Wohnungsmangel in Berlin: „Konfrontatives Bauklima“
Der Wohnungsunternehmensverband BBU kritisiert den rot-rot-grünen Senat. Der wiederum lobt sich für 19.000 neu gebaute Wohnungen im Jahr 2019.
Bei der Jahrespressekonferenz des BBU, dessen privaten, landeseigenen, kirchlichen oder genossenschaftlichen Mitgliedsunternehmen 1,1 Millionen oder 40 Prozent der Berliner Wohnungen gehören, kritisierte Kern am Dienstag auch eine zu geringe Zahl neuer Wohnungen. 2020 seien erstmals seit 14 Jahren weniger als im jeweiligen Vorjahr fertig geworden. Grundsätzlich sieht der BBU in Berlin ein „konfrontatives Neubauklima“. Laut Kern bauen als Reaktion darauf Unternehmen nun mehr in Brandenburg: Dort gebe es „eine andere Neubau- und Willkommenskultur“.
Keine drei Stunden später lobte Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linkspartei) die Landesregierung bei einer Pressekonferenz dafür, dass es im Jahr 2019 rund 19.000 neue Wohnungen gab – immer noch 1.000 weniger als von Rot-Rot-Grün pro Jahr angestrebt. Dafür, dass die Zahl 2020 auf 16.337 sank, machte er Corona und Lieferschwierigkeiten verantwortlich. BBU-Chefin Kern hielt dem entgegen: Im rot-grün regierten Hamburg, für sie diesbezüglich „eine Vorzeigestadt“, sei 2020 die Zahl trotz der Pandemie nicht gesunken, sondern um 15 Prozent gestiegen – „letztendlich sind Weichen in Berlin wohnungspolitisch anders gestellt“.
Kern verwies auch auf deutlich höhere Baukosten, die pro Quadratmeter von 2.800 auf über 3.100 Euro gestiegen seien. Holz beispielsweise kostete demnach über die Hälfte mehr als im Vorjahr, Betonstahl über 40 Prozent mehr. Zudem seien pro Quadratmeter Bauland inzwischen mindestens 1.000 Euro fällig, was auch Senator Scheel als großes Problem ausmachte – denn höhere Kosten führen meist zu höheren Mieten.
Supermoderat In den 1,1 Millionen Wohnungen der BBU-Mitglieder in Berlin liegt die Leerstandsquote seit sechs Jahren bei 1,6 bis 1,7 Prozent. 2020 betrug die Durchschnittskaltmiete 6,20 Euro pro Quadratmeter. Der Verband selbst nennt das Mietniveau „supermoderat". Den geringsten Leerstand gab es in Wilmersdorf (1,0 Prozent), den höchsten in Schöneberg (2,9 Prozent). Die Fluktuation sank von 5,0 auf 4,9 Prozent. Laut BBU hat es gegenüber 2020 im 1. Halbjahr 28,5 Prozent weniger Genehmigungen für neue Wohnungen gegeben, in Brandenburg hingegen 18,6 Prozent mehr.
Scheel stellte nach der Senatssitzung Journalisten passenderweise einen Abschlussbericht zur Wohnungsbaubeschleunigung vor – Kern hatte früher am Vormittag schnellere Verfahren als einen der größten Wünsche der BBU-Mitglieder genannt. Dabei räumte der Senator einen Fehler aus der Zeit seiner Vorgängerin Katrin Lompscher ein, ohne sie namentlich zu nennen: Deren Senatsverwaltung hatte 2017 ein Rundschreiben auf den Weg gebracht, das Dachgeschossausbau erschwerte. Das sei inzwischen zurückgenommen worden, sagte Scheel, „weil es tatsächlich ein Hemmnis war“.
Zur BBU-Kritik am Senat sagte Scheel, dass er den Verdruss teilen würde, dass sich Dinge nicht schnell genug bewegen. Aus seiner Sicht ist bei den BBU-Unternehmen noch nicht komplett angekommen, dass es Ziel des Senats sei, Wohnungsbau zu ermöglichen.
Beim Verband wünschte man sich mit Blick auf die parallel zum Enteignungsvolksentscheid am 26. September anstehende Abgeordnetenhauswahl „einen für Berlin erfolgreichen Ausgang“, ohne konkreter zu werden. Laut BBU wären von Enteignung auch 29 der über 80 im Verband organisierten Genossenschaften betroffen. „Die Initiative (Deutsche Wohnen & Co. enteignen, d. taz) behauptet ja immer das Gegenteil – wir schätzen das rechtlich anders ein“, sagte Verbandschefin Kern.
Für den Wohnungsexperten der oppositionellen CDU-Fraktion Christian Gräff zeigen Umfrage und Äußerungen des BBU, „wie sehr das Vertrauen zu dieser Koalition in der Wohnungswirtschaft gelitten hat“. Neues Vertrauen aufbauen oder eine gemeinsame Kraftanstrengung gegen Berlins Wohnungsproblem – „diese Chance hat der Senat nicht nur verpasst“, sagte Gräff, „er wollte sie auch nie.“
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen