: „Im Blick auf Menschen, aber auch auf die Sterne“
Die Malerin Dietlind Horstmann-Köpper und die Schriftstellerin Tanja Langer stellen in Osnabrück DichterInnen aus Czernowitz vor. Ihre künstlerischen und literarischen Porträts verdeutlichen, wie heutig diese von der untergegangenen Kultur der Bukowina durchdrungene Poesie ist
Interview Benno Schirrmeister
taz: Frau Langer, ganz knapp: Was sind die Czernowitzer Köpfe für ein Projekt?
Tanja Langer: Ich sage immer noch gerne dazu als Untertitel „… im Porträt“: Dietlind Horstmann-Köpper hat Porträts von DichterInnen aus Czernowitz gemalt, ich stelle sie in literarischen Porträts vor. Wir haben uns beide schon seit Längerem mit dieser Form beschäftigt – und eben auch mit den DichterIinnen der Bukowina. Daraus hat sich die Idee ergeben, es zu verbinden.
Und nach Osnabrück kommt das …?
In einem Gespräch mit dem Literaturbüro Westniedersachsen kam die Frage auf, ob zu unseren Porträtierten auch Immanuel Weissglas und Alfred Gong gehörten – weil es dort ja die Alfred-Gong-Gesellschaft gibt. Und vergangenes Jahr wären Gong, Weissglas und Paul Celan ja alle 100 geworden ...-
... die Veranstaltung sollte ja ursprünglich im November stattfinden.
Und dieses Jahr sind es ja Rose Ausländer und Itzik Manger, deren 120. Geburtstag zu feiern wäre.
Was ist das Besondere an Czernowitz und der Bukowina?
Das ist eine besondere Kulturlandschaft gewesen. Vor dem Zweiten Weltkrieg hat man gesagt, Czernowitz ist eine jüdische Stadt deutscher Sprache. Die meisten haben auf Deutsch geschrieben. Itzik Manger ist da eine Ausnahme: Er schrieb auf Jiddisch. In dieser relativ kleinen Stadt sind auf einem Haufen unglaubliche viele Dichterinnen und Dichter zur Welt gekommen. Bedeutende DichterInnen wie Rose Ausländer und Paul Celan. Über Selma Meerbaum-Eisinger, die den Holocaust nicht überlebt hat, habe ich 1992 schon ein Theaterstück gemacht, „Ich bin die Nacht“.
Was interessiert Sie an diesen DichterInnen?
Mir ist sehr wichtig, wie sie den Holocaust in ihren Gedichten verarbeiten, aber ich finde es auch interessant, was sie aus dem Fundus ihrer Kindheit mitgebracht haben. Da sind Balladen, Geschichten, Zugänge zu einer bestimmten jüdischen Tradition – obwohl alle diese AutorInnen sich selbst als säkular bezeichnet haben.
Macht das die Fokussierung auf die jüdische Tradition nicht zu einer problematischen Zuschreibung?
Ja und nein. Sie kommen alle aus einer Zeit, in der Czernowitz ein Ort war, an dem sehr verschiedene Kulturen und Sprachen nebeneinander existiert haben. Es wurde Rumänisch, Ruthenisch, Deutsch und Jiddisch gesprochen. Jede bessere Bildung schloss Französisch mit ein. Fast alle dieser DichterInnen sind, wie Hannah Arendt das genannt hat, zu Juden gemacht worden. Sie hatten nicht das Selbstverständnis, jüdisch zu sein – wohl auch, weil sie in einem Umfeld gelebt haben, in dem es keine so große Rolle gespielt hat. Dadurch, dass sie dazu gemacht wurden, haben sich aber viele mit dem, was denn eigentlich das Jüdische in ihrer Kultur sein könnte, auseinandergesetzt. Das ist die eine Schiene.
Mit einer Lesung und einem Vortrag stellt Tanja Langer am Montag, 19. Juli, 19 Uhr, in der Osnabrücker St.-Katharinen-Kirche DichterInnen aus Czernowitz und deren von der Schneverdinger Malerin Dietlind Horstmann-Köpper geschaffene Porträts vor.
Osnabrücks Stadbücherei zeigt ab 20. 7. Horstmann-Köppers „Czernowitzer Köpfe“-Serie, die aus Bildern von Rose Ausländer, Paul Celan, Alfred Gong, Itzik Manger, Selma Meerbaum-Eisinger, Edith Silbermann und Immanuel Weissglas besteht.
Fürs Projekt kooperieren die Kulturkirche, das Literaturbüro, die Alfred-Gong-Gesellschaft und der Verein für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.
Und die andere?
Ohne groß darüber nachzudenken, haben sie viele Dinge übernommen, die sie von ihren Vätern, Großvätern und Müttern gehört und vorgelesen bekommen hatten. Paul Celans Vater zum Beispiel und sein Großvater, die waren beide in der Schule. Die waren Lehrende. Die haben die Torah studiert – während die Frauen das Geld verdient haben.
Ah!
Das ist keine untypische Verteilung gewesen. Kurz: Dadurch, dass sie zu Juden gemacht wurden, haben sie angefangen, zu gucken, was hat es mit unserem Judentum auf sich – und sind dabei auf die spezielle Prägung der Bukowina gestoßen. Es ist in Wirklichkeit natürlich viel komplizierter, aber das Entscheidende versteht man vielleicht: Es ist notwendig, diese Schichten irgendwie zusammenzutragen.
Tun das denn die Gedichte?
Eine Sache, die ich außerordentlich finde, ist, wie sie alle aus diesen Kreuzreimen und Wiederholungsschemata der jiddischen Balladen, auch dieses Rückgriffs auf Alltagsgeschichten, im Blick auf einfache Menschen, aber durchaus auch auf die Sterne und in den Himmel – radikal moderne Gedichte gemacht haben.
