Stark steigende Emissionszahlen: Klima-Erfolg nur wegen Corona
2020 hat Deutschland sein Klimaziel erreicht. 2021 werden die CO2-Emissionen so stark steigen wie noch nie seit der Erfassung.
Ganz so dramatisch, wie diese Nachricht klingt, ist sie aber nicht – denn der Anstieg ist vor allem deswegen so stark, weil die Emissionen im vergangenen Jahr besonders stark gefallen waren. Das lag zum einen am coronabedingten Rückgang im Industrie- und Verkehrssektor, zum anderen an überdurchschnittlich starkem Wind und niedrigen Gaspreisen, die die Wettbewerbsfähigkeit von Kohlekraftwerken verringerten. Weil der Rückgang im Jahr 2020 mit 70 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten noch deutlich stärker ausfiel als der für dieses Jahr erwartete Anstieg, ergibt sich im Vergleich zu 2019 weiterhin ein Rückgang.
Patrick Graichen, Agora Energiewende
Dieser reicht aber nicht annähernd aus, um das deutsche Klimaziel zu erreichen. Das sah für 2020 einen Rückgang der Emissionen um 40 Prozent im Vergleich zum Bezugsjahr 1990 vor, was aufgrund von Corona und starkem Wind überraschend erreicht worden war. Doch durch den starken Anstieg in diesem Jahr, der neben dem Wieder-Erstarken der Wirtschaft nach der Coronakrise auch am windarmen und kalten Frühjahr sowie an höheren Gaspreisen lang, werden 2021 nur rund 37 Prozent Rückgang im Vergleich zu 1990 erreicht.
„Das zeigt: Der vermeintliche Erfolg im letzten Jahr war kein wirksamer Klimaschutz, sondern eine Eintagsfliege“, kommentierte Agora-Direktor Patrick Graichen. „Daher braucht es jetzt das größte Klimaschutz-Sofortprogramm, das es in der Bundesrepublik je gegeben hat.“ Verfehlt werden die Ziele der Agora-Prognose zufolge voraussichtlich in den Sektoren Gebäude, Verkehr und Industrie; im Energiesektor und in der Landwirtschaft werden die – vergleichsweise wenig ambitionierten – Ziele dagegen erreicht.
Auch andere Umwelt- und Branchenverbände fordern als Konsequenz aus den steigenden Emissionen schnelles Handeln. Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energien, dringt auf ein Beschleunigungspaket, „das Hürden und Hemmnisse in Gesetzen sowie bei Flächen und Genehmigungsbereitstellung beseitigt“, um den Ausbau deutlich zu beschleunigen. Kai Niebert vom Umwelt-Dachverband DNR verlangt: „Fünf Wochen vor der Bundestagswahl muss die Bundesregierung nun aus dem Sommerloch an den Verhandlungstisch zurückkehren und die Sphäre des Ungefähren und Unkonkreten hinter sich lassen.“
Doch damit ist nicht zu rechnen. Zwar sieht das neue Klimaschutzgesetz vor, dass die zuständigen Ministerien ein Sofortprogramm vorlegen müssen, wenn in Sektoren in ihrem Zuständigkeitsbereich die Klimaziele verfehlt werden. Aber für die aktuellen Überschreitungen gilt das erst im nächsten Frühjahr, wenn die Werte für das ganze Jahr 2021 vorliegen und ausgewertet wurden.
„Sofortprogramm“ nur für Gebäude
Aktuell gibt es ein solches „Sofortprogramm“ nur für den Gebäudesektor. Denn dort war das Klimaziel auch schon 2020 verfehlt worden, sodass das Klimaschutzgesetz nun zum Handeln zwingt. Die zuständigen Minister Horst Seehofer (Inneres, CSU) und Peter Altmaier (Wirtschaft, CDU), wollen darum mehr Geld für effiziente Gebäude zur Verfügung stellen: Das dafür aufgelegte Bundesprogramm, aus dem im ersten Halbjahr laut Bundeswirtschaftsministerium bereits 6,1 Milliarden Euro für klimafreundliche Heizungen und Gebäudedämmung bewilligt wurden, soll um weitere 5,8 Milliarden Euro aufgestockt werden.
Einigkeit besteht darüber aber noch nicht, denn das SPD-geführte Umweltministerium hält das für nicht ausreichend. Auch bei Umsetzung des Sofortprogramms würden die Emissionen in den kommenden Jahren über den zulässigen Mengen liegen, warnt Staatssekretär Jochen Flasbarth in einem Schreiben an die zuständigen Ministerien.
Darin verweist er auf weitergehende Vorschläge des Umweltministeriums, die von der Union abgelehnt worden waren. Dazu gehörten unter anderem eine Solarpflicht für Neubauten und eine Beteiligung der Vermieter am CO2-Preis fürs Heizen. Im Expertenrat, der die Sofortprogramme für die Bundesregierung bewerten soll, gibt des dem Vernehmen nach ebenfalls Vorbehalte gegen die Pläne von Innen- und Wirtschaftsministerium.
Kritik kommt auch von den Grünen. „Mehr Geld für Gebäudesanierung allein macht noch keinen Klimaschutz“, erklärte die energiepolitische Sprecherin Julia Verlinden. Entscheidend sei, wo genau die Fördermittel eingesetzt werden. Statt sich auf die Sanierung von Bestandsgebäuden zu konzentrieren, gebe die Regierung auch viel Geld für Neubauten aus, bei denen die Klimaschutzstandards auch ohne Förderung festgelegt werden könnten.
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