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Trockenheit in BerlinWasser muss zum Baum

Hunderttausende Berliner Stadtbäume werden nicht genug gegossen – während das Land wertvolles Regenwasser in die Kanalisation laufen lässt.

BaumpatIn­nen in Friedrichshain – ob die Beatles auch Wasser geschleppt hätten, um Bäume zu gießen? Foto: Christian Thiel

Berlin taz | Im Frühjahr 2020 wollte Sigrid Warns* nicht mehr mit ansehen, wie die Bäume vor ihrem Haus in Schöneweide und im Innenhof dürsteten. Zwei rekordverdächtig trockene Sommer lagen hinter ihnen, und das tägliche Gießen mit Wasser, das Warns aus der vierten Stock herunterschleppte, waren nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die Mieterin, die sich bei Parents for Future und GermanZero engagiert, wandte sich an ihre Vermieterin, die Degewo, und bat sie, den Wasserhahn im Innenhof zugänglich zu machen. Geht nicht, lautete die Antwort, dann fingen bekanntlich manche an, ihr Auto damit zu waschen, und die Mieten müsse man auch anheben. Warns gab sich nicht zufrieden und bat die Mieterbeiräte von Oberschöneweide um Unterstützung. Aber auch als diese das Wohnungsunternehmen auf das Bewässerungsdefizit der Bäume aufmerksam machte, gab es kein Entgegenkommen.

Die Degewo ist eines von sechs landeseigenen Wohnungsbauunternehmen und kann auf Anfrage den Baumbestand auf ihren Flächen exakt beziffern: 28.361 sollen es aktuell sein. Wie viele Bäume insgesamt auf Berlins Wohn-, Büro- und Industrieflächen stehen, weiß dagegen niemand.

Bei der Senatsumweltverwaltung kennt man zwar die Zahl der Straßen- und Anlagenbäume – rund 430.000 –, die Zahl der Stadtbäume auf Grundstücken aber könne „seriös nicht geschätzt werden und ist daher unbekannt“. Überschlägt man deren Zahl anhand von Luftbildern, kommt man ohne Weiteres auf mehrere hunderttausend Exemplare, die in keiner Statistik auftauchen und doch genauso wichtig für das urbane Klima sind.

Auf Anfrage beteuert die Degewo, sie sehe sich „als Eigentümer, im Interesse unserer Mieter sowie im Sinne der Umwelt natürlich in Verantwortung für den Erhalt des Grünbestands in unseren Quartieren“. Das beinhalte die „ausreichende Bewässerung“, besonders von „Neupflanzungen, Neuansaaten und Jungbäumen“. Man unterstütze auch das „ehrenamtliche Engagement unserer MieterInnen“, sich an der Grünpflege zu beteiligen, allerdings stünden „nur begrenzt Außenwasserhähne zur Verfügung“.

Das liege an den strengen Hygienevorschriften der Trinkwasserverordnung, denn in Gartenwasserleitungen könne Wasser verkeimen und sich „negativ auf die gesamte Trinkwasserinstallation auswirken“. Sigrid Warns sagt, dieses Argument habe man ihr gegenüber nie genannt.

Abhängig vom Willen der GrundstückseigentümerInnen

Fest steht: Der Zustand einer riesigen Menge von Stadtbäumen ist abhängig vom Willen der – öffentlichen und privaten – GrundstückseigentümerIn­nen, die sich mal mehr, mal weniger eifrig darum kümmern. Im Fall der Bäume an den Straßen hat die rot-rot-grüne Koalition zuletzt den „Pflegesatz“ deutlich erhöht, damit die Bezirke sie auch in Dürrephasen einigermaßen versorgen können.

Jenseits von Straßen und Parks gibt es dagegen kein Geld vom Land. Bewässert werden die allermeisten dieser Bäume mit dem ganz normalen Trinkwasser, das die Berliner Wasserbetriebe (BWB) aus Tiefbrunnen an die Oberfläche holen und aufbereiten.

Dabei ginge es viel einfacher, denn es fällt ja Regen auf Berlin – und ein beträchtlicher Teil davon auf Dächer. Dieser Teil wird von nachhaltig denkenden Menschen in den Einfamilienhaus-Siedlungen am Stadtrand vielfach aufgefangen und später zum Gießen verwendet.

Aber überall dort, wo Mehrfamilienhäuser dominieren, rauscht der Niederschlag in die Kanalisation und anschließend – bestenfalls – direkt in die Oberflächengewässer. Handelt es sich um die alte Mischkanalisation der Berliner Innenstadt, vermischt sich der Regen mit dem Abwasser aus Küche, Klo und Bad und nimmt dann den Weg zum Klärwerk. Schlechtestenfalls – bei Starkregen – läuft das stinkende Gebräu in den Kanal oder den Fluss über.

