piwik no script img

Naziverstrickungen der frühen documentaDer Neuanfang, der keiner war

Eine Ausstellung in Berlin beleuchtet die Geschichte der documenta. Vom Mythos der kulturellen Neugründung der Bundesrepublik bleibt wenig übrig.

Werner Haftmann (l.) und Arnold Bode bei der documenta 3, 1964 Foto: Wolfgang Haut/FAZ

Ein holzgetäfelter Raum im Stil der 70er Jahre. Im Vordergrund ein Schreibtisch mit Telefonen, Bildschirm und Bogenlampe, im Hintergrund eine Besprechungstafel, alles in Ockertönen. An der Wand sieht man das Bild einer Meereslandschaft in Braun und Blau. Man übersieht die kleine Fotografie leicht in der jüngsten Ausstellung des Deutschen Historischen Museums (DHM) in Berlin. Doch wer über die ideologische Wirkungsgeschichte der documenta nachdenkt, dem liefert das Dokument einen erhellenden Moment.

Als Bundeskanzler Helmut Schmidt 1976 sein Amtszimmer im neu gebauten Bundeskanzleramt in Bonn bezog, hängte er ein Schild vor die Tür, auf dem „Nolde-Zimmer“ stand. Drinnen hängte er das Werk „Meer 3“ des 1956 gestorbenen norddeutschen Malers auf. Einundzwanzig Jahre nach der Gründung der documenta im Jahr 1955 ratifizierte der mächtigste Politiker des Landes noch einmal die gezielte Geschichtsklitterung von deren Gründervätern, der expressionistische Maler sei ein Held des inneren Widerstands gewesen.

In Wahrheit war Nolde ein glühender Antisemit. Doch der Kunsthistoriker Werner Haftmann, wichtigster Mitarbeiter von documenta-Gründer Arnold Bode, sorgte dafür, dass Nolde auf der ersten Schau einen prominenten Auftritt und den unverdienten Ritterschlag des „existenziellen Antifaschisten“ erhielt.

Ganz neue Erkenntnisse über die in den vergangenen drei Jahren scheibchenweise zutage geförderten NS-Hintergründe der documenta liefert die Ausstellung nicht. Sieht man von dem Brief ab, mit dem Werner Haftmann zugab, von Noldes Gesinnung gewusst zu haben.

„Zu tun ist da nichts weiter, als den Mund zu halten“, schrieb er 1963 an den Schokoladefabrikanten und Kunstmäzen Bernhard Sprengel, als in den USA ein Streit über den „wüsten Nazi Nolde“ anhub. Wenn das Helmut Schmidt gewusst hätte …

Doppelte Frontstellung

Der Schau gebührt aber das Verdienst, die bislang meist unter Experten diskutierten Forschungen nun einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Kein leichtes Unterfangen. Die Schwierigkeit, die spannende Großthese der Ku­ra­to­r:in­nen von der „Neuerfindung der Bundesrepublik“ unter der doppelten Frontstellung von Westbindung und Antikommunismus bei gleichzeitiger Abwehr der braunen Vergangenheit sinnlich nachvollziehbar zu machen, zeigt sich gleich zu Beginn.

Für die Kunstwissenschaftlerin Julia Friedrich vom Kölner Museum Ludwig ist beispielsweise Wilhelm Lehmbrucks Statue „Die große Knieende“ aus dem Jahr 1911 ein zentraler Beleg für Haftmanns documenta-1-Strategie.

Von den Nazis als „entartet“ geschmäht, signalisierte das Werk zwar – wie gewollt – die Versöhnung mit der verfemten Moderne. So wie Bode und Haftmann sie vor den unverputzten Wänden des Fridericianums platzierten, verdrängte sie zugleich die Frage nach Verbrechen und Verantwortung mittels einer „Inszenierung diffuser Verstricktheit“ und dem „Pathos transzendentaler Obdachlosigkeit“. In Kassel stand Lehmbrucks Arbeit 1955 in den ausgebombten Ruinen. In Berlin steht sie nun in einem niedrigen Saal unter einer Deckenleuchte auf einem niedrigen Podest. Zum Beweisstück geschrumpft, lässt sich die ideologische Prägekraft von einst höchstens erahnen.

