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Die WahrheitDas Geheimnis in den Füßen

Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (124): Die Haftfähigkeit von Geckos fasziniert Bioniker, die sie nutzbar machen wollen.

Eine Tagesdecke? Nein, ein Tagesgecko Foto: reuters

Geckos können zur Not ihren Schwanz abwerfen, eine Art sogar die Schuppen, die nur lose am Körper befestigt sind und schnell wieder nachwachsen. In Südostasien wird eine andere Art „Hausgeckos“ genannt, sie „nisten“ gern in Mauern- und Dachnischen. In Thailand nennt man sie „Tokeh“, weil sich ihre nächtlichen Rufe so anhören. Es gibt darüber hinaus Wüsten-, Falten-, Schwimmfuß-, Haftschwanz-, Dünnfinger-, Tag­geckos und so weiter …

Die meisten Geckos sind Dämmerungsjäger, in tropischen Städten sitzen sie am liebsten nahe Straßenlampen und Leuchtreklamen, weil die Insekten ihnen dort quasi ins Maul fliegen. Der kleine Gecko, den wir in Norddeutschland in der Wohnung hielten, geriet schier außer sich, wenn sich mal eine einzelne Fliege in seine Nähe verirrte. Man nennt die Geckos auch Haftzeher: Sie können an der Decke laufen. Manchmal sprang unserer einem Insekt nach und fiel runter – mitten auf den Esstisch. Als ich ihn einmal falsch anfasste, verlor er seinen Schwanz, der nicht nachwuchs. Er sah danach nicht mehr so gut aus, aber es schien ihn nicht zu stören.

Ob Geckos giftig sind, beschäftigt sowohl das Internetforum mietzmietz.de als auch eltern.de: Auf beiden Portalen berichten Katzenhalter, dass die Katzen das entscheiden, indem sie die einen nur fangen, die anderen aber auffressen, wobei es dabei welche gibt, die sie wieder auskotzen. Auf dem „Tierforum“ für Terraristik wird diskutiert, welche Geckoart auf welche Töne wie reagiert – was ihre Halter „unterschiedliche Geräuschempfindlichkeiten“ nennen: Die eine Art mag das Staubsaugergeräusch, eine andere wirkt völlig geräuschunempfindlich, eine dritte gerät schon beim kleinsten Lärm in Panik, zeigt jedoch bei Tschaikowskys Symphonie Nr. 1 Neugier, eine vierte, Kronengeckos, zuckt zusammen, wenn der Bass mal ein bisschen lauter wird.

Es sind wohl eher individuelle Idiosynkrasien als artspezifische Reaktionen. Einige Geckos reagieren auf Pfeifen, andere, wenn jemand an die Scheibe ihres Terrariums klopft. Die Biologen des Helmholtz-Zen­trums für Umweltforschung erforschen wild lebende Geckos – im Hinblick auf die Klimaveränderung. Das hört sich so an: „Wie bei allen wechselwarmen Tieren, ist auch bei Reptilien der Metabolismus und die Biologie stark von der Außentemperatur abhängig, was sie besonders empfindlich für den Klimawandel macht. In unserer Studie nutzen wir die Gelegenheit eines Langzeitmonitorings einer Eidechsengesellschaft im östlichsten Rand der ariden Zone Australiens. Wir werden die Beziehungen zwischen der Ökologie von Eidechsen und verschiedenen direkten und indirekten Auswirkungen des Klimas dort im Laufe der letzten 30 Jahre quantifizieren. Anschließend werden wir die Populationsentwicklungen unter derzeit existierenden Klimaszenarien in die Zukunft projizieren.“

Fitter

Australische Geckoforscher haben derweil herausgefunden, dass eine Art, die Kaktusgeckos, sich durch Jungfernzeugung vermehrt, wobei die ausschließlich weiblichen Nachkommen „fitter“ als nahe Verwandte sein sollen, die aus geschlechtlicher Vermehrung hervorgegangen sind. Getestet haben dies die Forscher mit einem Laufrad.

Im Stuttgarter Max-Planck-Institut für intelligente Systeme gibt es ebenfalls ein „Gecko-Projekt“. Dort studieren verschiedene Forscher die Gecko­füße: „Sie haben komplizierte hie­rarchische Haftsysteme an den Füßen. Sie verzweigen sich wie ein Baum und bilden an ihren Enden so winzige Härchen aus, dass ihre Größe im Nanobereich liegt. Von diesen Härchen hat der Gecko dann aber gleich eine Milliarde pro Fuß.“

Für die „Bioniker“ stellt sich das Problem, solche Füße nachzubauen: „Das Geheimnis des Geckos ist in seinen Füßen versteckt“, sagen sie, und wenn man es aufdeckt, dann lassen sich damit eventuell „technische Haftfolien“ herstellen, mit anderen Worten: „Das Geckoprinzip des trockenen Haftens in die Technik zu übertragen ist ein Ziel intensiver Bionikforschung.“

Saarland

Auch die Wissenschaftler an der Universität des Saarlandes forschen in diese Richtung. Während Forscher in Aachen und Jülich das grundlegende Prinzip der Haftfähigkeit der Gecko­füße für alles Mögliche nutzen wollen. Dazu heißt es auf ingenieur.de: „Die schwachen Kräfte bilden sich zwischen Atomen oder Molekülen. Sie wirken nur auf extrem kurze Entfernungen. Geckos beispielsweise nutzen sie, um an Wänden und Decken zu laufen. An ihren Füßen befinden sich Millionen feinste Härchen, die jeweils eine winzige Anziehungskraft auf den Untergrund haben.“ Das führt zu dem paradoxen Ergebnis, dass Geckos auf glatten senkrechten Flächen schneller sind als auf rauen Ebenen. Und selbst wenn sie sterben, fallen sie nicht von der Decke.

