Geflüchtete in Jordanien: Emanzipation mit der Rohrzange
Wenn im Camp Jerash der Hahn tropft, darf kein Klempner vorbeischauen, solange kein „Hausherr“ anwesend ist. Deshalb gibt es jetzt Klempnerinnen.
E slam Abu Jamous klemmt den Befestigungsring am unteren Hals des Wasserhahns in eine Rohrzange und schließt mit ein paar Drehungen die Schlüsselaufnahme des Systems. Die Armatur an ihrem Waschbecken ist recht neu. Das ist eine Seltenheit hier.
Empfohlener externer Inhalt
Abu Jamous lebt in einer Siedlung für palästinensische Geflüchtete in Jordanien. Die Einkommen der Menschen sind gering, die Infrastruktur veraltet. Regelmäßig tropfen die alten Hähne, Dichtungen verkalken, Rohre lecken. Deshalb hat Abu Jamous gelernt, wie sie Wasserhähne repariert, Siphons austauscht und Dichtungen reinigt. „Ich kann alles reparieren und muss nicht warten, bis meine Brüder von der Arbeit zurückkommen oder der Handwerker vorbeikommt“, sagt sie stolz.
Damit spart sie Geld und Wasser – eine knappe Ressource, nicht nur im Camp in Jerash, in dem die 27-Jährige lebt, sondern in ganz Jordanien, ein Staat, dessen Fläche viel Wüste beinhaltet, in dessen Sommern es monatelang nicht regnet und der deshalb an Wasserarmut leidet.
Jamous lebt mit zwei Brüdern, drei Schwestern und ihrer Mutter in einem kleinen zweistöckigen Haus. In der offenen Küche stapeln sich Töpfe und Pfannen neben der Spüle. Im Flur steht eine Waschmaschine, gefüllt mit Wolldecken, die darauf warten, im Schleudergang gereinigt zu werden. Die Frauen können nicht zu jeder Tageszeit waschen. Sie müssen warten, bis der städtische Wasserbetreiber die Leitungen aufdreht. Ansonsten müssten sie das kostbare Wasser aus ihrem Vorrat nehmen, das sie aufbewahren, um zu duschen oder die Toilette zu spülen.
Weil Jordanien an akutem Wassermangel leidet, dreht der Staat die Hähne nur ein paar Tage in der Woche auf. Dann fließt städtisches Wasser zunächst auf die Hausdächer – auf jedem Dach in Jordanien gibt es mindestens einen großen Plastikbehälter. In diesen Sammelbehältern verbleibt das Wasser, damit es zur Verfügung steht, wenn der Wasserversorger den Hahn wieder zudreht. Wer ansonsten Nachschub möchte, muss die teuren privaten Tanklaster bezahlen.
Ein Werkzeugkasten als Geschenk
In Jordaniens Hauptstadt Amman fließt das Wasser vergleichsweise lange: 24 Stunden in der Woche. In ländlichen Gebieten füllt das Wasser die Zisternen für 6 bis maximal 18 Stunden. In Camps für palästinensische oder syrische Geflüchtete sogar nur bis zu 10 Stunden in der Woche. Rund 80 bis 100 Liter Wasser stellen die Wasserversorger am Tag bereit, damit müssen die Menschen dann in der Woche auskommen. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Verbrauch an Trinkwasser bei 120 Litern pro Person – täglich.
Nicht die ganzen 100 Liter kommen an, denn rund 40 Prozent des Wassers in Jordanien gehen verloren, weil die Leitungen schlecht gewartet sind. Wenn ein Rohr leckt oder der Hahn tropft, müssen die Frauen warten. Denn der Klempner darf generell nur ins Haus, wenn auch ein Mann vor Ort ist – der ist zur Arbeit meist außer Haus, erklärt Juliana Turjman, Projektkoordinatorin bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Jordanien. „Wenn die Frau alleine zuhause ist, bleibt der Schaden so lange bestehen, bis ihr Ehemann nach Hause kommt und einen Klempner holt.“ So lange tropft der Wasserhahn.
