piwik no script img

Ein Denkmal für Gustav MesmerBayerischer Eigensinn

In Erinnerung an den bayerischen Querkopf und Erfinder Gustav Mesmer: Maxi Pongratz' und Micha Achers Album „Musik für Flugräder“.

Gustav Messmer auf seinem Flugfahrrad Foto: Gustav Messmer Stiftung

Wie der Micha den Maxi so anschaut und dann sagt: „Bei dem Cover, wo der Maxi auf dem Rad sitzt, da musste ich auch wieder an Gustav Mesmer denken und dachte mir: Ein Flugrad wäre doch genau das richtige Fortbewegungsmittel für den Maxi“, und der Maxi sitzt nebendran und lächelt ein bisschen, als wäre das Quatsch, aber was soll er sagen – da kommt es einem fast so vor, als ob da ein bisschen viel projiziert wird, vielleicht, vom Micha, vom Gustav auf den Maxi.

Der Maxi, das ist Maxi Pongratz, früher Kopf und Akkordeonist der Band Kofelgschroa, Oberammergauer Dada-Groove-Folkloristen, deren zweites Albumcover ihn beim Radeln zeigt. Micha Acher ist als Bassist der Gruppe The Notwist weltbekannt. Und Gustav Mesmer ist der Mann, dem die beiden nun mit kammermusikalischer Verstärkung ein Denkmal gesetzt haben: „Musik für Flugräder“.

Das Album

Maxi Pongratz, Micha Acher & Verstärkung: „Musik für Flugräder“ (Trikont/Indigo)

Gustav Mesmer war bekannt als der „Ikarus vom Lautertal“. Automatisch denkt man beim Blick auf die erhaltenen Fotos des Greises, wie er sich die hölzernen Flügel um die Arme schnallt: Flugpionier. Dabei baute der 1903 geborene Oberschwabe seine „Flugräder“, als Fliegen selbst für die Mittelschicht längst Alltag war. In jungen Jahren ging er, als „Verdingbub“ schon als Kind zu harter Arbeit gezwungen, ins Kloster, ehe er mit Ende 20 wieder ins Leben trat. Wohl beeinflusst davon störte er 1929 den Gottesdienst seines Heimatdorfes – es sei ein Schwindel, dass das Blut Gottes ausgeteilt werde.

Das brachte ihm die Diagnose „Schizophrenie bei einem von Haus aus vielleicht schon schwachsinnigen Menschen“ ein. Fast vier Jahrzehnte soll er nun in Heilanstalten verbringen, mit Glück die Euthanasie der Nazis überleben. Ab den 1930ern interessiert er sich für das Fliegen, aber erst als eine Verwandte 1964 um seine Entlassung kämpft, erhält er die Chance, seinem Erfindergeist nachzugehen, aus technische Skizzen werden Geräte und selbstgebaute Instrumente.

Im Jahr 1992 wird eines seiner Flugräder bei der Weltausstellung in Sevilla gezeigt. Für ihn wichtiger, kurz vor seinem Tod 1994, ist eine Ausstellung in seinem Heimatdorf.

New Weird Bavaria

Ist „Musik für Flugräder“ der Kurzschluss des New Weird Bavaria mit dem alten, widerständigen, eigensinnigen Bayern? Das könnte man vermuten angesichts der Beteiligten, neben Menschen von Notwist und Kofelgschroa spielen auch Mu­si­ke­r*in­nen der bayrischen Bands G.Rag y los Hermanos Patchekos und Aloa Input mit.

Die Musik ist postlokal: Gesungen wird nicht, und „Akkordeon gibt es doch überall“, sagt Micha Acher. „Es geht nicht drum, wo der Gustav Mesmer herkommt, sondern: Wie unterschiedlich funktionieren Leben, wo wird man hineingeboren?“, ergänzt Maxi Pongratz.

Die Musik entstand eigentlich in anderen Zusammenhängen, ursprünglich aus Material, das Acher als Begleitmusik für großes Ensemble zu den Solostücken von Pongratz komponierte. Es ist für ihn die erste Arbeit mit Notation. „Noten machen für so ein Ensemble Sinn“, sagt er, ein Ensemble, dessen Musik „rumpelig, schräg und unperfekt“ ist, aber eben doch eigentlich Kammermusik mit Akkordeon, Trompete, Bratsche, Fagott und Cello.

Erst als die Musik fertig war, sah Acher die Verbindung zu Gustav Mesmer. Mesmer wird in diesem Jahr mehrfach als Künstler gewürdigt, die „Musik für Flugräder“ unterliegt dem Trailer zum üppig gestalteten Band „Gustav Mesmer“, der demnächst bei der Edition Patrick Frey in Zürich neu aufgelegt wird, außerdem arbeitet Acher gerade an einem Hörspiel. „Es ist unfassbar rührend, wenn man sich Filme dieser Flugversuche anschaut, er hebt keinen Millimeter ab, die ganze Konstruktion wackelt und wabert, es sieht gefährlich aus. Aber blickt man in sein Gesicht, glaubt man, er würde gerade fliegen.“

Die Kategorie „Outsider Art“ ist in Verruf geraten, weil sie die Kunst von Menschen, die außerhalb der gesellschaftlichen Normen stehen oder gehalten werden, eng an ihr Leben anbinden. Flugapparate werden nicht wegen ihrer Gestaltung als bedeutende Kunstwerke gewertet, sondern weil sie von der Resilienz eines Individuums zeugen.

Es bleibt also immer ein exotistischer Rest in jeder Würdigung. Genau wie in den Blicken, die sich das ungleiche Duo zuwirft, in dem Micha Acher die Rolle des Elder Statesman und Maxi Pongratz eben die des zurückhaltenden Außenseiters angenommen hat. Ihre „Musik für Flugräder“ wird nicht legendär wie ihre besten Alben, aber lässt mit melancholischem Witz die Legende des Gustav Mesmer fliegen. Allerdings, ohne dessen größte Erfindung erklingen zu lassen: die Trompetengitarre, die jede Notenvorgabe sprengt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Danke für die feine Besprechung.



    Die Teile sind klugwarm feinzisiliert.



    Trikont - wer sonst •