Wie auf Schnitzeljagd

Ansonsten gleicht die Schau mitunter einer forensischen Schnitzeljagd, bei der man sich ziemlich oft über Vitrinen beugen muss. Etwa, um das vergilbte Dokument in Augenschein zu nehmen, mit dem der Oxforder Historiker Bernhard Fulda die NSDAP-Mitgliedschaft Werner Haftmanns belegen konnte.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Oder um mit zwei grauen Künstlerlisten vom Dezember 1954 belegt zu bekommen, dass jüdische und kommunistische Künst­le­r:in­nen auf den ersten documenta-Schauen nicht nur zufällig nicht wieder rehabilitiert wurden, oder weil nicht schnell genug an Leihgaben zu kommen war, sondern mit Vorsatz aus der Moderne à la Haftmann ausgegrenzt wurden.

Auf dem Zettel findet sich der durchgestrichene Name von Otto Freundlich, einem kommunistischen Künstler, der 1943 in Majdanek ermordet wurde, und der von Rudolf Levy. Der jüdische Maler wurde 1943 in Florenz, wo zeitweilig auch Haftmann wohnte, von der SS verhaftet. Er starb auf dem Transport nach Auschwitz.

Es ist also kein Zufall, dass in der Ausstellung viele Werke des Emigranten Levy wie ein Selbstporträt aus seinem Todesjahr hängen, die auf der documenta 1 nicht gezeigt wurden. Hier weitet sich das Prinzip der Kuratorinnen „Lücken aufzeigen, ohne sie zu reproduzieren“ zur Rehabilitierung.

Ausgrenzung des Jüdischen

Die Ausgrenzung des Jüdischen verfolgte natürlich einen Sinn. So wie Bode und Haftmann auf Abstrakte wie Fritz Winter, Georges Braque oder Alexander Calder setzten, sollte das die Abgrenzung zum NS-Kunstverständnis und den Anschluss an das ästhetische Credo West markieren. Wären jüdische Künstler berücksichtigt worden, hätte unweigerlich die Frage nach dem Terrorsystem der Nazis im Raum gestanden, das sie ermordete und an dem etliche der Mit­ar­bei­te­r:in­nen der ersten vier documentas beteiligt waren.

Vielleicht schrieb deshalb Haftmann wider besseres Wissen den ungeheuerlichen Satz: „Die moderne Kunst wurde als jüdische Erfindung zur Zersetzung des ‚Nordischen Geistes‘ erklärt, obwohl nicht ein einziger der deutschen modernen Maler Jude war.“ Groß prangt das Zitat aus seinem epocheprägenden Werk „Die Malerei des 20. Jahrhunderts“, von dem ein Originalexemplar unter einem Glassturz in der Schau ruht, auf einer der Stellwände der Ausstellung.

Erst 1977, 22 Jahre später also, standen die Zeichen in Kassel auf Aufarbeitung. Ausgerechnet mit dem Bild eines der bis dato ausgegrenzten Künstler aus der DDR. In Berlin ist noch einmal Werner Tübkes großformatiges Ölgemälde „Die Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze III“ von 1965 zu sehen. Mit der Figur eines fiktiven Richters spielte der sozialistische Manierist auf die Auschwitzprozesse an.

Die Künstlerinnengruppe der Guerrilla Girls stellte 1987 eine berech­tigte Frage Foto: www.guerrillagirls.com

Es gehört freilich zur Dialektik der documenta, dass sie nie nur ein Verblendungs- und Instru­men­ta­li­sie­rungs­zusam­men­hang war. Spätestens mit der von dem Schweizer Kurator Harald Szeemann kuratierten documenta 5 im Jahr 1972 ebnete sie unter dem Titel „Bildwelten heute“ die Grenze zwischen Hoch- und Massenkultur ein, hatte sie sich aus dem engen Korsett der Gründerväter befreit.

