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Verdrängung von WohnungslosenVon wegen Nachbarschaft

An­woh­ne­r*in­nen und Gewerbetreibende rund um den S Holstenstraße wünschen sich eine „gute Nachbarschaft“. Die gilt aber nicht für alle.

Suchtkranke Menschen sind hier nicht mehr erwünscht: der Hamburger S Holstenstraße Foto: Miguel Ferraz

Suchtkranke Menschen sind am S-Bahnhof Holstenstraße und in der weiteren Umgebung nicht mehr erwünscht. In einem Brief an die Hamburger Fraktionen fordern An­woh­ne­r*in­nen und Gewerbetreibende eine „gute Nachbarschaft“ – in der Suchtkranke und Obdachlose augenscheinlich keinen Platz finden. Wohin sie stattdessen ausweichen sollen, wird nicht erwähnt.

Laut einer Mitteilung der Christuskirche Altona fanden sich am 22. Juni Anwohner*innen, Gewerbetreibende, Ver­tre­te­r*in­nen sozialer Einrichtungen und politischer Parteien zusammen, um über die Situation rund um den S-Bahnhof Holstenstraße zu diskutieren. Nach einer einstündigen Veranstaltung habe man* schließlich schriftlich festgehaltene Forderungen an die Po­li­ti­ke­r*in­nen übergeben. In dem Brief mit dem Titel „Auf gute Nachbarschaft!“ wünschen sich die Beteiligten unter anderem eine „gestalterische Neukonzeption bekannter Sammelorte“ von Suchtkranken und Obdachlosen.

Der Zweck solcher Umbaumaßnahmen wird zwar nicht direkt genannt, lässt sich aber als Vertreibung der Betroffenen von den genannten Orten deuten. Weiterhin hoffe man* auf eine konsequentere Verfolgung von Straftaten. Die konkrete Forderung lautet: „verstärkte regelmäßige oder dauerhafte Präsenz der Polizei“.

Dass Polizeipräsenz eher zur Vertreibung als zu einer Lösung auf Augenhöhe führt, weiß Florian Pittner. Er ist Straßensozialarbeiter und steht mit den suchtkranken Menschen an der Holstenstraße in engem Kontakt. Bevor einige von ihnen dorthin kamen, gingen sie zum „Drob Inn“ in St. Georg, einem Raum für kontrollierten Konsum. Einzelberichten zufolge fühlten sie sich von dort vertrieben, als Polizeikontrollen zunahmen. „Dass die polizeiliche Repression zugenommen hat, wurde von vielen Seiten bestätigt“, so Pittner.

Es fehlt ein Konsumraum

Obwohl es in Altona zwei Anlaufstellen für Wohnungslose und Suchtkranke gibt, bleibt die S-Bahn-Station ein beliebter Treffpunkt. Grund dafür könnte das Fehlen eines Konsumraumes sein, in dem der kontrollierte Konsum illegaler Drogen möglich ist, wie es zum Beispiel im „Drob Inn“ angeboten wird. Pittner arbeitet in einer der Anlaufstellen in Altona, gegründet von Fördern & Wohnung und Palette e. V. „Wir bieten zwar Essen, eine Kleiderkammer usw. an, haben aber keinen Konsumraum“, erklärt Pittner. Der Konsum illegaler Drogen werde sanktioniert. Daher konsumierten die Leute eben dort, wo sie einen Platz fänden.

Konsumräume hält Pittner generell für sinnvoll: Durch zusätzliche ärztliche Betreuung könne man* Krankheiten besser in den Griff kriegen und weniger Menschen müssten schwer erkranken oder sterben. Im öffentlichen Raum würden sich Pas­san­t*in­nen weniger gestört fühlen: „Die Erfahrung zeigt, dass das für alle Beteiligten ein Gewinn wäre.“

Der Dialog mit Betroffenen erweist sich als schwierig. Sie bleiben unter sich, suchen nicht wirklich die Interaktion mit Pas­san­t*in­nen – bei den andauernden Auseinandersetzungen wenig verwunderlich. Pittner bestätigt, dass viele Betroffene sehr misstrauisch seien. Häufig hätten sie schlechte Erfahrungen gemacht und seien teilweise traumatisiert. Als staatlich anerkannter Suchttherapeut könne er das beurteilen. Man* brauche geschultes Personal, um Beziehungsarbeit zu leisten. „Gerade ich als Straßensozialarbeiter kann mit einem sehr geringen Aufwand ziemlich viel für diese Leute erreichen“, so Pittner.

Vertreibung funktioniert nicht

Auf Anfrage berichtet das Bezirksamt Altona, dass unter anderem der sogenannte „Trinker-Kiosk“ am Düppelplatz entfernt worden sei, um die Situation in der Umgebung weiter zu „befrieden“. Wie das Hamburger Abendblatt berichtete, ließ der Bezirk den Pachtvertrag auslaufen. Der Kiosk sei als Treffpunkt in Zusammenhang mit Alkohol bekannt gewesen. Von „Holstenplatz-Verschmutzung“ war die Rede. Der Bezirk wolle das Areal dort umgestalten, um eine „bessere Verträglichkeit im öffentlichen Raum zu fördern“.

Wofür ich nicht offen bin, vor allem aufgrund der Hamburger Geschichte, ist Vertreibung

Florian Pittner, Straßensozialarbeiter

Florian Pittner sieht das kritisch: „Wofür ich nicht offen bin, vor allem aufgrund der Hamburger Geschichte, ist Vertreibung.“ Vor wenigen Jahren seien am Hauptbahnhof Richtung Kirchenallee alle überdachten Flächen privatisiert worden, sodass sich dort nur noch Menschen aufhalten könnten, die das Security-Personal als Reisende wahrnehme. Soziale Randgruppen seien nach St. Georg verdrängt worden. Ein weiteres Beispiel sei die Vertreibung der Dea­le­r*in­nen rund um den Hauptbahnhof in alle möglichen Stadtteile 2001 unter Innensenator Olaf Scholz. „Die Menschen werden nicht verschwinden“, betont Pittner. Das wisse man* in Hamburg bereits.

„Vertreibung funktioniert nie“, sagt auch Gregor Werner, SPD-Vorsitzender von Altona-Nord-Sternschanze. Die Problematik rund um die Holstenstraße sei ihm vollumfänglich bekannt. Was die politischen Ziele angehe, wolle man* Sozialarbeit mehr fördern und eine öffentliche Toilette installieren, damit die Straßen sauber bleiben. Trotzdem erwarte er auch von der Polizei, dass sie allen illegalen Handlungen nachgehe: „Wenn Straftaten konsequent verfolgt werden, erübrigen sich viele der Probleme“, so Werner. „Es soll kein Raum sein, an dem man Angst haben muss.“

Thérèse Fiedler, Anwältin für Sozialrecht und Bezirksfraktionsvorsitzende der Linken in Altona, sieht die geforderte Polizeipräsenz kritisch. Auch sie befürchtet eine Vertreibung der Wohnungslosen. Die Situation am Holstenplatz zeige deutlich, dass sich der Sozialstaat im Abbau befinde: „Es ist so, dass insbesondere während der Coronapandemie eine Verelendung unter den Obdachlosen zu beobachten ist“, sagt Fiedler zur taz. Auch die Trinkwasserversorgung sei für Menschen ohne Unterkunft im Sommer fatal. Sie nehme nicht wahr, dass Bezirksamt oder Fachbehörden handelten. Als Partei kämpfe die Linke für den niedrigschwelligen Ausbau menschenwürdiger Strukturen und stelle entsprechende Anträge.

Laut Pittner ist die einzige Lösung ein struktureller Ansatz und Mehrfinanzierung von Sozialarbeit. Suchtkranke seien Menschen, die durchs soziale Netz gefallen seien und keine Lobby hätten. „Das ist das Resultat einer jahrzehntelangen nicht-adäquaten Gesundheits-, Drogen- und Sozialpolitik“, sagt Pittner. Es gehe jetzt darum, den Menschen Stück für Stück ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen und die Verelendung zu stoppen. So etwas gehe nicht über Nacht.

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6 Kommentare

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  • "Vertreibung von Dealer*innen rund um den Hauptbahnhof. Diese Menschen werden nicht verschwinden."



    Ist Dealen nicht eine Straftat?



    Wird also ganz klar gesagt, dass hier Straftaten nicht verfolgt werden (sollen?) und man bitte als Anwohner oder Reisender damit zu leben habe?



    Gilt das auch in anderen Bereichen?

    Ich vermisse in dem Artikel ein bisschen die Sicht der Anwohner. Die haben doch auch begründete Wünsche nach einer sauberen, sicheren Nachbarschaft, sicher vor allem auch für Kinder. Sicher vor Dreck (Kot etc.) und Angst (vor Übergriffen Betrunkener etc.). Müsste deren Anliegen nicht mit eingearbeitet werden und überlegt werden, wenn die Suchtkranken und Obdachlosen dort bleiben sollen, wie dann für alle ein sicheres Leben möglich ist?



    Es gibt ja nun sehr freundliche Obdachlose, vor denen man auch keine Angst haben muss; Suchtkranke können friedlich, aber durch die Sucht und fehlende Drogen manchmal eben auch aggressiv sein. Sollen die Anwohner einfach lernen, damit zu leben?

  • Nochmal eine Frage, Herr Door.



    Waren Sie bei der Veranstaltung in der Christuskirche am 22.06.2021 selbst vor Ort oder beruht ihr Artikel nur auf Aussagen Dritter?



