MeToo-Thriller „Promising Young Woman“: Das Problem hockt da drin
Der Kino-Thriller „Promising Young Woman“ erzählt von sexueller Gewalt gegen Frauen. Hauptdarstellerin Carey Mulligan gibt eine souveräne Rächerin.
Rache ist Blutwurst. Sie macht nichts ungeschehen, aber kann Opfern von Straftaten oder deren Angehörigen ein Fernziel geben. Cassie (Carey Mulligan) hat es sich zur Aufgabe gewählt, ihre beste Freundin und Kommilitonin Nina zu rächen. Diese wurde während des gemeinsamen Medizinstudiums vor sieben Jahren von einem Mitstudenten mehrfach vergewaltigt. Eine Anzeige verlief im Sande, wie so oft betrieb man „Victim Blaming“: Ein zu „lockerer Lebensstil“ und zu viel Alkohol hätten stark zu Ninas „Mitschuld“ beigetragen. Mit diesem Trauma und der Ungerechtigkeit konnte Nina nicht länger leben.
Seitdem schminkt sich Cassie einmal wöchentlich „Blowjob Lips“ nach Beauty-Bloggerinnen-Anleitung, zerwühlt ihr blondes Haar, zieht High Heels an, setzt sich zur After-Work-Happy-Hour in irgendeinen Club in einer Vorstadt Ohios und spielt besoffen. Jedes Mal fällt sie dabei irgendeinem Mann auf. Jedes Mal nähert sich einer dieser Männer, gibt vor, die bis Oberkante Unterlippe Betrunkene fürsorglich nach Hause eskortieren zu wollen, um sie dann in der eigenen Wohnung zu parken.
Dort müht er sich, sie weiter abzufüllen, mal mit Kumquat-Likör, mal mit Koks. Und wenn Cassie schwach ankündigt, sich hinlegen zu müssen, beginnt der Mann sie zu befummeln. Bis sich Stimmlage, Habitus und Haltung der vermeintlich weggetretenen 30-Jährigen schlagartig ändern: „Ich habe NEIN gesagt“, knallt sie dem Mann hin. Der macht sich vor Angst fast in die Anzughose. Denn aus seinem ohnmächtigen Opfer ist plötzlich eine ermächtigte Person geworden – und aus ihm selbst ein armseliges Würstchen, das die (körperliche) Schwäche einer berauschten Frau ausnutzen wollte, weil es sich vor einem Gegenüber auf Augenhöhe fürchtet.
Die britische Regisseurin Emerald Fennell hat mit ihrem selbst geschriebenen (und mit einem Drehbuchoscar prämierten) Debüt „Promising Young Woman“ einen gnadenlosen und exzeptionellen Film gedreht. Gnadenlos, weil sie dem Verhalten der Männer keinerlei Absolution erteilt: „Ich bin ein netter Kerl“, winselt einer, nachdem Cassie ihn zur Rechenschaft gezogen hat. Nett – und enorm übergriffig. Eine Minute zuvor hat er versucht, der regungslosen Frau Koks ins Zahnfleisch zu reiben und sich in ihr Höschen zu fingern.
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Trailer „Promising Young Woman“
Fennells brillanter Kniff, der jeden Vorwurf von undifferenzierter Männerfeindlichkeit entkräftet, ist die Dramaturgie der „Aufrisse“: Selbstverständlich sind nicht alle Männer so, würden nicht alle Männer eine hilflose Frau sexuell missbrauchen. Aber derjenige, der sie betrunken kennenlernt, sie mit zu sich nach Hause nimmt, ihr Bewusstsein noch mehr trüben möchte und sie gegen ihren Willen berührt, dem geht es um Missbrauch, um Macht, um Selbstbefriedigung.
Der Schritt von ausgelassen tanzenden Männern
„Promising Young Woman“. Regie: Emerald Fennell. Mit Carey Mulligan, Laverne Cox u. a. USA 2020, 114 Min.
Wenn die Kamera von Benjamin Kračun im Vorspann den Schritt von ausgelassen tanzenden Männern filmt, eine wogende Wolke schlechtsitzender Hosen und heraushängender Hemden, ist also klar: Irgendwo dort drin hockt das Problem. Schließlich bedarf das US-Sexualstrafrecht, das sich je nach Bundesstaat unterscheidet, dringend einer Reform. Und der zwischen einem Viertel und der Hälfte der Fälle konstatierte „drunk rape“ ist eben auch „statuary rape“.
Eindrücklich illustriert die Regisseurin zudem, wie Cassie unter den Folgen der Tat an ihrer Freundin leidet: Die ehemalige Semesterbeste lebt wieder im pittoresken Porzellanfigurenkitschhaus ihren Eltern (Jennifer Coolidge, Clancy Brown) und arbeitet lustlos in einem Café. Ihr Ehrgeiz starb mit Nina, die zugewandten, aber überforderten Eltern erleben, wie die einst „promising“ Tochter sich in einem babyrosa Bademantel somnambul am Leben vorbeidrückt.