Davon zeugen die lustigen Gartenzwerge mit den Gesichtern von Adenauer, Chrusch­tschow oder de Gaulle, die Eberhard Roters damals als Beispiele des Trivialrealismus in der Sektion „Parallele Bildwelten“ neben Büsten oder ideologischen Emblemen gezeigt hatte. Doch unabhängig von jeder ideologischen Blickformatierung durch die Schau, die im nächsten Jahr mit ihrer 15. Ausgabe 67 Jahre alt werden wird, eint alle ihre Freun­d:in­nen das Gefühl der „Erwartung von etwas Künftigem, noch Unbenennbaren“.

Erweiterung der Grenzen

Das gestand Ingeborg Lüscher, die Frau des 2005 gestorbenen Harald Szeemanns, dem Übervater aller Kurator:innen, DHM-Kuratorin Julia Voss in einem Interview, das in dem hervorragenden, weil prägnanten und informativen Katalog abgedruckt ist.

Bei jeder bevorstehenden Ausgabe, so beschrieb die Foto- und Installationskünstlerin das der Schau eben auch eigene Prinzip der imaginativen Grenzerweiterung, hofften die Besucher doch immer wieder auf „die Ausdehnung der Welt“. Ein zeithistorisches Kontinuum, das sich nicht ausstellen lässt.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Künstler sind nun Mal auf das Geld der Reichen und Mächtigen angewiesen.



    Wenn sie ein Gewissen und Glück hatten, könnten sie damals das Land verlassen.

  • Zitat: „Nach meiner Überzeugung hat Kunst weder mit Politik noch mit Abstammung etwas zu tun, ich kann daher der Preußischen Akademie der Künste […] nicht länger angehören, da dieser mein Standpunkt keine Geltung mehr hat.“

    Wieso, zum Henker, hätte es eine „PREUSSISCHE Akademie der Künste“ geben sollen, wenn Kunst tatsächlich „weder mit Politik noch mit Abstammung etwas zu tun“ hat?

    Schon von Beginn an war Kunst nicht nur Ausdrucksmittel, sondern auch Dekoration von Macht - und umgekehrt. (Entfremdungseffekte machen es möglich.) Künstler haben sich mit dem Urteil der Mächtigen kaum weniger gern oder häufiger geschmückt, als die Mächtigen sich mit der Kunst (und einzelnen Künstlern) geschmückt haben. Das war zu Liebermanns Zeiten nicht anders als zu Zeiten der Pharaonen, Kaiser Wilhelms oder Kanzler Schmidts Zeiten. Anno 2021 ist es immer noch so. Ein Mensch muss schon eine ziemliche Portion Ignoranz aufbringen, finde ich, wenn er/sie/es das nicht zur Kenntnis nehmen will.

    Sieht aus, als wäre das Verdrängen eine Kunst, die nicht nur Nazis beherrscht haben (und beherrschen), sondern auch viele ihrer Opfer. Eine Kunst, im Übrigen, die nicht nur Glanz-, sondern auch Schattenseiten hat: Mit all zu fest geschlossenen Augen und Ohren kann das kommende Verhängnis nicht sonderlich gut wahrgenommen werden.

    Ausgegrenzt werden im Übrigen vor allem solche Menschen, die anderen das Ignorieren erschwert, weil sie entweder nicht fähig oder aber nicht willens ist, die Augen und Ohren fest genug zu verschließen. Auch das hat Tradition. Juden (allen) und Kommunisten (den echten) dürfte das besonders schwer gefallen sein zwischen 1933 und, sagen wir, 1973, weil sie a) als imaginierte Gruppe mit Abstand die größten Opfer zu bringen hatten und b) nicht all zu stark in Versuchung geführt wurden von den Mächtigen. Zumindest nicht im „Westen“.