Einige Frauen in Jerash wollten das nicht länger hinnehmen. Einen Monat lang haben sie sich Basiswissen im Klempnern angeeignet: Welche Sanitärwerkzeuge es gibt oder wie sie Wasserlecks beseitigen. 30 Frauen hat die GIZ im Jerash Camp ausgebildet und ihnen einen eigenen Werkzeugkasten geschenkt. Mit Sechskantschlüssel, Schraubenschlüssel und Kneifzange helfen sie nun auch ihren Nachbarinnen bei Sanitärproblemen. „Die Frauen sind bekannt in ihrer Nachbarschaft und die Leute wissen, dass zum Beispiel diese Dame ein Leck reparieren kann“, freut sich Turjman. „Die Klempnerin kann dann direkt zu ihnen kommen, wenn der Schaden auftritt. Das spart Wasser sowie Geld und erhöht das Bewusstsein, Wasser zu sparen.“
Mayada Abu Jamous, Teilzeit-Klempnerin
Bei den Männern traf das auf viel Widerstand. Eslam Jamous lebt mit drei Schwestern und zwei Brüdern, 33 und 40 Jahre alt. Der Vater ist gestorben, daher haben die Brüder das Sagen bei wichtigen Entscheidungen. „Anfangs waren sie gegen die Idee und haben gesagt: Wie kommst du dazu, darüber nachzudenken [das Klempnern zu lernen]? Bist du verrückt? Du kannst nicht einfach Werkzeug nehmen und in die Häuser anderer Leute gehen“, erzählt die ältere Schwester Mayada Abu Jamous, die als erste in der Familie das Sanitärhandwerk lernen wollte.
Sie erklärt: „Aufgrund der Traditionen, Normen und Gewohnheiten entscheiden die Männer. Sie denken, dass sie für die Frauen verantwortlich sind. Sie wollen nicht, dass wir Frauen zu anderen Männern in die Häuser gehen. Und sie dachten, dass Frauen nicht in der Lage sind, Installationsarbeiten zu verrichten – aufgrund ihrer physischen Gegebenheiten.“
Dabei sind die Frauen die Leidtragenden, wenn es im Haushalt keine funktionierende Wasserversorgung gibt. In den meisten ländlichen Gebieten sind sie für den Haushalt verantwortlich – aus Sicht der Männer ist es ihre Schuld, wenn Teller schmutzig bleiben oder der Boden nicht geputzt ist, erklärt Mayada Abu Jamous. „In unserer Gesellschaft machen Frauen die Hausarbeit. Sich Kindererziehung und die Hausarbeit teilen? Fehlanzeige! Frauen kochen, waschen die Kleidung, baden die Kinder und kümmern sich um alles, was Wasser benötigt. Sie sind für das Haus verantwortlich“ und ihre Schwester fügt hinzu: „Ein Haus ohne Wasser ist nichts.“
Die Frauen benötigen dringend Wasser zur Hygiene, wenn sie ihre Monatsblutung haben oder schwanger sind. „In den Sommermonaten ist es besonders schlimm, da bekommen wir manchmal nur einmal alle zwei Monate Wasser. Das ist eine große Herausforderung für die Körperpflege“, sagt die 27-jährige Eslam Abu Jamous.
Die Männer verlassen das Haus und gehen zur Arbeit, während Frauen zu Hause bleiben, um unbezahlte Hausarbeit zu verrichten. Diese Trennung von öffentlichem und privatem Raum wollten die Männer beibehalten. Sie fürchteten, dass klempnernde Frauen außerhalb des „geschützten“ Bereiches des Camps arbeiten gehen.
Die Siedlung in Jerash entstand im Jahr 1968 als Notunterkunft für palästinensische Geflüchtete. Mittlerweile leben auf engstem Raum schätzungsweise 30.000 Menschen nebeneinander. Grünflächen gibt es keine. Viele der meist zweistöckigen Gebäude sind unverputzt, sie haben Dächer aus Wellblech, die nur mit Backsteinen beschwert auf den Hauswänden liegen. Aus manchen tragenden Hausgerüsten ragen noch Stahlstreben in den Himmel.