Dass Fennell in den ästhetischen Entscheidungen ihres Films, bei Farben, Setdesign und Kostümen, sogar beim dezidierten Soundtrack, einen Spagat zwischen der satirischen Leichtigkeit John Waters’ und der Akkuratesse Alfred Hitchcocks wagt, macht ihren Film exzeptionell und fügt eine pophistorische Ebene hinzu: Wenn Cassie sich zum ersten Mal mit dem Kinderarzt Ryan (Bo Burnham) trifft, der in seiner humorvollen Art einen Hoffnungsschimmer an ihrem düsteren (Gemüts-)Horizont darstellt, läuft im Hintergrund der von Carole King geschriebene, symptomatische Song „He Hit Me (And It Felt Like a Kiss)“.
In Bubblegumfarben bemalte Fingernägel
Wenig später tanzen die blonde Cassie, die fast ausschließlich in Pastelltönen gekleidet ist, und der Lulatsch Ryan zu Paris Hiltons „Stars Are Blind“, und Cassies in Bubblegumfarben bemalte Fingernägel blitzen wie die Törtchen im Café. Zu Hause läuft derweil Charles Laughtons Psychopathenthriller „Nacht des Jägers“ im Fernsehen. Und hatte nicht Hitchcock (etwa in „Marnie“) überhaupt den Blick auf blonde, durch sexuelle Gewalt traumatisierte Frauen perfektioniert?
Im Geiste des Hitchcock-Komponisten Bernard Herrmann orchestrierte musikalische Themen antizipieren dazu die lauernde Katastrophe. Denn die scheinbare Idylle zwischen Cassie und Ryan kann nur kurz darüber hinwegtäuschen, dass Fennell unterm Strich ein knallhartes Rape-Revenge-Drama erzählt.
In der Filmhistorie wurde Rape-Revenge (wie alles andere) meist von Männern inszeniert. Bei Storys, in denen weibliche Opfer sexuellen Missbrauch von männlichen Tätern überlebten, rächten sich auch in der Vergangenheit nicht immer die direkt Betroffenen: In Sam Peckinpahs „Wer Gewalt sät“ (1971) erschießt der Ehemann des Opfers die Täter. In Clint Eastwoods „Sudden Impact“ (1983) richtet der zynische Polizist Dirty Harry seine Waffe gegen die Männer, die eine Frau vergewaltigten.
Den Haupttäter kastrieren
Immerhin ist es Foxy Brown (Pam Grier) höchstpersönlich, die im gleichnamigen Blaxploitation-Film von Jack Hill mehrere Männer tötet, und den Haupttäter kastriert. Und in „Extremities“ von Robert M. Young (1986) will das Opfer (Farrah Fawcett) den Vergewaltiger umbringen, allein ihre Freundinnen halten sie davon ab. Aus Opfern können also manchmal Täterinnen werden.
Gemein haben diese Filme (und andere) ein ambivalentes Verhältnis zur Darstellung von Gewalt: Je nach Niveau schwanken sie zwischen vorsichtigen und nüchternen bis hin zu reißerischen, in manchen Fällen ausbeuterischen Bildern, der allgegenwärtige „male gaze“ macht zuweilen nicht vor der Täterperspektive, dem „pov“ des Vergewaltigers, halt.
Gaspar Noé erhebt die performative Grausamkeit in „Irréversible“ (2002) gar zur Kunstform und überdeckt seinen genau konstruierten Schockmoment, mit dem er sich bewusst und provokativ in die Geschichte der brutalen Filme einbrennen wollte, nur zart mit einer moralischen Dramaturgie, die eine Begründung für die Gewalt, nämlich Rape-Revenge, vorwegnimmt.
Exakt geplantes, bösartiges Streichespielen
Trotz einer schwer aushaltbaren zentralen Szene am Ende geht es Emerald Fennell in „Promising Young Woman“ jedoch nicht in erster Linie um Gewalt. Im Gegenteil: Cassies Verhalten gegenüber den Kneipenaufreißern, auch gegenüber der Dekanin der Universität, die Ninas Anklage nicht ernst nahm, oder gegenüber einer ehemaligen Kommilitonin (Alison Brie), die sich nicht auf Ninas Seite stellte, ist exakt geplantes, bösartiges Streichespielen. Mehr nicht.
Die Miene Carey Mulligans, die ihre Figur mit einer dumpfen, faszinierenden Ergebenheit darstellt, und von deren traurigen Augen man den Blick kaum abwenden kann, lässt zwar einen Schrecken erahnen, der noch kommt. Doch Cassie ahnt es ebenfalls. Denn sie ist keinesfalls nur ein Opfer. Und Rache ist, wie gesagt, Blutwurst.
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