Mit der Entdeckung ihrer „Van-der-Waals-Kräfte“ löst sich wieder einmal die Biologie in Physik auf – und wird praktisch, das heißt: technisch – und damit profitabel. Schon reden die Forscher laut Spiegel von einem „Gecko-Superkleber“ (für jeden Haushalt). Anders die Russen: Sie erforschen das Sexualverhalten von Geckos – und zwar in der Schwerelosigkeit. Zu diesem Zweck schoss das Kosmosunternehmen TsSKB-Progress einen Satelliten mit mehreren Geckos an Bord in den Weltraum. Nach einiger Zeit verlor die Bodenstation jedoch die Kontrolle über den Satelliten.

Für die Geckos hieß das jedoch erst einmal nichts: „Der Satellit kann noch einige Monate durch den Weltraum treiben, bevor er schließlich abstürzt“, meinte einer der Experten, bis dahin würde er weiter Videoaufnahmen vom Verhalten der Geckos machen. Es kam anders: Man bekam den Satellit wieder unter Kontrolle und veranlasste seine Landung. Anschließend stellte sich jedoch heraus, dass die kleinen Echsen erfroren waren, als das Heizsystem in dem Satelliten vorübergehend ausfiel.

Projektitis

Man glaubt nicht, wie viele Wissenschaftler und Laboratorien weltweit „Gecko-Projekte“ verfolgen, fast jeder zweite Eintrag unter dem Stichwort „Gecko“ ist der anwendungsorientierten Forschung gewidmet. Da wundert es nicht, dass auch etliche „Gecko-Institute“ und „Gecko-Projekte“ dabei sind, die mit diesen Echsen überhaupt nichts zu tun haben. Es hat sich bereits eine regelrechte „GeckoFashion“ etabliert – mit Modehäusern unter anderem im Ostseebad Prerow.

Dabei sind Geckos nicht gerade für ihre Schönheit berühmt. Aber die Gecko-Manie/-Magie geht noch weiter – mit „GeckoLife“: Firmen, Internetplattformen und Apps für individuelle und kollektive „Communication“-Gelegenheiten. Dazu Romane mit Titeln wie „Der Ruf des Geckos“, „Das Lachen des Geckos“, „Lucky der Gecko“, eine Kinderzeitschrift namens Gecko und Sachbücher über Geckos: seine Pflege, Haltung, Zucht, wobei die für „Leopardengeckos“ bei Weitem überwiegen.

Dabei handelt es sich um „Lidgeckos“: Sie besitzen Augenlider. Der Leopardengecko gilt im Terraristik-Bereich als „Anfängerreptil“, er hat leopardenähnliche Flecken auf der Haut. „Durch die Selektion bei der Züchtung können Farben und Muster aber beeinflusst werden“, wird versichert.

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1 Kommentar

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  • Gut! Helmut Höge schafft es immer wieder, der Leserschaft die Ernsthaftigkeit der Erforschung einer (sicher nicht immer nur) lustigen Tierwelt nahe zu bringen. Oder ist es auch mal umgekehrt? Wieso nur, frage ich mich, interessiert sich der homo sapiens für Sex im Weltall? Der glaubt wohl, nur weil „ER“ u. „Sie“ aufrecht gehen können, dabei aber das Barfußlaufen verlernt und sich Senk-Spreiz-u. Plattfüße eingehandelt haben, müssten die beiden auch gleich den Kopf über den Wolken haben? Schon gut, schon gut. Der Mensch, das Sinn frei neugierige Wesen – sonst gäbe es ja auch keine Satire und keinen Rattelschneck. Und das wäre wahrlich tragisch. Und zugegeben: Der Mensch ist nur da wirklich Mensch, wo er spielt (Schiller?). Neugier und Spieltrieb sind zur Erfahrung der Welt unerlässlich überlebensnotwendig. Aber wozu jetzt beim Gecko-Sex im All zugucken? Sollte mensch da nicht ein wenig seine voyeuristische Artübergriffigkeit zurückhalten? Man sollte auch mal unter sich bleiben (können). Wenn gleich…also…die Liebe der Stachelschweine ist bekanntlich und verständlich vorsichtig. Wie ist das dann eigentlich bei den Genies des Anhaftens, den Geckos? Wie machen die das? Ich meine natürlich NUR bezogen auf die Wiederablösung gerade auf super glatten Oberflächen, nicht wahr… fragt sich die Bionik. Denn sonst könnten die ja nicht auch noch drauf laufen. Beinchen anhaften, loslassen, ein Schritt vor, wieder anhaften…Faszinierend, denkt Mr. Spock. Die Welt der Geckos im Horizont vom Terrarium bis in die Weltraumwelten, die hier keiner zuvor gesehen hat. Dabei kann Helmut Höge noch ganz andere Horizonterweiterungen vermitteln: Das Tier als Spekulationsobjekt: Der Spix-Ara.Neugierig geworden, habe ich mich bei den Artikeln des Autors umgesehen. Die elektrische Taz hält da freigiebig die Archive offen. Knallhart und trocken erläutert Höge das Gebaren der „Finanz-Geckos“ (aus Filmen bekannt), die man fast nie angehaftet kriegt. Täter als Naturschützer? Nur trauriger Irrwitz.