Frauen schließen eine Lücke
An einer Straßenecke vor einer braunen Stahltür stapeln sich auf Plastikkisten Äpfel und Orangen. Von der Decke hängen Bananen. Neben einem Pappkarton mit grünen Bohnen, Bündeln von Petersilie und Spinat steht der 42-jährige Jafar Abdelkarim Jafari. „Die Wassersituation ist schlecht“, beschwert sich der Gemüsehändler. Sein Laden ist zwar gefliest, vor ihm auf der Straße aber mischt sich Sand mit Abwasser. Ein Ablauf für Schmutzwasser vor dem Laden ist provisorisch mit Holzbrettern abgedeckt – sie sind durchnässt, Schlamm zieht seine Schlieren auf ihnen.
„Alles Wasser, das du hier siehst, ist Abwasser.“ Die Abflüsse verstopfen regelmäßig und dann überschwemmt das Schmutzwasser die Straßen. „Wir bekommen nur einmal in der Woche Wasser, und das meiste läuft über die Straßen ab. Wenn das Wasser von der Stadt kommt, verschmutzt es die ganze Nachbarschaft. Die Umgebung ist immer nass und schmutzig. Dadurch ist die Infrastruktur im Camp zerstört.“
Tatsächlich war es ein Wasserschaden im öffentlichen Raum, der die Abu Jamous-Brüder schließlich zum Umdenken bewegt hat. „Als die Leute gefragt haben: Wer behebt das jetzt? Und die Idee aufkam, dass ich es reparieren kann, da haben sie ihre Meinung geändert“, erinnert sich Mayada Abu Jamous. Die Brüder sahen, dass das Wissen ihrer Schwestern hilfreich ist für die Gesellschaft – und dass die Frauen eine wichtige Lücke schließen.
Juliana Turjman, GIZ-Koordinatorin
Auch andere Frauen gaben nicht auf, gingen zu den Workshops und bewiesen ihr Können, erzählt die Koordinatorin der Klempnerinnen in Jerash, Fawzyeh Al-Moghrabi. „Mit der Zeit, als die Männer sahen, dass die Frauen das Wissen und die Werkzeuge haben und praktisch anpacken, haben sie es akzeptiert.“
Die 30 Installateurinnen beherrschen nicht nur das Grundhandwerk, sondern wissen auch, wie sie im Haushalt Wasser sparen können. Dieses Wissen tragen sie weiter: Sie sensibilisieren Nachbar*innen und motivieren sie, ihren Wasserverbrauch zu reduzieren, sagt GIZ-Koordinatorin Turjman. „Die Frauen werden zu Botschafterinnen. Sie bringen ihr Wissen über das Wassersparen und die Wiederverwendung von Abwasser in andere Haushalte und öffentliche Einrichtungen wie Schulen.“
Al-Moghrabi berichtet, dass einige ihrer Teilnehmerinnen nun mit Regenwasser Pflanzen bewässern. „Sie gehen nach Hause und wenden ihr Wissen praktisch an. Zum Beispiel wissen sie nun, dass eine Dichtung nur einen halben Dinar kostet. Sonst verlangen die Handwerker zwei, drei Dinar. Nun können die Frauen die Teile selbst kaufen und einbauen und sparen Geld.“
Empfohlener externer Inhalt
Die Frauen bekommen ein Trinkgeld, ein vollständiges Einkommen bringt die Tätigkeit nicht. Denn dass sie vollberuflich als Klempnerinnen arbeiten, ist nicht möglich. Die gesellschaftliche Ablehnung ist zu groß. „Viele Männer sind noch immer störrisch“, gibt Workshopleiterin Al-Moghrabi zu. Die Männer freuen sich zwar über die zusätzlichen Einnahmen. Doch der Haushalt bleibt weiterhin die Sache der Frau. Die haben zusätzlich zu der Arbeit im Haushalt also noch die weitere Arbeit als „Wasserweise“. Dass Männer sich im Haushalt betätigen, ist noch in weiter Ferne. Eslam Abu Jamous denkt trotzdem darüber nach, vollberuflich als Klempnerin tätig zu sein. Noch studiert sie Mathematik. Doch sollte sie keine Arbeit finden, möchte sie als Installateurin arbeiten.
Schon 2007 begann die GIZ mit ihren Partnern, Trainings für Geflüchtete und Jordanierinnen anzubieten. Inzwischen sind in 13 Regionen über 500 Frauen geschult. Für einige Jordanierinnen hat sich tatsächlich eine Berufsperspektive als Klempnerinnen ergeben.
