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Die Kuppel der Görlitzer Synagoge ohne Davidstern, der wurde 1938 in der Progromnacht zerstört Foto: Nikolai Schmidt

Jüdische Gemeinde in SachsenDavidstern am Himmel von Görlitz

In der sächsischen Stadt erwacht das jüdische Leben erneut. Nach 30 Jahren Sanierung wird die Synagoge als Kulturforum wiedereröffnet.

D ie Wege des Herrn sind unerforschlich. Da begegnet Alex Jacobowitz in einem koscheren Restaurant in Berlin Besuchern aus Görlitz. Man kommt ins Gespräch, die Görlitzer erzählen, dass sie eine kleine jüdische Gemeinde seien und gern hin und wieder Gottesdienst feiern würden. Ob Jacobowitz, ein ausgebildeter Kantor, nicht helfen könne? Gern, sagt Jacobowitz, der als Xylofonvirtuose und Klezmermusiker sein Geld verdient. Und so kam Alex Jacobowitz Anfang 2008 erstmals nach Görlitz. Sein Leben, das in New York begann, nach Israel führte und später nach Berlin, nahm eine neue Wendung. Das kann man inzwischen auch von der 55.000-Einwohner-Stadt Görlitz sagen.

„Ich habe die riesige Synagoge gesehen. Ich hätte mich geschämt, vor den Leuten, vor ihren Seelen, die als Echos dort zu hören sind“, hebt Jacobowitz an. Er ist die wenigen Stufen zum Portal hinaufgegangen, drückt die eine Klinke, dann die andere. Die Türen gehen nicht auf, Jacobowitz ahnt es. Alles fest verriegelt. Vor der Mitteltür stehend, deutet er hinauf zu einer Tafel, die aus dem Putz ragt, allerdings keine Inschrift trägt, jedenfalls nicht mehr. „Es gab einen Hauptspruch, Exodus 25,8: Bauet mir ein Heiligtum, damit ich unter euch wohne!“ Natürlich auf Hebräisch, fügt Jacobowitz an. Nahezu alles an der Synagoge ist haarklein rekonstruiert, erzählt er, die handgetriebenen Leuchter, die Lichtschalter aus Bakelit, und der Marmor kommt aus demselben Steinbruch wie 1911. Dieser Spruch aber fehlt. Man will Spuren der Zerstörung sichtbar lassen, heißt es dazu von der Stadt. Jacobowitz findet es eher peinlich. „Haben die Leute Angst vor Hebräisch?“

Wenn es um die Synagoge geht, sprudelt es aus ihm heraus wie aus einem Quell. Jacobowitz hat ein Buch über die Synagoge geschrieben, voll mit Fotos und Dokumenten. Spricht er über die Baugeschichte, bleibt das Wasser klar. Er weiß um die Symbolik der Fenster, er korrigiert Fehlinterpretationen, erklärt den theologischen Hintergrund von Details. Spricht er aber über das Schicksal der Synagoge, trübt es sich schnell ein. „Die Tafeln der Zehn Gebote waren in den siebziger Jahren noch zu sehen. Die Synagoge war nicht abgeschlossen. Nicht allein die Nazis waren schuld“, sagt Jacobowitz, „die DDR war auch schlimm.“

Die Größe der Synagoge ist am Haupteingang nur zu ahnen. Man muss am Zaun entlanggehen, dann erblickt man die mächtige Kuppel. Ein Davidstern krönte das Bethaus, das von der Pogromnacht 1938 weitgehend verschont blieb. Den Stern allerdings stieß man herunter. Und der fehlt bisher, so wie die hebräische Inschrift.

Überlebende in alle Winde zerstreut

Es muss eine selbstbewusste Gemeinde gewesen sein. Zuerst wurde ihr das Gebäude genommen, dann ihre ganze Existenz. Mehr als zweihundert Mitglieder wurden ermordet, andere suchten den Freitod. Die mit dem Leben davonkamen, wurden in alle Winde zerstreut. „Dass die Synagoge überhaupt noch steht, ist ein Wunder. Ein Wunder hoch drei!“ Jacobowitz’ Blick geht wieder nach oben. „Eigentlich ist die Kuppel unnütz“, erklärt er. „Die Kuppel hat nur einen Zweck – den Davidstern zu tragen und zu zeigen: Wir sind hier!“ Der Davidstern wird sich hier, nach einigen Unklarheiten, bald wieder erheben.

