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Arbeiten in der PandemieAbschied vom festen Schreibtisch

Nach dem Auslaufen der Pflicht zum coronabedingten Homeoffice entwickeln sich in vielen Betrieben Mischformen aus Präsenzarbeit und Homeoffice.

Kann die Arbeit im Callcenter, wie hier in Lietzow auf Rügen, auch im Homeoffice verrichtet werden? Foto: Jens Koehler/ imago

Berlin taz | Vom riesigen Bildschirm an der Wand lächeln die KollegInnen mit fast lebensgroßen Gesichtern, als säßen sie vor Ort mit den MitarbeiterInnen, die sich hier live zum Meeting mit den Zugeschalteten versammelt haben. Kameras unter dem Wandbildschirm sind auf Augenhöhe auf die im Raum Sitzenden gerichtet. Es soll so wirken, als seien die Zugeschalteten und die Präsenten hier ganz gleichberechtigt vertreten, fast wie im selben Raum. Microsoft wirbt mit diesen Bildern für die neue „hybride“ Arbeitswelt.

Nach dem Abflauen der Coronapandemie und dem Auslaufen der Pflicht zum Homeoffice am 30.Juni werden sich in vielen Betrieben Mischformen aus mobiler Arbeit und Präsenzarbeit entwickeln. „Es wird in den Unternehmen kaum noch möglich sein, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter komplett in den Betrieb zurückzubeordern. Dass zumindest ein Teil der Arbeit weiter im Homeoffice gemacht werden kann, das wird bleiben. Wenn das Unternehmen das nicht ermöglicht, besteht die Gefahr, dass ein Teil der Mitarbeiter abwandert“, sagt Fabiola Gerpott, Professorin für Personalführung an der privaten WHU – Otto Beisheim School of Management in Düsseldorf.

Die Frage lautet, wie dieses „hybride Arbeiten“ dann organisiert wird. Einer Umfrage der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zufolge arbeiteten während der Pandemie 44 Prozent der abhängig Beschäftigten gelegentlich oder ausschließlich im Homeoffice. Die Mehrzahl wollte diese mobile Arbeit auch nach der Pandemie zumindest teilweise beibehalten. Läuft die coronabedingte Pflicht zum Homeoffice aus, haben Beschäftigte keinen Anspruch mehr auf die Arbeit von zu Hause aus. Unternehmen haben aber ein Interesse am „hybriden Arbeiten“, nicht nur, um Personal zu halten, sondern auch, um langfristig Büroflächen zu sparen.

Im Siemens-Konzern gibt es seit März eine neue Gesamtbetriebsvereinbarung zum mobilen Arbeiten. „Das Ziel ist, dass alle Beschäftigten, bei deren Tätigkeiten es sinnvoll und machbar ist, im Schnitt zwei bis drei Tage pro Woche mobil arbeiten können“, sagt eine Siemens-Sprecherin*. Die Beschäftigten haben laut der Vereinbarung kein Recht auf bestimmte Wochentage für das Homeoffice. Es steht weiterhin jedem ein Schreibtisch im Betrieb zu, es gibt aber keinen Anspruch auf einen ganz bestimmten Tisch.

Mobiles Arbeiten erfordert eine gute Selbstorganisation

Einen festen Arbeitsplatz im Unternehmen zu haben oder den Tisch immer wechseln zu müssen, ist psychologisch ein heikles Thema. Der persönliche Schreibtisch mit den Fotos der Liebsten, vielleicht noch einem Landschaftsbild, dem vertrauten Blick aus dem Fenster, kann den Arbeitsplatz heimeliger machen und Stabilität vermitteln.

Gerpott berichtet, dass manche Unternehmen schon seit Längerem versuchten, von der Regel, dass jedem Mitarbeiter ein bestimmter Schreibtisch zur Verfügung steht, abzuweichen. MitarbeiterInnen hätten dann beispielsweise eigene Boxen oder Kästen, in die sie ihr Arbeitsmaterial einschließen können. „Der feste Schreibtisch im Unternehmen kann aber ein wichtiges identitätsstiftendes Element sein“, sagt die Wissenschaftlerin, „Mitarbeiter versuchen dann oft, ihren Schreibtisch dennoch zu halten.“ Für die Unternehmen aber rechne es sich nicht, Büroflächen bereitzustellen, die dann an vielen Tagen leer stünden, so Gerpott.