Gendersensibel und partizipativ
2012 haben sich ehemalige Trainees zu einer Kooperative zusammengeschlossen. Die „Water Wise Women Plumbers“ ist juristisch in Jordanien registriert und bietet Frauen, die in der Sanitärtechnik tätig sind, eine Rechtsgrundlage für ihre Arbeit. Sechs Frauen sitzen im Verwaltungsauschuss und sind im Austausch mit den staatlichen Wasseranbietern.
Sie schulen Frauen im Sanitärbereich, bieten Sanitärdienstleistungen für private Haushalte und öffentliche Einrichtungen wie Schulen oder Moscheen an. Kund*innen können online den Wartungsservice beantragen. Dann installieren die „Wasserweisen“ die in Jordanien beliebten Po-Duschen („Schattaf“), schließen Waschmaschinen an, warten den Siphon, reinigen Warmwassererhitzer und Wassertanks auf den Dächern.
Gefördert durch das European Journalism Centre (EJC) mit Unterstützung der Bill & Melinda Gates Foundation folgt die taz ein Jahr lang dem Wasser. Fünf taz-Korrespondentinnen recherchieren in Lateinamerika, Westasien, Südasien und in Afrika entlang des Nils. Denn vor allem im Globalen Süden gibt es zu wenig oder kein sauberes Wasser. Besonders Frauen müssen jeden Liter über weite Strecken nach Hause tragen. Der Zugang zu Wasser wird mit der Klimakrise verschärft. Immer öfter wird Wasser privatisiert oder steht im Konflikt mit Großprojekten, die Fortschritt bringen sollen. Mehr unter taz.de/wasser
Mittlerweile gilt das Projekt als „Best Practice“ in der Entwicklungszusammenarbeit, weil es gendersensibel und partizipativ ein grundlegendes globales Problem angeht und zugleich Geflüchteten Jobperspektiven bietet. Mit dem Programm hat die GIZ einen Nerv getroffen: Deutsche Journalist*innen berichten über „Powerfrauen mit Rohrzange“ und jubeln über vollverschleierte Frauen, die Wasserleitungen überprüfen und in einer Männerdomäne aus Geschlechterrollen ausbrechen.
Die Koordinatorin in Jerash, Fawzyeh Al-Moghrabi, versteht diesen Hype nicht so ganz. „Die Leute glauben, es gäbe Berufe speziell für Männer, wie Automechaniker, Landwirt oder eben Sanitärfachkraft. Und wenn Frauen an Autos schrauben, Felder bestellen oder Rohre reparieren, werden sie als Ausnahmen dargestellt. Sie kommen damit in die Medien oder Nachrichten und werden dafür gefeiert“, merkt sie kritisch an. Dabei haben historisch Frauen die Felder bestellt, erst durch die industrielle Revolution wurden sie in die private Sphäre gedrängt.
Doch abseits aller Klischees von Frauen, die emanzipiert sind, weil sie Arbeiten verrichten, die Männern zugeschrieben werden, ist die Kurzausbildung in Jerash erfolgreich. Sie hat nicht nur den Frauen, sondern auch den Männern einiges gebracht: Sie sparen Wartungskosten, weil sie nicht bei jedem tropfenden Hahn einen Klempner rufen müssen. Sie beseitigen Wasserlecke schneller, weil die Frauen nicht erst auf einen Mann warten müssen. Sie sparen durch die schnelle Reparatur etwas Geld bei der monatlichen Wasserrechnung. Sie verschwenden weniger Wasser. Ihre Hygiene-Situation hat sich etwas verbessert.
Ausgebrochen aus dem Patriarchat sind die Klempnerinnen in Jerash dennoch nicht. Sie arbeiten nur ab und an, wenn Not an der Frau ist. Sie verdienen etwas hinzu, finanzielle Unabhängigkeit garantiert der Minijob aber nicht. Die Männer erwarten weiterhin, dass die Frauen im Haushalt arbeiten, die Wäsche waschen, putzen, den Abwasch machen, sich um Kinder kümmern. Dichtungen austauschen oder Wasserhähne montieren bleibt eine Art Freizeitbeschäftigung. Wenn es eine Frau macht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“