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heute in bremen„Am liebsten würden wir uns abschaffen“

Foto: privat

Mae Rother, 28, arbeitet ehrenamtlich bei der Medizinischen Vermittlungs- und Beratungsstelle für Flüchtlinge, MigrantInnen und Papierlose (MediNetz).

Interview Jasmin Koepper

taz: Frau Rother, kann eine schwangere Geflüchtete einen Krankenwagen rufen, wenn sie Wehen bekommt?

Madeleine Rother: Prinzipiell ja, aber es kommt auf die Versicherung an. Wenn eine Frau Asyl beantragt hat, werden die Kosten über das Bremer Modell in den ersten 18 Monaten abgedeckt. Wenn sie nicht versichert ist, muss sie den Krankenwagen selbst bezahlen.

Welche Hürden begegnen schwangeren Geflüchteten?

Geflüchtete Frauen werden oft zuerst mit der Fluchtgeschichte oder mit der Hautfarbe gesehen und nicht als schwangere Frauen wahrgenommen. Sie sind Stigmatisierung und Rassifizierung ausgesetzt. Deshalb haben viele Angst, zum Arzt zu gehen und die medizinische Versorgung wird zu einer Hürde. Aus meinem Freundeskreis kenne ich es, dass sich Frauen in der Zeit der Schwangerschaft ein „Nest bauen“ und das so eine schöne und romantisierte Zeit ist. Bei geflüchteten Frauen sind die Bedingungen in den Erstaufnahmestellen anders.

Inwiefern?

Es gibt dort keine gesonderte Unterbringung. Sie bekommen nur eine Matratze, die vielleicht auch noch hart ist und einfach nicht die Bedürfnisse einer schwangeren Frau abdeckt. Sie müssen Treppen laufen, weil sie den Fahrstuhl nicht benutzen dürfen. Sie müssen Behördengänge erledigen. Dazukommen dann noch gesellschaftliche Vorurteile, wie dass die Frauen ja schon geschafft hätten bis hierhin zu kommen und dann würden sie auch die Schwangerschaft unter den Bedingungen schaffen. Ihnen wird aberkannt, dass es um ihr Kind geht.

Was passiert mit Frauen, die keine Papiere haben?

In Bremen gibt es viele schwangere Frauen ohne Papiere, die aus Angst vor Abschiebung keinen Asylantrag stellen und dann auch keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben. Die kommen hier zum MediNetz und haben bis kurz vor der Geburt noch keine medizinische Versorgung bekommen. Das ist eine dramatische und prekäre Situation.

Podium „Lebensrealitäten von schwangeren Geflüchteten“, mit Together we are Bremen, Women in Exile, Medinetz und Sahhanim Görgü-Philipp, 16 Uhr. Leider sind die Plätze vergeben, nachzuhören ist das Gespräch am 31. 7. um 15 Uhr bei Radio Angrezi.

Was macht MediNetz?

Wir vermitteln Geflüchtete und Papierlose ohne Krankenversicherung an Ärzte, die die Menschen ehrenamtlich und auf eigene Kosten behandeln. Unsere indirekte Arbeit ist die Forderung nach Veränderungen im Gesundheitssystem.

Welche Veränderungen?

Am liebsten würden wir uns abschaffen. Gesundheit ist ein Menschenrecht. Es ärgert uns, dass die Gesundheitsversorgung von Ehrenamtlichen getragen wird. Unabhängig von Hautfarbe oder Versicherung sollten alle Menschen Zugang haben zu Gesundheitsversorgung. Das wurde als Ziel im Bremer Koalitionsvertrag festgehalten.

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