    • @mowgli:

      In der jungen BRD gehörten jüdische Künstler*nnen allzu oft nicht dazu. Wurden aktiv ausgeschlossen. Der Neuanfang war kein Neuanfang, wie der Titel des Artikels prägnant sagt. Menschen wie Haftmann waren nicht ehrlich mit sich selbst, es steht ja alles im Artikel. Im Grunde töteten sie ihre jüdischen Mitbürger*innen erneut, durch Ausschluss, es steht ja z.B. im Artikel, die Moderne sei ,,nicht jüdisch" gewesen (Haftmann). Liebermann war ein Künstler der Moderne. In Reaktion auf Haftmanns Vergangenheit und seine kuratorische Tätigkeit bei der Dokumenta passt einfach Liebermanns Zitat vom stundenlangen ,,Kotzen''. Man könnte einfach stundenlang nur ,,kotzen'', wenn man sieht, wie wenig in den 50er und 60ern und 70ern wirklich ehrlich aufgearbeitet wurde.



      Die ,,Akademie" wurde von den Nazis gleichgeschaltet. Das ist etwas anderes als ,,die Verwobenheit von Kunst und Politik''. Liebermann äußerte sich zur Gleischschaltung der Akadmie mit Worten, die seine Trauer zum Ausdruck bringen. Wenn ich sie lese, emfinde ich auch Trauer. Ich empfinde keine Abwehr ob seiner ,,Naivität" zu diesem Verein gerne dazugehören zu wollen/ gerne gewollt zu haben.



      In den frühen 30er durften Menschen plötzlich nicht mehr Mitglied der Akademie sein. Nach dem Holocaust bestimmten Täter wie Haftmann in der BRD darüber was ,,Kunst" ist und schlossen skrupellos die Kunst derjenigen aus, die kurz zuvor im ,,3. Reich" noch verfolgt und ermordet wurden.



      Das kann man doch mal zum Kotzen finden?! Da kann man doch mal trauern? Anstatt Menschen wie Liebermann irgendwie verklausuliert vorzuwerfen, sie seien selber Schuld gewesen? Nach dem Motto: ,,Was wurden sie auch Künstler?'' oder ,,Warum haben sie das Land nicht verlassen?" (@SCHNURZELPU)



      Ich versteh's nicht!

  • Vielleicht kann man eine große Identifikation Haftmanns mit Künstlern wie Kirchner annehmen? Und eine bewusste ,,judenreine“/ ,,judenfreie“ Etablierung von ,,moderner BRD-Kunst‘‘ nach ‘45 um sich nicht mit der eigenen Vergangenheit auseinandersetzen zu müssen, so wie es im TAZ-Artikel so treffend dargestellt wird? (Und um sich gleichzeitig ,,reinwaschen" zu können, schließlich galt Kirchner z.B. als ,,entartet" ?)

    ,,Kirchner:



    […]



    Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten blieb er zunächst noch Mitglied der Preußischen Akademie der Künste, wurde aber im Juli 1937 endgültig ausgeschlossen.[16] Im selben Monat wurden in Deutschland 639 Werke Kirchners aus den Museen entfernt und beschlagnahmt, 32 davon wurden im Rahmen der diffamierenden Ausstellung „Entartete Kunst“[17] gezeigt, darunter das Selbstbildnis als Soldat. Einige dieser Werke wurden später postum auf der documenta 1 (1955), der documenta II (1959) und auch der documenta III im Jahr 1964 in Kassel gezeigt.



    […]



    de.wikipedia.org

    /wiki/Ernst_Ludwig_Kirchner



    www1.wdr.de/mediat...angenheit-100.html

    Kunsthistoriker Werner Haftmann hat NS-Vergangenheit



    WDR 5 Scala - aktuelle Kultur. 08.06.2021. 08:33 Min.. Verfügbar bis 08.06.2022. WDR 5.

    Werner Haftmann gilt als prägender Kunsthistoriker der jungen BRD. Doch jetzt kommen mehr brisante Details seiner Biografie ans Licht: Haftmann war unter anderem Mitglied der NSDAP und der SA. Historiker Carlo Gentile beschäftigt sich mit dem Fall.