Was ich verblüffend finde, ist die Wahl der Sprache. Sie sind ja zwangsläufig vielsprachig aufgewachsen, und nach der Shoah schreiben sie trotzdem Deutsch.
Itzik Manger ja nicht. Der hat ausschließlich Jiddisch geschrieben, Gedichte und Balladen, von denen Rose Ausländer viele ins Deutsche übersetzt hat. Immanuel Weissglas, der in Rumänien geblieben ist, hat sowohl auf Rumänisch als auch auf Deutsch gedichtet. Ausländer ist ins Deutsche zurückgekehrt, nachdem sie bis 1958 auf Englisch geschrieben hat: Sie hat sich ja sogar dann in Deutschland niedergelassen.
Oft steht da in der Literatur fälschlich, sie wäre zurückgekehrt. Dabei war Düsseldorf für sie immer ein Exil, weil sie wusste: In die Bukowina kann sie nicht zurück.
Genau. Ich glaube, aus dieser Entscheidung fürs Deutsche und in dem Fall auch für Deutschland spricht unter anderem auch ein Trotz: sich die Sprache nicht nehmen zu lassen.
Wie aber finden sich diese Spannungen in den Porträts? Dietlind Horstmann-Köppers Ansatz scheint mir eine expressionistische Ästhetik aufzugreifen, historisierend vielleicht ...
Historisierend halte ich für einen falschen Begriff: Dietlind hat immer schon figürlich gemalt, lange bevor es wieder modern geworden ist. In den frühen Porträts, die um 2005 entstanden sind, hat sie die Personen sehr stark von der Holocaust-Erfahrung aus betrachtet. In den neueren Bildern, die eher in den vergangenen zwei Jahren entstanden sind, hat sie viel stärker die Lebenskraft betont, das offene Potenzial der Figuren, das sich in der Dichtung ausspricht.
Und literarisch?
Ich versuche in diesen kleinen Porträts auf kurzem, knappem Raum – ein Teil davon waren ja kurze Texte für die Berliner Zeitung – diese DichterInnen darzustellen und damit etwas von der Atmosphäre ihrer Dichtung einzufangen. Also sowohl diese Zeit, die uns da anweht, als auch das, was uns durch die Zeit hindurch heute noch berührt.
Das heißt?
Ich habe jede diese Figuren, also auch das Anekdotische und Biografische, vom Charakter der Gedichte her erzählt. Die Biografien nutze ich natürlich: Das sind sehr anrührende, wichtige Leben, die auch, für mich, sehr tapfer sind. Aber den Ton für jedes einzelne Porträt versuche ich aus den Gedichten zu gewinnen. So hat Gong in New York gelebt und das Glitzernde und Fragmentierte der Großstadt findet sich auch in seiner Lyrik wieder. Dagegen ist Immanuel Weissglas für mich ein trauriger Orpheus. Viele seiner Gedichte kreisen um den Tod. Diesen Klang und die Zartheit seiner Lyrik habe ich versucht, in das Porträt reinzubringen.
Gefreut habe ich mich in Ihrem Text über Rose Ausländer über die Bemerkung, sie habe ihren ersten Mann zweifellos nur wegen seines aparten Nachnamens geheiratet. Das ist eine fast herausfordernde Komik …
Genau. Manchmal muss man ja ein bisschen frech sein. Und Rose Ausländer ist das mitunter ja auch: frech, salopp und sogar sarkastisch.
Tanja Langer
geboren 1962, ist Schriftstellerin und Gründerin des Bübül-Verlags. Zuletzt veröffentlichte die Berlinerin einen Roman, der eine familienhistorische Spurensuche in Lüneburg unternimmt: „Meine kleine Großmutter & Mr. Thursday oder Die Erfindung der Erinnerung“, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2019, 416 S., 18 Euro; E-Book 14,99 Euro
Dabei ist sie oft so kitschig gelesen worden!
Ja, das stört mich auch. Ich denke, sie hat oft mindestens ein Augenzwinkern, und das habe ich in mein Porträt mit eingebracht. Das ist, glaube ich, auch nötig, um das Heutige in diesen Gedichten spürbar zu machen. Ich muss versuchen, sie einem heutigen Publikum nahezubringen, dass die nicht immer denken: Oh, so ein historischer Kack. So ein alter Dichter aus anderer Zeit. Dafür ist dieses Stilmittel, locker zu sein, hilfreich – und nach dem zu gehen, was mir selber Spaß macht oder mich bewegt. Denn das sind oft sehr traurige Geschichten. Trotzdem wäre es falsch, all dies im Holocaust zu ertränken, diese Dichtung und diese Menschen.
Ist Komik ein Mittel, die Shoah auszuhalten?
Ich würde vielleicht weniger von Komik, als von Humor sprechen. Wobei Sigmund Freund und Henri Bergson darin übereinstimmen, dass das Komische immer aus einer Schicht kommt, die entweder traurig oder bösartig ist, ja grausam. Ich glaube, das ist richtig: Ich nenne das Katastrophen-Humor. Ein Lachen trotz allem. Bei Ausländer ist das für mich sehr stark zu spüren. Deshalb heißt mein Porträt von ihr auch „Begabt zum Glücklichsein?“. Denn sie strahlt in ihrem ganzen Dasein etwas aus, als ob da ein unerschütterlicher Kern ist, aus dem sie immer wieder Freude an den Worten oder auch am Leben schöpfen kann.
Das haben aber nicht alle.
Nein. Weissglas ist, wie gesagt, ein sehr trauriger Poet geworden, Celan hat sich das Leben genommen: Jeder hat von einem anderen Fundament aus mit der Katastrophe umgehen müssen.
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