Deutsch-polnische Pride: „Wir werden in vielem vertröstet“
Am Sonntag zieht zum zweiten Mal eine schwul-lesbisch-queere Pride durch Frankfurt (Oder) und Słubice. Ein Anlass ist Gewalt gegen queere Menschen.
taz: Ronja Zimmermann, wofür gehen Sie am Sonntag auf die Straße?
Ronja Zimmermann: Wir haben die Słubice-Frankfurt-Pride organisiert, um queere Sichtbarkeit in den beiden Städten zu schaffen. Vergangenes Jahr, beim ersten Pride, wollten wir zunächst einmal thematisieren, dass es keine Vernetzungsmöglichkeiten und Anlaufstellen in den Städten gibt, dass man als queere Person ziemlich alleine dasteht. Gerade als junge Person, wenn man kurz vorm Coming Out ist, hat man keine Anlaufstellen, an die man sich wenden könnte. In diesem Jahr wollen wir vor allem queerfeindliche Gewalt sichtbar machen, die aus unserer Sicht zu wenig mediale Aufmerksamkeit bekommt.
Welche Rolle spielt die deutsch-polnische Ausrichtung der Demo?
Wir wollen Übergriffe in Polen thematisieren, aber auch die drei schwulenfeindlichen Morde in Deutschland vom letzten Jahr. Wir nutzen den Pride, um Solidarität mit der polnischen Community zu zeigen, die unter der Queerfeindlichkeit der polnischen Regierung zu leiden hat. Aber auch, um auf gemeinsame Diskriminierungserfahrungen aufmerksam zu machen. Eingeladen sind in diesem Jahr außerdem ungarische Aktivist*innen, die über die Lage der queeren Community dort sprechen werden. In Ungarn wurde ja kürzlich ein Gesetz verabschiedet, das den Zugang von Minderjährigen zu Informationen über LGBTIQ verhindern soll. Es ist dem entsprechenden Gesetz in Russland ziemlich ähnlich.
Ronja Zimmermann, 20, studiert in Frankfurt (Oder) Jura und engagiert sich ehrenamtlich im Organisationskollektiv der Słubice/Frankfurt-Pride.
Welche Erfahrungen haben Sie bei der ersten Demo im vergangenen Jahr gemacht?
Wir waren positiv überrascht. Es sind wesentlich mehr Menschen gekommen, als wir vorher gedacht hatten, was uns sehr gefreut hat. Wir hatten auch mit mehr Gegendemonstrant*innen gerechnet. Das war dann aber weniger schlimm, als erwartet und harmloser, als es unsere polnischen Mitglieder von anderen Prides in Polen kannten. Es waren am Ende nur ein paar Leute, die an der Grenze demonstriert haben.
Hat die Pride im vergangenen Jahr denn etwas bewegt?
Wir hatten ja ziemlich konkrete Forderungen an die Bürgermeister und Politiker*innen in Frankfurt und Słubice gestellt. Darunter, dass sich die beiden Städte zu „LGBTIQ-freundlichen Zonen“ erklären, zu „Zonen der Vielfalt“ – in Abgrenzung zu den „LGBTIQ-freien Zonen“, die in Teilen Polens ausgerufen wurden. Auch, dass queere Menschen mehr in der gut vernetzten Politik zwischen den beiden Städten mitgedacht und repräsentiert werden, etwa bei gemeinsamen Lehrer*innenkonferenzen. Gerade der Bereich Schule ist wichtig für queere junge Menschen. Das wurde tatsächlich umgesetzt. Wir werden beim gemeinsamen Bildungsforum der Städte einen Workshop halten. In allen anderen Punkten wurden wir immer wieder vertröstet. Die gemeinsame Bürgermeistererklärung zur Vielfalt kam nicht. Der Bürgermeister von Słubice hat auch dieses Jahr seine Teilnahme an der Pride abgesagt mit der Begründung, dass es keine queerfeindliche Gewalt in seiner Stadt gäbe. Wir sind uns nicht mehr sicher, ob es diese Erklärung noch geben wird, aber wir hoffen es.
Wer ist denn dieses „Wir“? Wer organisiert die Pride?
Das sind Privatpersonen. Angeschrieben wurden anfangs die lokalen linken Gruppen, Vereine und Vernetzungen. Dann haben sich schnell queere Menschen aus beiden Städten gefunden, die Lust hatten, sich zu organisieren.
Umzug Die Słubice/Frankfurt-Pride sammelt sich am Sonntag, 5. September, um 12 Uhr auf der Plac Bohaterów in Słubice. Start ist um 13 Uhr, um 16 Uhr will der Zug am Frankfurter Brückenplatz sein. Der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg, das polnische queer-feministische Kollektiv Dziewuchy Berlin und die Freie Ungarische Botschaft rufen zur aktiven Teilnahme auf.
Anreise Ein Bus des Lesben- und Schwulenverbands aus Berlin zur Pride startet um 9.30 Uhr am S-Bahnhof Südkreuz. Anmeldung hier: https://t1p.de/u6o4
Plakate Bereits am Samstag, 4. September, treffen sich Queers um 19 Uhr am Frankfurter Kleist-Forum zu Vorbereitung und Plakatemalen. (sah)
Ist auch über die Demo hinaus eine Organisation geplant?
Wir haben im vergangenen Jahr mit einem queeren Stammtisch angefangen, das ist aber aufgrund der Corona-Situation zwischenzeitlich nicht mehr möglich gewesen. Das ist aber etwas, was wir in Zukunft beibehalten wollen, um uns selbst die Vernetzungsmöglichkeiten, die von der Stadt nicht kommen, zu schaffen. In Reaktion auf die jüngste Äußerung des Bürgermeisters von Słubice haben wir jetzt auch ein Register online gestellt. Dort kann man Diskriminierungserfahrungen in Frankfurt oder Słubice teilen und wir sammeln sie. Und aus unserem Kollektiv ist auch die rein polnischsprachige Gruppe Queer nad Odrą hervorgegangen, die im Umland von Słubice Aktionen zu LGBTIQ-Themen macht.
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