  • Ernst Ludwig Kirchners Brief



    Davos, den 12. Juli 37



    Sehr geehrter Herr Schumann [stellvertretender Präsident der Preußischen Akademie der Künste],



    […] Ich lebe seit 20 Jahren im Ausland und infolge meiner Krankheit sehr einsam und zurückgezogen. Ich bin nicht orientiert über die künstlerischen Vorgänge in Berlin. Ich will gewiss niemandem im Wege stehen oder Aufsehen erregen. Ist mein Name in der Akademie lästig so streichen Sie ihn. Ich würde mir arrogant oder albern vorkommen, wollte ich von mir aus aus dieser großen ehrenwerten Institution austreten, der schon mein Großvater angehörte. Ich bin doch kein Feind. Wenn ich gesund wäre, würde ich ja so gern mitarbeiten am Aufbau einer neuen deutschen Kunst. Ich habe ja mein ganzes Leben hindurch daran gearbeitet und bin oft genug dafür angefeindet worden.. Ich habe nie einer politischen Partei angehört. Meine Arbeit kommt aus dem einfachen menschlichen Empfinden und richtet sich an dasselbe. Ich gedachte das beste davon meinem Land zu schenken bei meinem Tode, um so meinem Land zu dienen. Manchen jungen Künstler interessiert sie. Ich wünsche von Herzen, daß Deutschland eine neue, schöne und gesunde Kunst erwachse. Ich und mancher andere ältere haben ehrlich und treu daran gearbeitet, das wird man früher oder später einmal einsehen.



    Mit deutschem Gruß



    Ihr ergebener



    E.L. Kirchner



    Aus: Joseph Wulf (1989): Kultur im Dritten Reich: Die bildenden Künste, Ullstein [Naomi Léa Wulf (1982)], S. 348

    • @gleicher als verschieden:

      Preußische Akadmie der Künste,



      Berlin W 8, Pariser Platz 4



      13. Juli 1937

      An den



      Herrn Reichs- und Preußischen



      Minister für Wissenschaft,



      Erziehung und Volksbildung



      Berlin W 8

      Betr.: Austritt von Mitgliedern der Akademie, Abteilung für bildende Künste.

      […] beehre ich mich ergebenst zu berichten, daß folgende Mitglieder der Akademie der Künste, Abteilung für bildende Künste, ihren Austritt aus der Akademie erklärt haben:



      Der Bildhauer Ernst Barlach



      Der Bildhauer Professor Ludwig Gies



      Der Architekt Bruno Paul



      Der Maler Professor E.R. Weiß und



      Der Architekt Mies van der Rohe.



      Der Maler Ernst Ludwig Kirchner in Davos hat der Akademie telegrafisch mitgeteilt, daß er ihr die Entscheidung überläßt. Wir werden diesem Künstler antworten, daß wir seinen Bescheid in seinem Sinne als Austrittserklärung auslegen.



      Der Maler Max Pechstein hat in einem längeren Schreiben die Akademie um Angabe der Gründe ersucht, aus denen ihm der Austritt aus der Akademie nahegelegt worden sei.



      Der Maler Emil Nolde zurzeit in Seebüll bei Neukrichen (Schleswig) hat telegrafisch einen Bescheid in Aussicht gestellt, der jedoch bis zur Stunde noch nicht eingegangen ist.



      Der Bildhauer Rudolf Belling ist zurzeit von Istanbul nach Berlin unterwegs und deshalb leider nicht erreichbar.

      Der Präsident



      Im Auftrage



      Amersdorffer

  • ,, Die Ausgrenzung des Jüdischen verfolgte natürlich einen Sinn. So wie Bode und Haftmann auf Abstrakte wie Fritz Winter, Georges Braque oder Alexander Calder setzten, sollte das die Abgrenzung zum NS-Kunstverständnis und den Anschluss an das ästhetische Credo West markieren. Wären jüdische Künstler berücksichtigt worden, hätte unweigerlich die Frage nach dem Terrorsystem der Nazis im Raum gestanden, das sie ermordete und an dem etliche der Mitarbeiter:innen der ersten vier documentas beteiligt waren.