Regen für urbane Verdunstungskühle

Die Wasserbetriebe bauen seit Jahren unterirdische Zwischenspeicher und Wehre für dieses schmutzige Mischwasser, um diesen worst case abzumildern. Eigentlich aber ist es das erklärte Ziel des Berliner Senats, den kostbaren Regen gar nicht so weit kommen zu lassen. Auch um in wärmer werdenden Zeiten für urbane Verdunstungskühle zu sorgen, soll das Wasser, das vom Himmel fällt, durch Entsiegelung, die Anlage von Gründächern oder den Bau von Speichern zurückgehalten werden.

„Dezentrale Regenwasserbewirtschaftung“ heißt das, und die Koalitionsvereinbarung von 2016 macht eine klare Ansage: „Die Koalition wird die Gebäude- und Grundstücksflächen, von denen Regenwasser direkt in die Mischwasserkanalisation eingeleitet wird, jährlich um 1 Prozent reduzieren.“

Tatsächlich gründete das Land Berlin 2018 sogar eine „Regenwasseragentur“ und stattete sie mit einem jährlichen Etat von 900.000 Euro aus, um Gebäudeeigentümer und Bauherrinnen in dieser Hinsicht zu beraten. Aber bislang liegt das 1-Prozent-Ziel in weiter Ferne: Die aktuellen Maßnahmen seien dafür „nicht ausreichend“, räumt ein Sprecher der Senatsumweltverwaltung ein, und überhaupt sei „die genannte Zielstellung vor dem Hintergrund der bereits sehr dichten und weiterhin zunehmenden Bebauung“ im innerstädtischen Bereich „als ambitioniert zu bewerten“.

Die Hoffnung will man in der Umweltverwaltung natürlich nicht aufgeben: „Vor dem Hintergrund, dass Planungs- und Bauvorhaben routinemäßig mehrere Jahre umfassen“, sei ein Erreichen des einen Prozents in den ersten Jahren des Transformationsprozesses auch gar nicht zu erwarten.

Dafür seien aber schon „strategische Weichenstellungen in Wasserwirtschaft und Städtebau“ erfolgt, wie strengere Auflagen für die Regenentwässerung im Neubau. Auch liefen mehrere Forschungsvorhaben, die die Potenziale der sogenannten „Abkopplung“ von Regenwasser aus dem Kanalisationssystem untersuchten.

226,5 Millionen Euro Niederschlagswasserentgelt

Genau beziffern lässt sich die bisherige „Abkopplung“ offenbar nicht – wenn es denn überhaupt eine gegeben hat. „Es wurden Flächen entsiegelt, aber es sind auch Flächen hinzugekommen“, so der Sprecher der Berliner Wasserbetriebe, Stephan Natz, in Bezug auf ganz Berlin, also auch die äußeren Ortsteile, die nicht am Mischwassersystem hängen.

Ablesen lässt sich die Stagnation auch an einem Betrag: 226,5 Millionen Euro betrug 2020 das sogenannte Niederschlagswasserentgelt. Alle privaten und öffentlichen Grundstückseigner müssen es an die Wasserbetriebe für die „Entsorgung“ des Regenwassers entrichten, das auf die von ihnen versiegelte Fläche fällt. Gezahlt wird pro Quadratmeter, rund 1,80 Euro werden jeweils fällig. Diese Einnahmen sind in den vergangenen Jahren nicht etwa gefallen, sondern sogar leicht gestiegen.

Gerlinde Schermer ist eine der Sprecherinnen des Berliner Wassertischs, der Initiative, die sich einst gründete, um die Rekommunalisierung der teilprivatisierten Wasserbetriebe einzufordern. Was 2012 auch geschah – nur dass die Mechanismen zur Gewinnmaximierung nach Ansicht der Initiative bis heute unangetastet blieben. „Damit die BWB diese Gewinne an den Landeshaushalt abführen“, so Schermer. Tatsächlich überwiesen die Wasserbetriebe dem Land für das vergangene Jahr die erkleckliche Summe von 194 Millionen Euro.

Schermer, die in den 1990ern für die SPD im Abgeordnetenhaus saß, findet es vor diesem Hintergrund nicht verwunderlich, dass die rot-rot-grüne Koalition in Bezug auf „Abkopplung“ des Regenwassers und Entsiegelung „alles vernachlässigt“ hat. „Auch die Senatskanzlei hat sich nicht weiter gekümmert, und dem Finanzsenator geht es nur darum, Geld für den Landeshaushalt zu generieren. Alle Parteien machen mit!“, lautet ihr enttäuschtes Fazit.

Hochwasserkatastrophe

Nach Expertenansicht sind auch Berlin und Brandenburg nicht vor Überschwemmungen in Folge der Klimaveränderung gefeit. Starkregen werde in Zukunft überall noch zunehmen, sagt Maximilian Hempel von der Bundesstiftung Umweltforschung und Naturschutz.