Schon die lange Phase des Homeoffice war für viele Angestellte eine Zeit der Herausforderung. Das mobile Arbeiten erfordert eine gute Selbstorganisation. „Ob einem Homeoffice liegt, hat auch mit der Persönlichkeitsstruktur zu tun“, sagt Gerpott. Die Kontakte über Zoom sind zudem anders als Kontakte vor Ort. Erfahrungsgemäß haben Zoom-Meetings zwar den Vorteil, dass Vielredner durch die Regel der Wortmeldungen diszipliniert werden, weil sie nicht einfach unterbrechen können, beziehungsweise das sehr unhöflich wirkt. In virtuellen Meetings sehe man die Kollegen aber ständig aus einer unnatürlichen Nähe, nämlich als Gesicht in Großaufnahme, so Gerpott. Das könne ermüden. Außerdem erblickt man auch sich selbst beständig in Nahaufnahme auf dem Schirm, ein Tatbestand, der möglicherweise mit dazu beitrug, die Zahl der Schönheitsoperationen zu Corona­zeiten in die Höhe zu treiben, wie die Ärztezeitung unlängst meldete. Gerpott rät: „Man kann unter Umständen das eigene Bild während der Zoom-Konferenz abdecken, so dass es zwar für die andern, aber nicht für einen selbst sichtbar ist.“

Manche MitarbeiterInnen haben auch mit der heimischen Beleuchtung vor der Webcam experimentiert. Ein natürliches Tageslicht von vorne, also durch ein Nordfenster, sei am Günstigsten, raten Visagisten im Netz.

Die hohe Kunst des hybriden Arbeitens

Für das neue „hybride Arbeiten“ planen manchen Firmen ihre Büros um. Bei Siemens gebe es aktuell Pläne für eine architektonische Umstrukturierung der Büroflächen, in Zukunft gebe es neue Ruhezonen, neue Kollaborationsflächen für Teams, so die Unternehmenssprecherin. Grundsätzlich verfügten die Mitarbeiter über kleine Spinde, meist aber nicht mehr über große Aktenschränke.

Die Frage, wann wer am besten im Betrieb sei, regelten die Standorte individuell und in der Folge dann auch die Abteilungen, so die Siemens-Sprecherin. Denkbar sei, dass sich Teams beispielsweise auf feste Tage einigten, an denen möglichst alle im Büro sind. Dort werden dann auch die für alle relevanten Meetings abgehalten. Eine Regel für Treffen könnte sein, dass diese immer dann virtuell abgehalten werden, wenn es Kollegen gibt, die an anderen Standorten sitzen, schildert die Sprecherin.

Die hohe Kunst des hybriden Arbeitens ist die Gestaltung der Meetings mit KollegInnen vor Ort und Zugeschalteten. Wichtig bei hybriden Meetings sei, dass die zugeschalteten Kollegen gleichberechtigt mit den Mitarbeitern vor Ort wahrgenommen werden, betont Gerpott, „es gibt die Tendenz, dass die Zugeschalteten weniger präsent sein können, dass sie weniger Redeanteile haben. Dadurch besteht die Gefahr einer Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der es die Zugeschalteten schwerer haben“.

Um der Gefahr einer Benachteiligung zu begegnen, rät Gerpott sogar, dass bei virtuellen Meetings von KollegInnen im Unternehmen und im Homeoffice von vorneherein keine Mitarbeiter vor Ort in einem Raum zusammen sind. Stattdessen sollten alle Beteiligten, „allein vor ihrem Bildschirm sitzen“ und so gleichberechtigt miteinander kommunizieren, auch wenn sie sich in der Firma nur wenige Meter voneinander entfernt befinden.