„Fakt ist, es gibt Juden in Görlitz. Und wenn es dort eine jüdische Gruppe gibt, muss das gefördert werden“

Nora Goldenbogen, Ex-Vorsitzende der jüdischen Gemeinden in Sachsen

Eine jüdische Gemeinde Görlitz? Markus Bauer hat Zweifel, wen Alex Jacobowitz, außer sich selbst, vertritt. „Ich würde mich freuen, wenn es tatsächlich jüdisches Leben in Görlitz geben würde“, hat Bauer heute schon gesagt. „Wir sind etwas skeptisch.“ Bauer und Jacobowitz sind per Du, beide sind Mitglieder im Förderkreis Görlitzer Synagoge. Ansonsten sind die Gemeinsamkeiten inzwischen aufgebraucht. Einem gemeinsamen Foto vor der Synagoge haben beide aber zugestimmt. Jacobowitz hat sich den baumwollenen Tallit, den jüdischen Gebetsmantel, übergeworfen, die Kordeln flattern am Körper, mit zwei Gebetsbüchern in den Händen scheint er der geborene Hausherr. Markus Bauer wirkt daneben wie ein freundlicher Statist.

Hier treffen nicht nur zwei Männer aufeinander, sondern auch zwei Lebenswelten, vielleicht auch zwei Prinzipien. Hier der Historiker aus Frankfurt am Main, der promoviert und wissenschaftliche Meriten gesammelt hat und dessen Lebenswerk das Schlesische Museum in Görlitz krönt. Seit Mai ist Bauer im Ruhestand. Daneben der Xylofonvirtuose Jacobowitz, der in der Tradition eines Klezmers als Straßenmusiker mit einem mächtigen Instrument durch Europas Städte zieht, der mit seiner Musik die Schöpfung und dem Schöpfer preist, zwischendurch Witze reißt und dann wieder zarteste Klänge herbeizaubert, kurzum – ein Entertainer, der sich seiner Wirkung bewusst ist. Als „Tausendsassa auf dem Xylofon“ haben ihn Zeitungen bejubelt. Allzu lange hält Bauer den gemeinschaftlichen Auftritt nicht aus, steigt aufs Rad und fährt davon.

„Dass die Synagoge überhaupt noch steht, ist ein Wunder“

Alex Jacobowitz, Kantor und Klezmer-Musiker

2004 gründete sich der Förderkreis Görlitzer Synagoge, um die Synagoge, eine ewige Baustelle, mit neuem Leben zu füllen. Markus Bauer war von Anbeginn dabei, heute ist er Vereinsvorsitzender. Ziel des Förderkreises war es, einen Ort zu schaffen für Konzerte, Foren und Ausstellungen. Natürlich unterstützt der Förderkreis die Gründung einer jüdischen Gemeinde. Sein Vorsitzender Bauer glaubt aber nicht, dass es diese schon gibt. „Es hat viele Jahre keine Juden in Görlitz gegeben“, sagt Bauer. Erst nach der Jahrhundertwende regte sich neues Leben. Eine Frau, die aus einer Bukarester jüdischen Familie stammt, wollte 2004 wieder eine Gemeinde etablieren, erzählt er. Die Frau, eine Tierärztin und Unternehmerin, gründete den Verein „Jüdische Gemeinde Görlitz“. „Sie hat einigen Wirbel veranstaltet“, fasst Bauer dezent zusammen.

Eine Aktivistin unterbreitet ambitionierte Pläne

Artikel in der Sächsischen Zeitung (SZ) aus jenen Jahren werden deutlicher. Sie beschreiben eine Aktivistin, die der Stadt ambitionierte Pläne unterbreitet und Ansprüche anmeldet. So wollte sie die Synagoge von einem israelischen Unternehmer kaufen und sanieren lassen. Als die Stadt zögerte, wandte sie sich kurzerhand an Israel Railways, die israelische Staatsbahn, die gerade Doppelstockwagen im Görlitzer Bombardier-Werk fertigen ließ, um wirtschaftlich Druck für ihre Pläne zu erzeugen. Dieser Furor hat viele irritiert. Das Verhältnis zum damaligen Oberbürgermeister galt als besonders angespannt, da der Mann die Existenz einer jüdischen Gemeinde kategorisch ausschloss und stets von der „ehemaligen Synagoge“ sprach. Nach seiner Abwahl suchte er die Nähe zur AfD.

Über die Gemeindegründerin finden sich im SZ-Lokalteil berechtigte Kritik, aber auch empörte Briefe. Und auch diese Notiz: Im Juli 2008 schlichen sich Unbekannte auf ihr Anwesen und gruben ein zwei Meter großes Hakenkreuz in den Boden. Bald darauf verließ die Frau Görlitz in Richtung Schweiz. Als Motiv hört man in der Stadt, gestützt auf einen SZ-Beitrag, ausschließlich von wirtschaftlichen Problemen.

Klezmermusiker Alex Jacobowitz (links) und Historiker Markus Bauer vor der Synagoge Foto: Nikolai Schmidt

Wenn Markus Bauer redet, spürt man, wie er einen Spagat versucht: Einerseits betont er die Interessen einer neuen Gemeinde. „Wir würden uns freuen und den Vorstand der Jüdischen Gemeinde treffen“, beteuert er. Andererseits bleiben die Zweifel an der Existenz dieser Gemeinde.

Und dann ist da noch Bauers Verein, der Förderkreis, der ehrenamtlich über Jahre das Interesse an der Synagoge wach hielt. Der Verein hat ein Buch über die jüdische Geschichte von Görlitz herausgegeben, das sich, insbesondere was die NS-Zeit betrifft, äußerst beklemmend liest. Jetzt, wo das neueste Görlitzer Juwel eröffnet wird, scheint der Verein beiseite geschoben.

Skepsis gegenüber der jüdischen Gemeinde

Görlitz als Eigentümerin hat die Nutzung an die stadteigene Kulturservicegesellschaft übertragen, die das Gebäude als besondere „Location“ bewerben wird – etwa für Workshops, Tagungen, Konzerte. Das Nutzungskonzept ist voll von betriebswirtschaftlichen Kalkulationen, die Kulturservicegesellschaft muss Erträge erwirtschaften. Die Vorstellung, irgendwann einmal einen Zahnärztekongress zu erleben, ist für Bauer ein Graus. Der Förderkreis, der 17 Jahre lang das Projekt „kritisch“, wie Bauer betont, begleitet hat, bekommt vom Rathaus einen Sitz im neuen Kuratorium – als Dank. Man könnte das auch als Herabsetzung empfinden. Und dann taucht Alex Jacobowitz auf und beansprucht die Synagoge, zumindest moralisch, für eine jüdische Gemeinde, deren Existenz Markus Bauer zweifelhaft erscheint.

„Das ist keine einfache Sache mit der Görlitzer Gemeinde“, seufzt Nora Goldenbogen am Telefon. Die langjährige Vorsitzende des Landesverbands der jüdischen Gemeinden in Sachsen hat die Entwicklung von Dresden aus verfolgt, sie kennt Alex Jacobowitz, sie kannte die damalige Gemeindegründerin. Die Skepsis gegenüber der jüdischen Gemeinde rühre von daher, sagt sie. Sie selbst sei schließlich auch skeptisch gewesen. „Wir haben das als Landesverband nicht wirklich unterstützt“, räumt sie ein. Trotzdem habe man sich damals schon gewünscht, dass die Wochentagssynagoge, der kleine Gebetsraum hinter dem Kuppelsaal, für Gottesdienste offensteht.

Das jetzige Unterfangen erscheint ihr deutlich hoffnungsvoller. Ob es für eine vollgültige jüdische Gemeinde reicht, sei natürlich offen. „Es müssten zehn jüdische Männer sein, die den Gottesdienst führen können“, erklärt sie, in liberalen Gemeinden könnten das auch Frauen leisten. Jenseits dieser liturgischen Vorgaben ist eines allerdings klar: „Fakt ist, es gibt Juden in Görlitz. Und wenn es dort eine jüdische Gruppe gibt, muss das gefördert werden.“

Prächtiger Bau: die Synagoge in Görlitz Foto: Nikolai Schmidt

Im Görlitzer Rathaus am historischen Untermarkt gibt man sich zurückhaltender, irgendwie auch dogmatischer. „Herr Jacobowitz brennt, eine jüdische Gemeinde zu etablieren“, sagt anerkennend Michael Wieler. Wieler selbst, seit 2009 Bau- und Kulturbürgermeister, kenne zwar eine Handvoll Jüdinnen und Juden in der Stadt, „im ­religiösen Sinne gibt es jedoch keine jüdische ­Gemeinde.“ Was es gebe, sei ein Verein, der in­aktiv sei.

Eine Kostprobe jüdischen Gemeindelebens

Wieler, ehemaliger Intendant des Görlitzer Thea­ters, kann kenntnisreich über jüdische Einflüsse auf das deutsche Bühnenschaffen reden. So könne er sich persönlich in der Synagoge auch so etwas wie Operettendarbietungen vorstellen. Schließlich sei die Berliner Operette ohne jüdische Kulturschaffende nicht denkbar. Überhaupt sei vieles möglich, natürlich auch Gottesdienste. Nur eines schließt Wieler kategorisch aus: Thora­rollen soll sie dauerhaft nicht mehr beherbergen. Dann „wäre eine säkulare Nutzung des Gebäudes belastet“. Ansonsten könne man über alles diskutieren. Noch einmal darauf angesprochen, ob es nicht schon eine jüdische Gemeinde gebe, entgegnet der Kulturbürgermeister, wenn es sie geben sollte, werde man ein vernünftiges Agreement finden. Die Frage, antwortet Wieler, sei aber „hypothetisch“, und lächelt sanft.

Am nächsten Morgen gibt es unerwartet eine Kostprobe vom jüdische Gemeindeleben. „Nur eine Viertelstunde!“, bekräftigt die Mitarbeiterin der Kulturservicegesellschaft resolut und wirkt doch überfordert, als Alex Jacobowitz, die Kippa auf dem Haupt und mit einem kleinen Tross im Schlepp, in die Synagoge einzieht. Es ist ein Husarenstück, wie Jacobowitz die eigentlich geschlossene Synagoge hat öffnen können. Man könnte es auch Chuzpe nennen.

Oberbürgermeister Octavian Ursu hat nämlich verfügt, dass die Synagoge für Besichtigungen und Presse bis zur offiziellen Eröffnung am 12. Juli verschlossen bleibt. Man wolle die Pracht und den „Aha-Effekt“ aufsparen. Selbst die Freigabe von Fotos ist streng reguliert. Es hat etwas von weihnachtlicher Bescherung und wirkt seltsam kleinlich, angesichts der Geschichte dieses Hauses und der öffentlichen Gelder, die hier verbaut wurden.

Synagoge in Görlitz

• Am 7. März 1911 wird die neue Synagoge in Görlitz mit Platz für 500 Personen eingeweiht. Die jüdische Gemeinde Görlitz hat etwa 700 Mitglieder.

• In der Pogromnacht am 9. November 1938 wird auch die Synagoge angezündet, das Feuer aber gelöscht. Bis heute gibt es mehrere Versionen, warum das Gebäude weitgehend verschont blieb. Als weithin sichtbares Zeichen wurde jedoch der Davidstern auf der Kuppel abgeschlagen.

• Am 23. März 1939 kauft der Görlitzer Stadtrat das Gebäude deutlich unter Wert. Es gibt Bestrebungen, eine Bibliothek einzurichten.

• 1945 überträgt die sowjetische Besatzungsmacht das Gebäude der jüdischen Gemeinde Dresden.

• 1963 kauft die Stadt Görlitz das Gebäude zurück und erklärt es zum Kulturdenkmal.

• Bis 1989 verfällt die Synagoge. Es gibt nur wenige Versuche, das Gebäude zu sichern.

• Ab 1991 beschließen der Görlitzer Stadtrat und der sächsische Landtag, die Synagoge zu sichern. Es erfolgen die Sanierung von Dach und Kuppel.

• 1994 fordert die Jewish Claims Conference die Rückübertragung der Synagoge, ändert ihre Ansprüche auf Entschädigung und bekommt vom Verwaltungsgericht Dresden Recht. Görlitz zahlt bis 2005 in mehreren Raten Entschädigung.

• 1997 wird die Synagoge zur „bespielbaren Baustelle“. Unter anderem treten Jehudi Menuhin und Wolf Biermann auf.

• 2004 gründet sich der Förderkreis Görlitzer Synagoge.

• 2012 wird die Synagoge Bau­denkmal von nationaler Bedeutung. Umfangreiche Sanierungsmaß­nahmen beginnen.

• Am 12. Juli dieses Jahres wird das Kulturforum Görlitzer Synagoge eröffnet. Die Gesamtkosten der Restaurierung belaufen sich auf knapp 10 Millionen Euro. (thg)

Was für Außenstehende nur als das Ausladen von Büchern erscheint, ist für Alex Jacobowitz ein historischer Akt. „Es ist das erste Mal seit über achtzig Jahren, dass Gebetsbücher wieder einen Platz in der Synagoge bekommen“, sagt er. Der Tross, zwei Helfer, ein Fotograf und eine Pressevertreterin, sei nur da, um beim Tragen der Bücher zu helfen, betont Jacobowitz und verweist auf sein fortgerücktes Alter. Der Mann ist 61 Jahre alt. Jacobowitz trägt das „Siddur Schomer Jissrael“, zwei Versionen eines Gebetsbuchs, dann geschwind durch den Kuppelsaal in die Wochentagssynagoge und verstaut sie, als wäre er hier zu Hause, in einen Schranktisch vor dem Thoraschrein.

Von Anfang an größer gedacht

Zurück im Kuppelsaal hebt er ganz plötzlich an und singt „Schma Jisrael …“, das Glaubensbekenntnis aus dem fünften Buch des Pentateuchs, zu Deutsch: Höre Israel! Der Ewige, unser Gott, der Ewige ist eins!, so, wie es in der Synagoge gebetet wurde. Klar und hell klingt seine Stimme unter der Kuppel nach. Als Jacobowitz die Synagoge wieder verlässt, folgt ihm eine junge Frau. Ja, sie ist eine Jüdin aus Sohland, einem Ort etwa dreißig Kilometer von Görlitz entfernt, und fühle sich der Gemeinde Görlitz zugehörig, sagt sie lächelnd.

Sicher noch keine Gemeinde, aber Zeichen jüdischen Lebens. Alex Jacobowitz hat die Gemeinde von Anfang an größer gedacht, Zgorzelec, den polnischen Teil der Stadt, genauso dazugerechnet wie das Hinterland in Niederschlesien. Nicht zu vergessen, die Nachfahren Görlitzer Juden in aller Welt. „Was ist das für eine Provinzialität! Zu denken, dass Görlitzer Juden nur innerhalb der Görlitzer Stadtgrenzen wohnen müssten“, hatte Jacobowitz schon am Vortag geschimpft. Die jüdische Gemeinde organisiere sich nun einmal anders, als es die Deutschen erwarten. „Es darf nicht sein, dass Nichtjuden erklären, wer Jude ist und wer nicht.“

Blick in den Innenraum der Synagoge Görlitz mit neuen Leuchtern im Deckengewölbe Foto: Nikolai Schmdit

So viel ist klar – neues jüdisches Leben beginnt in Görlitz nicht mit beglaubigten Mitgliedern, amtlichen Dokumenten und als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Es beginnt eher als prophetischer Auftrag an einen Mann, dessen Urgroßvater in New York Vorsitzender einer jüdischen Gemeinde war und der sich in Jerusalem hat religiös bilden lassen. Es beginnt mit Erinnerungen, mit neuen Mitgliedern und mit einem Stapel Bücher in einer prächtig rekonstruierten Synagoge.

Und dazu kommt ein ordentlicher Batzen Geld. Für den Davidstern hat Alex Jacobowitz 70.000 Euro gesammelt, so viel, wie für die Wiedererrichtung veranschlagt wurde. Eine Spende von „Mitgliedern und auch Freunden der jüdischen Gemeinde“, beteuert Jacobowitz. Konkreter wird er nicht. Viel konkreter wird auch Kulturbürgermeister Wieler nicht. Er bekräftigt, dass er den oder die anonymen Geldgeber kenne, es aber weder Alex Jacobowitz' noch sein Verein wäre. Der Stadtrat, mit der AfD als größter Fraktion, hat sich jedenfalls einstimmig für die Annahme des Gelds ausgesprochen, das der Kantor der jüdischen Gemeinde, so viel darf man sagen, eingeworben hat.

Und so wird 83 Jahre nach dem gewaltsamen Sturz, mit finanzieller Unterstützung von Juden und ihrer Sympathisanten und mit Billigung der AfD, der Davidstern über Görlitz aufgerichtet und rufen: „Wir sind hier!“ So wie es Alex Jacobowitz gesagt hat. Die Wege des Herrn sind tatsächlich unerforschlich.

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