    Das würde ich nämlich kritisieren. Weil Sie sich in diesem Fall kein eigenes Bild gemacht hätten. Für einen Journalisten ist das eher ungünstig, finde ich.

  • Sehr geehrter Herr Door. Ich wohne schon sehr lange in diesem Bereich von Altona. Seit über 20 Jahren sind die Anwohner hier sehr tolerant und konziliant den Drogensüchtigen gegenüber. So lange besteht diese Lage nämlich schon. Dass Sie jetzt hier auf genau diese Menschen verbal einschlagen führt ja nicht weiter. Es gibt tatsächlich alltägliche Probleme mit den Suchtkranken. Vollgekotete Hauseingänge, mehrere Kellereinbrüche von denen ich definitiv weiß, dass sie mit der Drogenszene in Zusammenhang standen. Wo ist dann der Sozialarbeiter? Macht er das weg? Machen Sie das weg. Der Vermieter hat sich für nicht zuständig erklärt. Es bleibt also an den Bewohnern hängen.



    Die Stellungnahme der Anwohner mit dem Titel "auf eine gute Nachbarschaft" spricht an keiner Stelle von Verdrängung, wie Sie behaupten. christuskirche.de/...ute-nachbarschaft/



    Es geht um gegenseitigen Respekt. Den lässt aber das Klientel von Herrn Pittner sehr oft vermissen.



    Das Bezirksamt hat sich ja entschlossen, die Szene dauerhaft im Viertel zu halten und weiter auszubauen. Oder warum soll nun auch noch ein Angebot für Menschen unter 27 Jahren geschaffen werden, die bisher kaum hier aufgetaucht sind.



    Dieser Stadtteil ist sowieso hoch belastet durch überbordenden Autoverkehr und jahrelange Bauarbeiten. Neue Mitte Altona, Bahnhof Diebsteich und Holstengelände. Wozu konzentriert man denn hier alle Probleme? Will man die Anwohner austauschen gegen zahlungskräftigere, mit weniger sozialem Zusammenhalt? Damit die Politik leichter durchregieren kann?



    Frau Fiedler hat Recht. Die Zustände sind ein Spiegel der Gesellschaft und ihrer brutalen Spaltung in Arm und Reich.



    Es trägt aber nicht zum Ausgleich dieser Verhältnisse bei, auf die Anwohner einzuschlagen, wie Sie es in Ihrem Artikel tun, wie es auch viele andere tun. Die Anwohner sind den Drogis meilenweit entgegen gekommen. Nun kann die andere Seite die Anwohner auch mal respektieren. Wozu sind den Sozialarbeiter da?

    • @Leo Gottschalk:

      Herr Gottschalk,

      ich kann in der Stellungnahme keine Lösungsansätze für "die Klientel", um die es geht, finden.



      Außer Aufklärung über Verbote findet sich dort nichts. Und die geforderten "Umgestaltungen" sprechen doch eine eindeutige Sprache.



      Dass es hier um suchtkranke Menschen geht, die eine Anlaufstelle wie das Drob Inn benötigen, scheint ihnen nicht klar zu sein.



      Das was aber klar wird, wenn ich die Stellungnahme lese:



      Not in my backyard. Aber keine Lösungsvorschläge, wie den Suchtkranken wirklich(!) geholfen werden soll.



      Kritik ("einschlagen") daran, auch in Form eines taz-Artikels, müssen sich die Betroffenen dann gefallen lassen. Zum letzten Satz (" Wozu sind..."): Sozialarbeiter*innen sind in erster Linie Fürsprecher*innen ihrer Klient*innen. Ferner können sie durchaus als Vermittler*innen, in diesem Fall zur Ini, auftreten. Dafür braucht es aber Offenheit, bzw. ein Interesse an wirklichen Lösungen, die ich bei der Anwohner*innen-Ini vermisse.



      Und ja, Herr Gottschalk, auch ich bin Anwohner einer Drogenhilfe-Einrichtung in Altona. Auch mir gehen die Begleiterscheinungen, die so eine Einrichtung mit sich bringt, mitunter auf die Nerven. Mir ist aber auch klar, dass solange die Gesellschaft und somit insbesondere die Politik keine wirklichen Lösungsansätze bietet, ich die Situation, so wie sie ist, hinnehmen muss.

  • Ich möchte in meiner Nachbarschaft keinen Sammelpunkt von Drogenabhängigen oder Obdachlosen haben. Punkt.



    Und das ist weder rassistisch noch ausgrenzend - ich muss nämlich nicht alles und jeden mögen und auch nicht die Folgen davon, wie z.B. dass Obdachlose sich in Ermangelung von Toiletten auch gern in Hauseingängen erleichtern oder Spritzen im Gras liegen.

    • @Holger Steinebach:

      Doch, das ist ausgrenzend.



      Zumal sie ja zumindest einen Teil der Problematik erkannt haben.