Der Umgang mit Grund- und Oberflächenwasser müsse sich deshalb grundlegend ändern. Als Beispiel nannte Hempel Dachbegrünung und die Mehrfachnutzung von Sportplätzen, Parks oder Gärten als Überflutungsflächen. Das Ziel sei eine sogenannte Schwammstadt, die Wasser zurückhalten könne, statt es direkt abzuführen. (epd, taz)

Regenwasser gleich abfangen

Einer, der sich – auch für den Wassertisch – ausführliche Gedanken über den Zusammenhang von Niederschlägen und urbanem Grün gemacht hat, ist Hermann Wollner. Der Agrar­ökonom, Jahrgang 1941, hat vor zwei Jahren eine Schrift mit dem Titel „Klimaresiliente integrale urbane Gehölz- und Regenwasserwirtschaft – kommunale Aufgabe für die Großstadt Berlin“ veröffentlicht.

Im Kern besteht seine Idee darin, das Regenwasser von rund 6 Millionen Quadratmeter innenstädtischer Dachfläche durch „Regenweichen“ gleich an den Traufrohren abzufangen und in dezentralen Zisternen zwischenzuspeichern. Aus diesen könne dann gezielt das private und das öffentliche Stadtgrün gegossen werden, das Problem der Mischwasserüberläufe erledige sich ebenfalls.

„In Frankreich und Belgien wird das schon in vielen Städten praktiziert“, sagt Wollner, „dort heißt es ‚jardin de pluie‘ oder ‚bocage urbain‘.“ Nach seiner Berechnung bräuchte es im Bereich der Berliner Mischwasserkanalisation 1.500 bis 2.500 „Regen-zu-Baum-Quartiersprojekte“, die von angestellten „Regen-Rangern“ betreut würden. Die Kosten dafür veranschlagt er mit jährlich 6–7 Millionen Euro, was auch noch günstiger sei als das derzeitige Abflussmanagement des Niederschlagswassers.

Wollner hat sein Konzept schon mehreren Abgeordneten und Stellen in der Berliner Verwaltung vorgestellt oder wenigstens zukommen lassen. Die ParlamentarierInnen hätten sich zumindest zurückgemeldet, von der Umweltverwaltung sowie den Wasserbetrieben hingegen habe er „noch nicht einmal eine Einladung zum Gespräch mit einem Referenten“ erhalten. Wollner: „Das Konzept ‚Regen zu Baum‘ ist offenbar zu sozial-partizipativ gedacht.“

Auch Sigrid Warns wünscht sich, dass das Thema so bald wie möglich von der Politik aufgegriffen wird. Sie fordert einen runden Tisch, an dem Wohnungsbaugesellschaften, Wasserbetriebe, die Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung und die für Umwelt, aber auch Vertreter der Bezirke und des Abgeordnetenhauses sowie Spezialisten für Wasser- und Landschaftsbau sitzen sollen.

„Wir müssen gemeinsam Lösungen für den Erhalt einer lebenswerten und grünen Stadt finden“, sagt Warns. „Mit Sonntagsreden und einer Blockadehaltung gegen klimagerechte Maßnahmen kommen wir keinen Schritt weiter.“ Für sie geht es längst nicht mehr nur um das Aufdrehen von ein paar Außenwasserhähnen – sie sucht MitstreiterInnen, die sich für den Erhalt der Berliner Stadtbäume engagieren.

*Name geändert

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2 Kommentare

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  • Ein informativer Artikel, der die Probleme konkret und präzise beschreibt und dabei auch Bürgerinnen und Bürger zu Wort kommen lässt, deren Stimmen in den Medien allgemein unterrepräsentiert sind. Dass es sich lohnt, solche Stimmen zu hören, zeigt nicht zuletzt der kompetente und innovative Vorschlag von Hermann Wollner zur Regenwassernutzung.



    Man fragt sich, warum es Jahre braucht, um mit den zuständigen Entscheidungsträgern in einen Dialog über einen Vorschlag dieser Art zu treten. Dass dies so lange dauert, unterstreicht vielleicht einmal mehr, wie dringlich die Schaffung neuer partizipativer Strukturen ist - etwa die Einrichtung von Bürgerräten, in die die Bürgerinnen und Bürger ihre Ideen einbringen können und die ein jederzeitiges Vorschlags- und Mitspracherecht in wichtigen Angelegenheiten haben.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    "Hunderttausende Berliner Stadtbäume werden nicht genug gegossen – während das Land wertvolles Regenwasser in die Kanalisation laufen lässt."

    Das bemängle ich seit Jahren, v.a. was den Wasserbedarf im ach so trockenen Brandenburg angeht. Wasserspeicher? Wieso, haben wir doch schon immer ohne hinbekommen.



    Ganz langsam kommen jetzt sogar die Architekten darauf, dass man in Wohngegenden nicht alles Wasser in die Kanalisation ablaufen lässt und dann bei Trockenheit wertvolles Wasser für den Rasen verschwendet. Die gute alte Regentonne hat in Neubaugebieten aus ästhetischen Gründen längst ausgedient.

    Auch was Hochwasser angeht, so muss man sich so langsam (nach x Ereignissen) vielleicht mal damit befassen, dass das Erdgeschoss nicht unbedingt als Wohnraum geeignet ist, wenn man in der Nähe einses Flusses lebt.



    In Bangla Desh weiß man das, in ganz Asien auch. Nur hat man es dort mit ganz anderen Dimensionen zu tun.