    Vielleicht schrieb deshalb Haftmann wider besseres Wissen den ungeheuerlichen Satz: „Die moderne Kunst wurde als jüdische Erfindung zur Zersetzung des ‚Nordischen Geistes‘ erklärt, obwohl nicht ein einziger der deutschen modernen Maler Jude war.“

    ,,Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte."

    wdrmedien-a.akamai...enmoechte_wdr5.mp3

    […] „Das Natürliche wäre auszutreten. Aber mir, als Juden, würde das als Feigheit ausgelegt worden.“[74] Am 7. Mai 1933, nach dem Beginn der Gleichschaltung im Sinne der nationalsozialistischen „Deutschen Kunst“, legte Liebermann Ehrenpräsidentschaft, Senatorposten und Mitgliedschaft in der Preußischen Akademie der Künste nieder und erklärte in der Presse: „Ich habe während meines langen Lebens mit allen meinen Kräften der deutschen Kunst zu dienen gesucht. Nach meiner Überzeugung hat Kunst weder mit Politik noch mit Abstammung etwas zu tun, ich kann daher der Preußischen Akademie der Künste […] nicht länger angehören, da dieser mein Standpunkt keine Geltung mehr hat.“



    [---]



    Als eine Deportation ins KZ Theresienstadt unmittelbar drohte, nahm Martha Liebermann eine Überdosis Veronal und starb am 10. März 1943 im Jüdischen Krankenhaus von Berlin.



    de.wikipedia.org/wiki/Max_Liebermann

    • @gleicher als verschieden:

      Ja, schrecklich.



      Wieder ein Beispiel, wie lange sich das Verweigern, das Verleugnen und das unter den Tisch kehren in den verschiedensten Gesellschaftsbereichen nach 1945 hinzog. Ob bei dem Wirken von Dr. Fritz Bauer, dem BGH-Urteil von 1956, der Akte Rosenburg, der Organisation Gehlen, etc. pp. was die Kunst im allgemeinen betrifft war immerhin die Gruppe 47 unverdächtig.

      • @Icke Klabautermann:

        Volker Weidermann in ,,Das Duell" (2019):



        ,,Marcel Reich-Ranicki ...[schildert] in seiner Autobiographie seine Überraschung [...], die er empfand, als er im Jahr 1986 den Text las, in dem ihn Hans Werner-Richter porträtierte. [...] Reich-Ranicki schreibt in seinen Erinnerungen: Richter ,beanstandete, daß ich mir erlaubt hatte, das Wort ,wir" zu verwenden. [...] Als ich dies 1986 las, begriff ich erst, wie groß damals mein Irrtum, mein Mißverständnis war. Ich war überzeugt, dass Richter und die Leute der Gruppe 47 in mir einen Kritiker sahen, den die deutsche Literatur geprägt hatte und dessen Arbeitsgebiet ausschließlich eben die deutsche Literatur war. [...]. Beschämt will ich die peinliche Wahrheit gestehen: Ich meinte wirklich, daß ich ganz selbstverständlich dazugehörte. Darauf zielte das Wort ,wir' ab.



        [...]



        [Richter über Reich-Ranickis Deportation:] ,,Immer hat er gelseen, ganz gleich in welcher Sitautaion er sich befand. Auch als er von Berlin nach Warschau gebracht wurde, las er während der ganzen Fahrt."



        ,,Nach Warschau gebracht" - ja, so kann man es natürlich formulieren. Und so wundert sich Reich-Ranicki, das in Richters Text, der so voller Verwunderung über Ranickis Fremdheit ist, nicht einmal das Wort ,,Jude" vorkommt. ,,Nichts liegt mir ferner, als Richter auch nur des geringsten antisemitischen Ressentiments zu verdächtigen. Aber er hielt es für richtig und erforderlich, das Judentum der von ihm Porträtierten (auch bei Peter Weiss, Wolfgang Hildesheimer und Hans Mayer) konsequent auszusparen." Richter sei in dieser Frage, so Reich-Ranicki, ,,befangen und verkrampft gewesen, das mache ihn zu einer typischen Figur seiner Zeit." (Weidermann, S. 161, 162)

        Typische Wehrmachtsfiguren ihrer Zeit.

        Unfähig zu trauern und die ganze Zeit mit der Rekonstruktion ihres Selbst beschäftigt.



        Nicht in der Lage, z.B. Paul Celan auf einen Sockel zu heben.



        Stattdessen Deutschstunde für Deutschstunde Leute wie Nolde rehabiltierend ...