: Der Unterschied zwischen Wollen und Können
Inkassounternehmen machen eine satte Rendite mit dem Eintreiben von Schulden. Durch ein neues Gesetz verbessern sich ab Oktober die Bedingungen für die Schuldner*innen aber zumindest geringfügig. So werden die zu zahlenden Gebühren etwas gedeckelt
Von Ansgar Warner
„Ein Bankrott vollzieht sich in zwei Geschwindigkeiten“, wusste schon der öfter mal klamme Schriftsteller Ernest Hemingway, „erst sehr langsam, dann sehr schnell“. Daran hat sich bis heute nichts geändert – ganz im Gegenteil. Denn wenn nach den offenen Rechnungen, ersten und zweiten Mahnungen dann noch die saftigen Gebühren von Inkassounternehmen kommen, ist die Zahlungsunfähigkeit im Handumdrehen erreicht. Erst recht in Coronazeiten, wo viele Haushalte ohnehin jeden Euro zweimal umdrehen müssen.
Die Zahl der Inkassoverfahren ist trotz sinkender Kauflaune mit knapp 40 Millionen im Jahr 2020 stabil geblieben, während sich die Motive für Finanzprobleme spürbar verschoben haben. Wichtigster Grund ist dem Bundesverband Deutscher Inkassounternehmen zufolge derzeit „Kurzarbeit“, gefolgt von allgemeinen „Liquiditätsengpässen wegen Corona“. Besonders bedenklich: Die Zahl der Privatinsolvenzen betrug zwischen Januar und März der Wirtschaftsauskunftei Crifbürgel zufolge schon mehr als 30.000, etwa doppelt so viel wie im ersten Quartal des Vorjahres.
Was Schulder*innen sich die Haare raufen lässt, freut die Gläubiger. Bis zu 5 Milliarden Euro fließen per Inkasso jedes Jahr in die Kassen gerade auch von kleinen Unternehmen, die sich keine eigene Rechtsabteilung leisten können. Doch wem nützt es, wenn die Armen noch ärmer werden? In manchen Fällen übersteigen die von professionellen Schuldeneintreibern berechneten „Dienstleistungen“ sogar den eigentlichen Forderungsbetrag. Beauftragt der Gläubiger außerdem noch eine Rechtsanwaltskanzlei, drehte sich die Kostenspirale noch weiter.
Auch die Transparenz der Verfahren lässt oft zu wünschen übrig, viele betroffene Konsumenten werden von Igor Inkasso und Konsorten nicht ausreichend über ihre Rechte informiert. Ein Zustand, den Schuldnerberatungen und Verbraucherschützer seit Jahrzehnten beklagen. Selbst das Bundesjustizministerium sprach Ende 2020 von einer „unhaltbaren Situation“. Letzteres passierte wahrscheinlich, weil die Bundesregierung kurz zuvor eine Gesetzesänderung durch Bundestag und Bundesrat gebracht hatte, die ab 1. Oktober 2021 neue Standards im Inkassorecht setzt.
Hat ein Unternehmen offene Forderungen, treibt es diese heute zumeist nicht mehr selbst ein, sondern beauftragt dafür ein Inkassounternehmen. Die von ihnen berechneten Kosten sind oft deutlich höher als die eigentliche Forderung, und Inkassounternehmen stehen im Ruf, häufig rüde Methoden anzuwenden. Die Politik ist das Problem lange nicht angegangen, doch am 25. November 2020 wurde ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Verbraucherschützer kritisieren allerdings, dass die darin vorgesehenen Regelungen das Missverhältnis zwischen Forderungshöhen, Kosten und Aufwand nicht ausreichend beseitigten und immer noch keine zentrale Aufsichtsbehörde geschaffen wurde.
Optisch wichtigster Punkt: Die sogenannte Geschäftsgebühr für das Inkasso, die der Gläubiger komplett auf den Schuldner abwälzen darf (aber nicht muss), wird in Zukunft vom Gesetzgeber grundsätzlich auf 90 Prozent der Forderung begrenzt. Bisher waren 110 Prozent erlaubt. Aus 10.000 Euro Schulden für die neue Couchgarnitur oder das High-End-Elektrobike können jetzt also nicht mehr 21.000 Euro werden, sondern nur noch 19.000 Euro. Insgesamt für den ohnehin nicht gerade flüssigen Großschuldner natürlich ein schwacher Trost.
Zum Glück geht es aber in mehr als drei Viertel aller Fälle in Deutschland nur um offene Rechnungen in Höhe von weniger als 500 Euro. Bei solchen Bagatellen wurde eine weitere Deckelung eingeführt, inklusive Auslagen sind nun maximal 48,60 Euro Inkassogebühren erlaubt, vorher waren es 70 Euro. Wer nach der ersten Mahnung zahlt, wird mit 29,40 Euro zur Kasse gebeten.
Noch stärker gedeckelt wurden Kleinstforderungen unter 50 Euro, was etwa jeden vierten Inkassofall betrifft, hier darf nicht mehr als 36 Euro für das Eintreiben der Außenstände berechnet werden. Man kommt aber auch schon mit 18 Euro davon, vorausgesetzt, die Summe wird direkt nach dem ersten Mahnschreiben beglichen.
Wird parallel zum Inkassounternehmen auch ein Rechtsanwalt beauftragt, darf der Gläubiger zukünftig nur noch die Hälfte der Gebühren anrechnen. Allerdings können Inkassounternehmnen sich bei der Forderungseintreibung auch weiterhin an Rechtsanwaltsgebühren orientieren. Das sorgt beim automatisierten Massenversand von Mahnungen für eine satte Rendite. Und das selbst dann, wenn – wie die Branche mit moralisierendem Augenrollen beklagt – die neuen Inkassoregelungen von den Verbraucherinnen als eine „Einladung zum Schuldenmachen“ interpretiert werden.
Tritt der Schuldeneintreiber allerdings aggressiv auf oder verbreitet irreführende Informationen, dürfen die Aufsichtsbehörden jetzt immerhin Auflagen erteilen und Bußgelder verhängen. Eine zentrale Kontrollinstanz oder Beschwerdestelle fehlt aber weiterhin, zuständig bleiben die Amtsgerichte vor Ort.
In zwei Jahren sollen die neuen Regelungen im Inkassorecht noch einmal auf Herz und Nieren geprüft werden – Verbraucherschützern zufolge eine gute Idee. Denn aus Sicht des Verbraucherzentrale Bundesverbandes hat die Große Koalition ihre Bringschuld in Sachen sozialer Gerechtigkeit bisher nicht getilgt. Entlastet würden mit den aktuellen Änderungen vor allem Schuldner*innen, die nicht nur zahlen wollen, sondern auch sofort zahlen können.
Ein besonderes Problem des Onlinehandels blieb leider auch ausgespart: es fehlen klare Regelungen für Fälle von Identitätsdiebstahl, bei dem persönliche Daten missbraucht werden, um Waren oder Dienstleistungen im Internet auf Kosten der Opfer zu bestellen. In diesem Fall gilt auch weiterhin das Hemingway’sche Gesetz, nur umgekehrt: Der Bankrott kommt sehr schnell und geht sehr langsam.
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