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Ein Jahr nach Nawalnys VergiftungTiefsitzende Apathie

Kommentar von Inna Hartwich

Die Repression in Russland ist noch schärfer geworden. Die kritischen Stimmen verstummen nicht – aber der Staat nimmt ihnen alle Freiräume.

August in Moskau: die Aktivistin und Anwältin Ljubow Sobol mit elektronischer Fußfessel Foto: Sergei Karpukhin/imago

E rst an diesem Mittwoch waren die Polizisten in Zivil wieder ausgerückt. Mitten in der Nacht. Es galt diejenigen zu „besuchen“, deren E-Mail-Adressen Russlands Staatsapparat in den Datenbanken der Organisationen des inhaftierten Kremlkritikers Alexei Nawalny gefunden hatte: Organisationen, die Russlands willfährige Justiz kürzlich für extremistisch erklärt hat. Die Strukturen Nawalnys hat das Regime zerschlagen, mit der Einschüchterungstaktik der Bevölkerung fährt es quer durchs Land fort.

An diesem Freitag jährt sich die Vergiftung des auch in Russland umstrittenen Oppositionspolitikers. Der heute 45-Jährige überlebte den Nervengift­anschlag, hinter dem wohl Russlands Geheimdienst FSB steckt, und kehrte nach seiner Behandlung in Deutschland nach Moskau zurück. Wohl wissend, dass seine Tage in Freiheit gezählt sind.

Vor wenigen Tagen erst präsentierten die Behörden Nawalny eine neue Anklage; sie ist noch absurder als viele zuvor. Das Ziel: Freiheitsentzug, so lange wie möglich. Alles, was sich der direkten Kontrolle des Kremls entzieht, darf nach dessen Logik nicht existieren. Deshalb werden seit Nawalnys Rückkehr Gesetze verschärft, werden Bür­ge­r*in­nen zu „ausländischen Agenten“ erklärt, auch Medien zu „unerwünschten Organisationen“ abgestempelt.

Kritiker werden als Feinde gebrandmarkt, Andersdenkende verurteilt, oppositionelle Po­li­ti­ke­r*in­nen ins Exil getrieben. Selbst die geduldete Opposition – wie die Kommunisten – wird mittlerweile ausgebremst und ihr aussichtsreichster Kandidat nicht zur Parlamentswahl im September zugelassen.

Die kritischen Stimmen verstummen nicht, doch nimmt ihnen der Staat jegliche Freiräume. Die Lage verhärtet sich drastisch, Apathie hat sich hineingefressen in die Gesellschaft. Sich Putins Staat entgegenzustellen, wagen immer weniger Menschen, weil dieser Staat aus Angst vor dem Erstarken kritischer Geister immer schamloser vorführt, wohin solch ein Einsatz führen kann: zum Verlust der Arbeit, in die Strafkolonie oder zur Körperverletzung mit verbotenem Nervengift.

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2 Kommentare

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  • Genau so ist es. Russland ist ein Polizei- und Überwachungsstaat, steht an der Schwelle zum postmodernen Totalitarismus mit allen Konsequenzen für Europa. All das hindert Angela Merkel nicht, in bemerkenswerter Sturheit an der zweiten Ostseeröhre festzuhalten. Der Abschiedsbesuch dieser Tage bei Putin ohne irgendwelche erkennbare Notwendigkeit muss natürlich auch sein. Auch in ihrer Russlandpolitik zeigt sich die unfassbare Einfallslosigkeit und Visionslosigkeit von Angela Merkel.

  • Guckt man sich die Entwicklung Russlands in den letzten Jahren an, muss man Schröder beinahe zwangsläufig für einen wirklich bedauernswerten Einfaltspinsel halten.