Lübecker Projekt zum Auto-Ausstieg: Tausche Lappen gegen Ticket
Die Stadt Lübeck bietet BürgerInnen, die ihren Führerschein abgeben, ab Januar 2022 ein Jahresabo für den Stadtverkehr gratis an.
Margret Wulf-Wichmann, Sprecherin des Arbeitskreises Bauen und Planen im Lübecker SeniorInnenbeirat
Trotzdem will er sich 2022 das Busfahren angewöhnen. Er wird seinen rosa Papierführerschein abgeben, dafür bekommt er von der Stadt Lübeck eine Jahreskarte für den Bus gratis, wenn auch „leider nur im Stadtgebiet“, sagt Conrad. Bis zu 500 LübeckerInnen dürfen wie er in den nächsten drei Jahren ihren Führerschein gegen einen Fahrschein für den öffentlichen Nahverkehr tauschen. Der gilt für ein Jahr, der Führerschein ist dann aber dauerhaft weg.
Margret Wulf-Wichmann hofft, dass das Modellprojekt den öffentlichen Nahverkehr in Lübeck stärken wird. Doch das Angebot geht ihr nicht weit genug. „Sinnvoll wäre es, das nicht nur für ein Jahr, sondern lebenslang anzubieten“, sagt die Sprecherin des Arbeitskreises Bauen und Planen im SeniorInnenbeirat der Stadt. Sie findet es auch nicht gut, dass die Große Koalition aus CDU und SPD das Thema übernommen hat, nachdem sie einen ähnlichen Antrag ihres Beirats und der Grünen 2019 ablehnten.
Die Antragsteller hätten damals ein Freiticket für drei Jahre beantragt: „Zu viel auf einmal“, sagt CDU-Bürgerschaftsmitglied Carsten Grohmann. „Es ist ja erst mal nur ein Modellprojekt. Ich kann mir vorstellen, den Zeitraum auf drei Jahre zu erhöhen, oder auch lebenslang. Das hängt davon ab, wie gut es angenommen wird, und von der finanziellen Ausstattung.“ Eine Jahreskarte für den Bus kostet in Lübeck 620 Euro. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass alle 500 Jahreskarten vergeben werden, kostet das die Stadt 315.000 Euro, abzüglich der Umsätze durch zusätzliche NutzerInnen, die dem Bus über das erste Jahr hinaus treu bleiben.
In einer Umfrage der Lübecker Nachrichten sagte immerhin ein Fünftel der 3.000 LeserInnen, sie könnten sich vorstellen, den Führerschein abzugeben. Ob sie das tatsächlich tun würden, steht auf einem anderen Blatt.
Stadtverkehr „immer aggressiver“
Für Eva Heesch war die Aktion der Stadt ein Anreiz, endlich Nägel mit Köpfen zu machen. Sie hat schon einen Termin bei der Führerscheinstelle Ende November. „Ich kann nicht verstehen, wenn jemand vielleicht sogar zwei Autos in der Garage stehen hat. In der Klimakrise muss das doch nicht sein“, sagt sie. Die 69-Jährige hat sich oft geärgert, wie viel Geld und Raum ein Auto verbraucht. „Ich habe so oft Parkplätze gesucht. Und über die Jahre ist der Straßenverkehr immer aggressiver geworden“, sagt Heesch. Weil sie in der Nähe der Innenstadt wohnt, ist das Leben ohne Auto für sie kaum ein Verzicht. Sie macht viele Wege zu Fuß, für einen Großeinkauf zweimal in der Woche nimmt sie ein Taxi.
Ein Schlüsselerlebnis war für sie ein Beinahe-Unfall, den sie vor Kurzem hatte. Der Schreck sitzt ihr immer noch in den Knochen. Das Fahren im Alter könne ein Sicherheitsrisiko sein, zum Beispiel, wenn Menschen langsamer reagieren oder weniger gut sehen. „Ich kenne Pflegebedürftige, die nehmen Medikamente, setzen sich aber hinters Steuer“, sagt Heesch.
Auch Carsten Grohmann hofft, dass sich die Sicherheit im Straßenverkehr erhöht, wenn das Projekt in Lübeck erfolgreich ist: „Als Augenarzt sehe ich Patienten, die glauben, sie seien fahrtüchtig, obwohl sie es nicht sind.“ Nun hofft er, dass der Führerscheintausch auch in anderen Städten Nachahmer findet.
Lübeck ist die erste norddeutsche Stadt mit einem solchen Modellprojekt. In Kaufbeuren in Bayern und Biberach in Baden-Württemberg haben sich 200 beziehungsweise 50 Menschen beteiligt. Der baden-württembergische Landkreis Ludwigsburg startete schon 2015 eine Umtausch-Aktion und vermeldete nach einem Jahr 45 Prozent mehr NeukundInnen für Nahverkehr-Abos.
Genaue Zahlen über die Beteiligung gibt es aber nicht. In allen drei Städten waren die Projekte auf RentnerInnen beschränkt. Im bayerischen Bamberg und im nordrhein-westfälischen Recklinghausen sind sie für alle Menschen offen – wie jetzt auch in Lübeck. RecklinghausenerInnen fahren nur drei Monate kostenfrei und weitere drei, wenn sie danach ein Abo abschließen.
Ob die Projekte die Verkehrswende tatsächlich voranbringen, ist fraglich. Etliche TeilnehmerInnen hätten ihren Führerschein wohl ohnehin abgegeben. Der Effekt auf die Umwelt bestünde dann vor allem darin, dass weniger Pkw ungenutzt den urbanen Raum verstopfen.
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