Dressurreiten bei Paralympics: Debüt mit 66
Als bei Heidemarie Dresing Multiple Sklerose diagnostiziert wurde, war sie 52 Jahre alt. Schnell war für sie klar: Sie will zu den Paralympischen Spielen.
Beinahe hätte sie auf ihrem Pferd La Boum beim ersten Anlauf am Donnerstag im Equestrian Park auch gleich noch eine Bronzemedaille im Wettbewerb der Dressurreiter:innen gewonnen. Doch sie musste mit dem undankbaren vierten Platz vorliebnehmen. Hauchdünn war bei 72,294 Prozentpunkten ihr Rückstand auf die Britin Georgia Wilson (72,765).
Im Alter von 52 Jahren bekam Dresing die Diagnose, dass sie an Multipler Sklerose in schleichender Form erkrankt sei. Eine Nervenkrankheit, die zum schrittweisen Kontrollverlust über den eigenen Körper führt und die meisten eher ans Aufhören als ans Anfangen von Tätigkeiten denken lässt.
Anders bei Dresing, die als achtjähriges Mädchen mit dem Reiten begann. Schnell war für sie klar, dass sie nun eine paralympische Laufbahn einschlagen werde. Sie begann in Grade V, wegen der Verschlechterung ihres Zustands reitet sie in der Klassifizierung der Behinderungen inzwischen in der Grade II, also ausschließlich Schritt und Trab.
Energie hatte sie schon immer
Auf der Reitanlage in Tokio kann sie sich nur mit einem Elektromobil und zwei Gehstöcken fortbewegen. Doch der Sport gibt ihr so viel, dass sie auch noch dabeibleiben würde, wenn sie nur noch Schritt reiten könnte, wie sie vor zwei Jahren in einem Interview bekannte.
Auch jenseits der Reiterei beeindruckt die gebürtige Hagenerin mit ihrer Energie und ihrem Mut, Dinge neu anzupacken. Mit 60 Jahren begann sie das Klavierspielen, und vor zwei Jahren feierte sie Hochzeit. Energie, hat Dresing einmal gesagt, habe sie schon immer viel gehabt. Ihre Krankheit zwinge sie zur Langsamkeit. Dadurch ruhe sie nun mehr in sich und könne das Reiten mehr genießen.
Für das deutsche Team startete sie erstmals im Jahr 2019 – bei der Europameisterschaft. Das Verpassen der Medaille am Donnerstag wird sie nicht weiter grämen. Ihr Ziel hat sie im Vorfeld des Wettkampfs sowieso nicht entlang von Platzierungen definiert. Gegenüber der ARD sagte sie: „Ich habe mir etwas vorgenommen. Ich will Harmonie und Eleganz zeigen – soweit das mit meinem Handicap möglich ist.“
Die Schwierigkeit beim Reiten liegt für sie vor allem darin, dass der krankheitsbedingte Schwindel die Sturzgefahr immens erhöht. In ihrem Alter, bemerkte sie, dürfe das nicht mehr allzu oft vorkommen. Erschwerend wirkt für Dresing, dass ihre Hannoveraner Stute ebenso ein Energiebündel ist.
Doch bislang ist Dresing immer wieder aufgestanden. Die Pferde, hat sie in Tokio gesagt, seien ihre beste Medizin. Gut möglich, dass die Reiterin bei den nächsten Paralympischen Spielen in Paris 2024 wieder dabei ist. Auch wenn sie ihr Dressurprogramm dann eben nur im Schritt zurücklegt. Und vielleicht wird sie sogar noch eine Medaille holen. Zuzutrauen ist ihr fast alles.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
Solidaritätszuschlag in Karlsruhe
Soli oder Haushaltsloch
Belästigung durch Hertha-BSC-Fans
Alkoholisierte Übergriffe im Zug
Ringen um Termin für Neuwahl
Wann ist denn endlich wieder Wahltag?
Habecks Ansage zur Kanzlerkandidatur
Pragmatismus am Küchentisch