piwik no script img

Siebtes Pop-Kultur Festival in BerlinVon Masken und Mitmenschen

Endlich wieder live dabei: Unter diesem inoffiziellen Motto stand das Pop-Kultur-Festival. In der Kulturbrauerei wurde getalkt und getanzt.

Nicht nur Gundermann: Alexander Scheer ist beim Pop-Kultur Festival als früher David Bowie zu sehen Foto: Roland Owsnitzki

Sie hat gefehlt in diesen letzten anderthalb Jahren: die Popkultur. Und hat uns trotzdem gerettet. Ohne Musik wäre diese Pandemie wohl noch schwer zu ertragen gewesen. Trotzdem hat sich unser Verhältnis zur Musik verändert – vom Gemeinschaftserlebnis entwickelte sie sich zum individuellen Seelentröster.

So gesehen war das Pop-Kultur-Festival, das seit letztem Mittwoch über vier Abende in der Berliner Kulturbrauerei stattfand, auch eine Art Gradmesser, wie es um den Austausch zwischen Publikum und Künst­le­r*in­nen dieser Tage steht – ob solche Gemeinschaftserlebnisse unter Pandemiebedingungen überhaupt funktionieren können. Auf dem Gelände hängen überall Zettel mit der Bitte, keine Gruppen zu bilden – sonst ja ein zentraler Grund, auf Festivals zu gehen.

Es gilt die 3G-Regel, die Innenräume sind bestuhlt, einige Konzerte finden mehrfach statt, um Publikumsströme zu entzerren. Viele in Deutschland lebende Künst­le­r*in­nen treten auf, ein großer Teil von ihnen aus Berlin, damit etwaige Reisebeschränkungen die Planung nicht zerlegen. Und die hiesige Musikszene, das bewies dieser Anlass aufs Neue, verblüfft durch ihre Internationalität.

Die letztjährige Ausgabe der Pop-Kultur hatte komplett digital stattgefunden, mit teils recht ambitionierten Arbeiten (die noch online abrufbar sind), nun aber ging es endlich wieder live. Neben Konzerten gab es auch in diesem Jahr Talks, Film-Screenings und alternative Konzepte, sich zu begegnen: etwa im Studio 21, einer Art Festival im Festival, bei dem es nicht nur darum ging, zu zeigen, wie vielseitig und innovativ die inklusive Musikszene ist.

Club ausschließlich von Menschen mit Behinderungen

Zudem fand in den Räumen des RambaZambaTheaters der erste ausschließlich von Menschen mit Behinderungen organisierte Club der Stadt statt. Purer Eskapismus war nie die Mission der Pop-Kultur, Pop gilt dem Kuratorenteam immer auch als Seismograf gesellschaftlicher Veränderung und als Versuchslabor. „I’m only Dancing – Scheer singt Bowie“ heißt die ziemlich gelungene Show, die man sich ebenso gut auf einer Theaterbühne vorstellen könnte.

Bereits bei „Lazarus“, dem Bowie-Musical am Hamburger Schauspielhaus, hatte Alexander Scheer die Hauptrolle gespielt. Auch hier und heute beeindruckt, wie sich der Schauspieler (der gleichermaßen überzeugend den DDR-Liedermacher Gundermann spielte), sich dem Bowie der mittleren 1970er Jahre bis ins Hüftzucken anverwandelt – und die Pose des Imitators zugleich immer wieder bricht.

Sophia Kennedy die Musicalelemente mit HipHop-Beats und Songwriting kombiniert Foto: Roland Owsnitzki

Neben reichlich Berlin-Pathos gibt es Passagen aus Bowies Lieblingsbüchern, aus denen Scheer immer wieder vorliest. Neben Naheliegendem wie „Clockwork Orange“ oder auch Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ gibt es durchaus Obskures zu entdecken: etwa, dass Bowie sich, nachdem er Anfang 1976 vor dem psychischen Meltdown aus Los Angeles in Richtung Berlin flüchtete, sich auf der langen Schiffsfahrt mit Alberto Denti di Pirajnos „A Grave for a Dolphin“ (1956) tröstete.

Zumindest die von Schweer vorgelesenen Passagen vermitteln den Eindruck, dass der italienische Autor ostafrikanische Folklore in das Gewand eines erotischen Romans packte. Scheer zeigt sich irritiert, in lauter maskentragende Gesichter gucken zu müssen – und fragt mal an, ob das wirklich sein muss. Offenbar weiß er nicht, dass die Security sofort zur Stelle ist, wenn jemand die Maske für länger als die zehn Sekunden abnimmt, die es dauert, einen Schluck vom Getränk zu nehmen.

Bowies „Let’s Dance“ als Aufforderung

Es fühlt sich schon fast nach Grenzüberschreitung an, als die Band zum Schluss „Let’s Dance“ spielt – und das Publikum die Aufforderung auch umsetzt.

Wie ein Kommentar zur Maske fühlt sich auch der Auftritt von All Diese Gewalt an, dem soghaft-introspektiven Soloprojekt von Max Rieger. Zusammen mit seiner Projektband dreht Rieger, sonst Sänger der Punkband Die Nerven, den Spieß einfach um. Er versteckt nicht das Publikum, sondern die Bühne hinter einer Art Mega-Maske. Die aufgespannte Milchfolie lässt die Konturen der Musiker allenfalls schemenhaft erahnen.

Laut Programmheft steht bei dieser Inszenierung nicht die Vereinzelung im Fokus, um die es auf Riegers jüngsten Album „Andere“ (2020) geht. Vielmehr soll die Inszenierung – laut Ankündigung – „den Spielenden mehr Intimität untereinander bieten, während sich den Zu­schaue­r:in­nen ein verschleierter Eindruck davon bietet, was passiert, wenn das Individuum im Kollektiv und die Einsamkeit in Gemeinsamkeit aufgeht“.

Ach so. Na denn. Das Publikum scheint dafür eher Schulterzucken übrig zu haben, auch wenn die Band einen tollen immersiven Sound produziert. Doch Musik hinter Milchglas – davon hatte man eigentlich genug, bei all den Streams im vergangenen Jahr.

Auftragsarbeiten als Alleinstellungsmerkmal

Nicht jedes sogenannte Commissioned Work erweist sich als Highlight, manches wirkt konzeptionell schlichtweg überfrachtet. Bei Commissioned Works handelt es sich um eigens für den Anlass produzierte Auftragsarbeiten, die sich über die Jahre zu einem Alleinstellungsmerkmal des Festivals entwickelt haben.

Sängerin und Pianistin Tara Nome Doyle beschäftigt sich in ihrer Musik mit C.G. Jungs Konzepten Foto: Roland Owsnitzki

Eine solche Auftragsarbeit – eine sehr gelungene – ist die Performance „Hall of Mirrors“ von Tara Nome Doyle. Schon auf ihrem letztjährigen Debütalbum „Alchemy“ beschäftigte sich die in Berlin-Kreuzberg aufgewachsene, norwegisch-irische Songwriterin und Pianistin mit den Konzepten des Psychiaters C. G. Jung. Auf der Pop-Kultur führt sie dessen Ideen inmitten eines Spielkabinetts weiter.

Auf der Grundlage von Jungs Einteilung der menschlichen Persönlichkeit in „Persona“ einerseits, also das, was Menschen nach außen hin darstellen, und ihrem „Schatten“ andererseits, also den unbewussten Persönlichkeitsanteilen, singt Doyle die eine Hälfte ihrer neuen, tollen Songs mit der Kopf-, die andere mit der Bruststimme. Das Konzept durchwirkt ihre Performance, wirkt aber keineswegs didaktisch, sondern angenehm organisch.

Ab Freitag schwebt mehr Festivalenergie auf dem Gelände als die Tage zuvor, fast schon fühlt man sich wie in präpandemischen Zeiten. Das Publikum scheint sich ans trübe Wetter gewöhnt zu haben und ignoriert es einfach. Vor einigen Venues bilden sich Schlangen – besonders Erotik Toy Records und Serious Klein, beides HipHop-Acts, kreieren reichlich Buzz.

Conny Frischauf, Liraz Charhi und Sophia Kennedy

Über Letzteren sagt der Nachbar in der Warteschlange zu seinem Begleiter: „Wir müssen unbedingt da rein, das ist der deutsche Kendrick Lamar – hab ich zumindest gelesen.“ Sogar in Talks kommt man nicht mehr rein: Wer hätte gedacht, dass „Popularisierung der Politik – Politisierung des Pop“ ein Thema für die Primetime am Samstag ist.

Man kann sich schön treiben lassen: Von den trockenen Krautrock-Grooves, die Felix Kubin und Hubert Zemler als CEL auf die Bühne bringen, zu den bemerkenswerten Kollaborationen, die die persische, in Israel aufgewachsen Sängerin Liraz Charhi auf die Bühne bringt.

Und von der sympathisch nerdigen Wienerin Conny Frischauf, die eigenwillige Elektronik mit nicht minder eigenwilligen und tollen Texten kombiniert, zu Sophia Kennedy, bei der Musical­elemente mit Hiphop-Beats und großem Songwriting zusammengehen. Bei ihrem spätabendlichen Auftritt im Kinosaal wirkt Kennedy gelöster denn je. Unerwartet beglückt stolpert man nach vier Tagen nach Hause. Es funzt also noch mit der Pop-Kultur. Und mit den Mitmenschen war’s auch ganz schön.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!