Ob das neue „hybride Arbeiten“ mit tageweisem Homeoffice von Vorteil ist, hängt auch von persönlichen Faktoren ab: der Wohnsituation, der familiären Situation, dem Anfahrtsweg. „Ich kann mir vorstellen, dass es zum Beispiel Kollegen gibt, denen zu Hause die Decke auf den Kopf fällt. Die können natürlich auch nach wie vor jeden Tag ins Büro kommen“, sagt die Siemens-Sprecherin. Die neuen Arbeits-Mischformen nach Corona sind in vielen Unternehmen ein Experiment, dessen Ausgang offen ist.

*In einigen Unternehmen und Behörden ist es Praxis in den Pressestellen, dass die Spre­che­r:in­nen nicht namentlich genannt werden.

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4 Kommentare

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  • taz: "Kann die Arbeit im Callcenter auch im Homeoffice verrichtet werden?"

    Die Arbeitswelt wird und muss sich natürlich verändern, nicht nur wegen Corona und dem Klimawandel, aber mit der Union wird das wohl nichts werden. Wenn ich mir das Bild oben anschaue, wo Menschen im Callcenter wie Hühner in Legebatterien eingepfercht sind, obwohl sie diese unsinnige Arbeit auch von zu Hause machen können, dann wird es wirklich langsam Zeit einmal über den Umbau der bestehenden Arbeitswelt nachzudenken. Übrigens, Callcenter-"Mitarbeiter" sind zum großen Teil Menschen die mit dem § 10 SGB II vom Jobcenter unter Androhung von Sanktionen in solche "stupiden und sinnfreien Tätigkeiten" gezwungen wurden.

    Wenn man den Klimawandel auch endlich einmal ernst nimmt, dann werden in absehbarer Zeit sowieso viele Jobs verschwinden. Anscheinend hat man immer noch nicht verstanden, dass viele Dinge sich ändern müssen, wenn man als Menschheit überleben möchte. Das 21. Jahrhundert mit all seiner Technik ist schon lange im Gang, nur unsere Politiker leben anscheinend immer noch im 20. Jahrhundert. Wir brauchen endlich Politiker des 21. Jahrhunderts und keine Politiker die immer noch im Gestern leben.

    Was wir brauchen ist zunächst einmal eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden die Woche, wie sie seit Jahren der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Bontrup fordert, und danach sollte man endlich einmal ernsthaft über das bedingungslose Grundeinkommen nachdenken.

  • "Die Frage, wann wer am besten im Betrieb sei, regelten die Standorte individuell und in der Folge dann auch die Abteilungen, so die Siemens-Sprecherin. Denkbar sei, dass sich Teams beispielsweise auf feste Tage einigten, an denen möglichst alle im Büro sind."

    Alles rein freiwillig und von den Mitarbeitern ausgehend, versteht sich. Denn sonst ist es eine Dienstanweisung und es ist kein mobiles Arbeiten mehr, sondern Homeoffice mit all seinen ungeliebten Konsequenzen für den Arbeitgeber.

  • Viele MA denken, sie arbeiten künftig 3 Tage zuhause und 2 Tage kommen sie ins Büro, wo der feste Büroarbeitsplatz wartet - nur, so läuft das nicht. Denn kein Arbeitgeber wird 2 vollwertige Arbeitsplätze finanzieren, das rechnet sich doch nicht. Bei uns werden flexible Arbeitsplätze eingerichtet - d.h., wer ins Büro kommt, dockt seinen Laptop an die Dockinstation an irgendeinem Arbeitsplatz, feste Büros gibt es nur für die, die immer da sind. Das heisst aber, man sitzt dann eben nicht mit seinen Kollegen zusammen, wenn man im Büro ist, sondern eben da, wo Platz ist .... Mal sehen, ob das dann immer noch so attraktiv ist, wenn die Entwickler dann nicht zusammen sitzen und sich austauschen können, sondern alle bunt gemischt....

  • So ein Büro wie im Titelbild ist doch schrecklich. Da beneide ich niemanden der da arbeiten muss.