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Doku über Usbekistan auf ArteKampf um den Bruder

Zurzeit wird über Usbekistan als Zufluchtsort für Af­gha­n*in­nen diskutiert. Doch eine Arte-Doku zeigt: Das Land ist nur vermeintlich sicher.

18 Jahre hat sie dafür gekämpft, dann kam ihr Bruder Iskandar aus dem Gefängnis: Dilya Erkinzoda Foto: ZDF

Seit die Taliban die Macht in Afghanistan erobert haben, spielt sich in dem Land am Hindukusch eine Tragödie ab. Tausende Af­gha­n*in­nen laufen um ihr Leben oder sterben bei dem Versuch, auf das Gelände des Kabuler Flughafens vorzudringen, um von dort außer Landes zu gelangen.

Plötzlich gerät auch der nördliche Nachbar Usbekistan in den Fokus und zwar als eine mögliche „Abwurfstelle“ für Geflüchtete. Dabei ist das Mantra vieler deutscher Politiker*innen, man solle den Menschen doch lieber in der Region helfen, nichts anderes als eine vornehme Umschreibung dafür, sich Schutz suchende Personen möglichst vom Hals zu halten.

Wer diese Forderung nachplappert oder sie sich sogar zu eigen macht, sollte am Dienstagabend den TV-Sender Arte einschalten. Gezeigt wird der knapp einstündige schwedische Dokumentarfilm „Nur der Teufel lebt ohne Hoffnung. Politische Gefangene in Usbekistan“ des Regisseurs Magnus Gertten. Um es schon einmal vorwegzunehmen: Ein kuscheliger Fernseh­abend wird das nicht.

Erzählt wird die Geschichte der Usbekin Dilya Erkinzoda und ihrer Familie, die 2008 in Schweden politisches Asyl erhalten haben. Zu diesem Zeitpunkt sitzt Dilyas Bruder Iskandar bereits seit sechs Jahren im Wüstengefängnis Jasliq ein – einer der grausamsten Knäste, die es in Usbekistan gibt.

Die Dokumentation

Nur der Teufel lebt ohne Hoffnung. Politische Gefangene in Usbekistan“, 58 Minuten, Arte-Mediathek

Iskandar wird 2001 in Tadschikistan festgenommen und im Februar 2002 an Usbekistan ausgeliefert. Im Zusammenhang mit mehreren Anschlägen, die Usbekistan 1999 erschüttern, wird Iskandar des religiösen Extremismus und Terrorismus beschuldigt. Angeblich habe er sich nach Afghanistan absetzen wollen, um von dort aus Anschläge vorzubereiten. Unter Folter gesteht Iskandar seine Taten. Gegen ihn wird die Todesstrafe verhängt. Diese wird später in eine Haftstrafe umgewandelt und 2008 ganz abgeschafft.

Ende der 90er und Anfang der Nullerjahre ist unter dem damaligen usbekischen Langzeitherrscher Islam Karimow die Jagd auf vermeintliche Islamisten bereits in vollem Gange. Oft genügt ein Gang zum Gebet in die Moschee oder das Tragen eines Bartes, um vom Staat ins Visier genommen und weggesperrt zu werden.

Nach 18 Jahren kommt Iskandar frei

Dilya, die ihren Bruder für unschuldig hält, will sich mit dessen Schicksal nicht abfinden. Sie schließt sich der Nichtregierungsorganisation „Mütter gegen Todesstrafe und Folter“ an. Zuerst in Usbekistan und später von Schweden aus versucht sie, etwas über Iskandar in Erfahrung zu bringen und seine Freilassung zu erwirken. Durch ehemalige Mitgefangene erfährt Dilya nach Jahren quälender Ungewissheit, dass ihr Bruder noch lebt.

Parallel zu Dilyas Kampf für ihren Bruder kommt ein weiterer hinzu: Ihr Ehemann Anvar Karimow, den sie 2007 geheiratet hat, wird gewalttätig. Anstatt wie behauptet die Sache der usbekischen Opposition zu vertreten, unterhält er in Wahrheit enge Beziehungen zum usbekischen Staat und dessen Geheimdiensten.

Bei einer Autofahrt mit ihrem Mann, der vorgibt, die drei gemeinsamen Kinder sehen zu wollen, kommen alle Beteiligten nur knapp mit dem Leben davon. „Er versucht, uns fertigzumachen“, sagt Dilya über ihren Mann, der damit droht, sie und ihre ganze Familie „auszurotten“.

2016 stirbt der damalige Staatspräsident Karimow, sein Nachfolger Shavkat Mirziyoyev gibt den Reformer, der die bis dato komplett abgeschottete Ex-Sowjetrepublik auch gegenüber dem Ausland öffnen will.

Nichts und niemand habe sie brechen können, sagt Dilya immer wieder, die ob des neuen ersten Mannes im Staat Hoffnung schöpft. Im gleichen Jahr lässt Iskandar seiner Familie über einen Anwalt ausrichten, in seiner Angelegenheit nichts mehr zu unternehmen. Seine Strafe sei gerecht und angemessen.

Dilya braucht einige Zeit, um zu verstehen: Nur dieses mea culpa, so absurd es auch ist, eröffnet eine reale Möglichkeit auf Freilassung. Im Abspann des Beitrages heißt es: „Im August 2019 wurde Jasliq geschlossen. Derzeit wartet Iskandar im Gefängnis Tavaksai auf seine Freilassung.“

Am 27. August 2020 und damit nach 18 Jahren kommt Iskandar frei. In diesem Jahr begnadigt Präsident Shavkat Mirziyoyev insgesamt über 50 Gefangene. Unbekannt ist, ob einer von ihnen eine Entschädigung für die vielen Jahre hinter Gittern erhalten hat.

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