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Forschung und Kampf gegen RechtsMittel gegen Antisemitismus

Antisemitismus und Rechtsextremismus sind kein Randphänomen. Das Forschungsministerium will mehr Geld für Prävention bereitstellen.

Ministerin Karliczek, Antisemitismusbeauftragter Klein und Forscher Banjohr Foto: Soeren Stache/dpa

Berlin taz | Es war ein neuer Höchststand: Im vergangenen Jahr erfassten die Behörden 2.351 antisemitische Straftaten in Deutschland – ein Anstieg von rund 16 Prozent im Vergleich zu 2019. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen: Jüdinnen und Juden berichten immer wieder und immer öfter von Anfeindungen auf offener Straße, an Schulen und im Internet. Und auf den Demos und in den Chatgruppen der Querdenken-Szene wird deutlich, wie verbreitet antisemitische Verschwörungstheorien sind – bis ins sogenannte bürgerliche Lager hinein.

Was kann man dagegen tun? Für Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) ist klar: Ein wichtiger Baustein ist, mehr Grundlagenforschung zu betreiben, wissenschaftliche Erkenntnisse zu Antisemitismus und Rassismus leichter zugänglich zu machen und vor allem, For­sche­r:in­nen und Institute besser zu vernetzen. Dafür will ihr Ministerium in den kommenden vier bis fünf Jahren 35 Millionen Euro an Fördergeldern bereitstellen, erklärte Karliczek am Mittwoch in der Bundespressekonferenz.

Ein Großteil der Summe fließt in Forschungsverbünde, die dann einzelne Aspekte des gesellschaftlichen Antisemitismus genauer untersuchen sollen. „Mit unseren klassischen Methoden stoßen wir an Grenzen“, meint Karliczek, und betont: „Wir brauchen unterschiedliche Sensibilisierungsformen.“ Die sollen die beteiligten Wis­sen­schaft­le­r:in­nen liefern. Etwa, indem sie erforschen, wie Antisemitismus an Schulen auftritt oder welchen Anfeindungen Jüdinnen und Juden in sozialen Netzwerken ausgesetzt sind. Die Ergebnisse sollen dann in Unterrichtsmaterialien und Workshops einfließen.

Weitere Gelder will Karliczek unter anderem für den Aufbau von Nachwuchsgruppen in der Rechtsextremismus- und Antisemitismusforschung sowie für die Entwicklung eines Recherche- und Datenportals bereitstellen. Insgesamt soll so die Erforschung von rechten, antisemitischen und rassistischen Ideologien stärker im Wissenschaftssystem verankert werden.

Antisemitismus als „ideologischer Kitt“

Der Historiker Frank Bajohr begrüßte die Pläne des Forschungsministeriums. Als besondere Herausforderung für die kommenden Jahre sieht er Communitys im Netz, „in denen sich Antisemitismus und Rechtsextremismus mit Verschwörungstheorien aller Art verbinden“. Hier müsse die Forschung künftig genauer hinschauen, forderte Bajohr.

Dafür müssen sich Po­li­ti­ke­r:in­nen und Wis­sen­schaft­le­r:in­nen von der Vorstellung lösen, dass Antisemitismus und Rassismus Randphänomene sind, so Bajohr. Zwar ließen sich geschlossen rechtsextreme oder antisemitische Weltbilder bei einem kleinen Teil der Bevölkerung gut nachweisen.

Dabei handele es sich jedoch nur um die Spitze eines Eisbergs, warnt Bajohr: „Diese Spitze ruht unter der Wasseroberfläche auf einem Sockel verschiedener Ressentiments, Vorurteile und Verhaltensweisen, die in der breiten Bevölkerung durchaus verbreitet sind.“ Deshalb müssten die Schnittstellen, an denen rechte, judenfeindliche und rassistische Einstellungen an die sogenannte gesellschaftliche Mitte andocken, genauer erforscht werden.

Auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sieht hier Handlungsbedarf. Auf den „Hygienedemos“ und den Kundgebungen von „Querdenken“ habe sich Antisemitismus als der „ideologische Kitt“ der Coronaleugner erwiesen, der in fast allen Milieus verbreitet sei. Präventionsprogramme müssten künftig noch gezielter sein, um diese Entwicklung zu stoppen – wofür verlässliches Wissen aus der Forschung unverzichtbar sei.

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