wenig. Unter „schön“ macht es mensch nicht. Hässlich fühlt er sich eh.

  • Bei Politikern interessiert mich weniger ihre Fähigkeit Spaghetti zu kochen und mehr die Politik. Jeder kann ja beim Metzger gerne sein Brot kaufen, ich selbst konzentriere mich bei Musikern allerdings auf deren Musik. Den Rest interpretiere ich als Marketing und widme mich eben diesem nicht, wie ein Premiumnutzer der werbefreie Inhalte konsumiert.