96-jähriger Uni-Absolvent: Die Freiheit der Seniorstudenten
Archie White hat mit 96 Jahren sein Studium der Bildenden Kunst abgeschlossen – frei von finanziellen Zwängen und Zukunftsängsten.
Das Jurastudium mit guten Jobaussichten schmeißen, um endlich Kunst zu studieren? Diese Frage, die junge Menschen aus der Generation Prekär sich heute zweimal überlegen, stellte sich Archie White nicht.
Sein Jurastudium schloss er bereits vor Jahrzehnten ab und arbeitete dann bis zur Rente – mit 92 Jahren – als Anwalt in einer eigenen Kanzlei in der englischen Stadt Hastings. Mit 96 Jahren und 56 Tagen hat er nun auch sein Zweitstudium abgeschlossen. White war am East Sussex College für den Bachelor Bildende Kunst eingeschrieben. Auf dem Stundenplan standen Töpfern, analoge Fotografie und das Grafikprogramm Photoshop.
Archie White, der sein Berufsleben schon hinter sich hat, sorgt sich nicht darum, ob irgendjemand seine Bilder kaufen will. „Wenn irgendwer blöd genug ist, meine Bilder zu kaufen, freue ich mich, wenn nicht, ist es auch egal“, sagt er.
Er sorgt sich allerdings um seine Kommiliton:innen: „Ich selbst hatte eine lange und erfüllende Karriere, was mich traurig macht, ist, dass viele Absolventen unweigerlich Schwierigkeiten haben werden, über die Runden zu kommen.“ Was sich ein bisschen nach der Narrenfreiheit eines unbeschwerten Seniorstudenten anhört, kommt dem Humboldt’schen Bildungsideal sehr nahe: Lernen und sich bilden, frei von finanziellen Zwängen und dem bangen Blick, was der angestrebte Abschluss auf dem Arbeitsmarkt wert sein wird.
Kunst und Philosophie
Ebenfalls mit 96 Jahren schloss letztes Jahr der Italiener Giuseppe Paternò ein Philosophiestudium an der Universität Palermo ab. Bei Paternò lagen die Dinge allerdings etwas anders. Aufgewachsen im Sizilien der 1930er Jahre konnte sich seine Familie die Finanzierung eines Studiums nicht leisten. Paternò wurde Eisenbahnarbeiter, mit seinem Studium holte er einen lang gehegten Lebenstraum nach. Den Platz des ältesten Uniabsolventen weltweit haben die beiden übrigens knapp verpasst.
Den nimmt der Japaner Shigemi Hirata ein, der vor fünf Jahren mit 96 Jahren und 200 Tagen sein Studium an der Universität Kioto abschloss. Eines haben die drei Seniorstudenten gemeinsam: Sie haben die Fächer Kunst oder Philosophie studiert, also Fächer, mit denen die Jobaussichten für junge Absolvent:innen in der Regel nicht besonders rosig sind.
Aber mal ehrlich, wer würde mit Anfang 90 auch auf die Idee kommen, noch mal Business Administration zu studieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei