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Mehr als ein Trikot

Der ukrainische Fußballverband erklärt eine Heldenlosung zum offiziellen Fußballsymbol des Landes. Dass das Team ganz gut kicken kann, könnte man darüber fast vergessen

Durch­setzungsstark: Ruslan Malinovskyi im Zweikampf mit Serge Gnabry Foto: Karina Hessland/imago

Von Andreas Rüttenauer

Es gibt Teams bei dieser EM, die muss man einfach mögen, weil sie noch nie beim kontinentalen Turnier dabei waren. Dann sind da die Mannschaften, die einen oder mehrere sogenannte Superstars in ihren Reihen haben. Es gibt Team England, von dem es immer heißt, dass es mehr kann, als es erreicht. Es gibt Nationen, deren Star das Team ist. Und es gibt die Ukraine, eine Auswahl, die nur aus einem Trikot zu bestehen scheint. Der Streit über das ukrainische Trikot jedenfalls, das den Russen nicht in den Kram passt, hat die Vorberichterstattung dieser EM geprägt. Dass man es in der Ukrai­ne sehr wohl versteht, einen gepflegten Ball zu spielen, ist über all dem ein wenig untergegangen.

Am Freitag flog das Team vom Trainingsquartier in Bukarest nach Amsterdam, wo am Sonntag des erste Gruppenspiel gegen die Niederlande (21 Uhr, ARD) ansteht. Andriy Pawelko, der Präsident des ukrainischen Fußballverbands, ist indes nach Rom gereist, um sich vor dem Eröffnungsspiel noch einmal dafür einzusetzen, dass das Trikot seiner Mannen so bleiben kann wie geplant. Am Donnerstag hatte die Uefa entschieden, dass der Umriss des Landes, der auf der Vorderseite des Leibchens zu sehen ist, inklusive Krim kein Problem darstellt. Ebenso unproblematisch sei der Spruch „Ruhm der Ukrai­ne!“, der schon des Öfteren auf den Trikots der Nationalmannschaft stand. Nicht zulässig ist nach dem Uefa-Diktum der Spruch „Ruhm den Helden!“. Der sei politisch motiviert und zu ­entfernen. Der ukrainische Fußballverband reagierte darauf und beschloss, die beiden Losungen zu offiziellen Symbolen des ukrainischen Fußballs zu erklären. Ob’s hilft?

Ein lebendes Symbol des ukrainischen Fußballs hat sich natürlich auch schon zu dieser Trikotfrage nationaler Tragweite geäußert. Andrij Schewtschenko, einst Europas bester Fußballer und heute Nationaltrainer in der Ukraine, meinte dazu, was man als guter Ukrainer eben dazu meint: „Das interessiert mich nicht, wie man in Russland auf unser Trikot reagiert. Mich interessiert nur, wie es bei unseren Fans ankommt. Und die mögen es.“

Ganz nebenbei muss er seine Mannschaft auf die EM vorbereiten. Die soll möglichst besser laufen, als die letzten beiden Kontinentalturniere. Da schied die Ukraine einmal als Gastgeber und das andere mal tor- und punktlos schon in der Vorrunde aus. Schewtschenko hat viel dafür getan, um ein solches Desaster zu vermeiden. Er hat der Mannschaft das Spielen erlaubt. Während sich ukrainische Teams früher gern mal vor dem eigenen Strafraum verbarrikadiert haben, macht Schewtschenkos Elf gern selbst das Spiel. Die deutsche Nationalmannschaft durfte das erleben, als sie im November in Leipzig ihre liebe Mühe hatte, ein spielerisch gut aufgelegtes Team aus der Ukrai­ne, das noch dazu durch vier Coronafälle geschwächt war, mit 3:1 zu besiegen.

Andrij Schewtschenko hat der ukrainischen Mannschaft doch glatt das Spielen erlaubt

Schewtschenko kann mittlerweile auf einen Fundus von Spielern zurückgreifen, der schier unerschöpflich scheint. Mehr als 60 Spieler hat der Trainer schon eingesetzt, seit er 2016 das Amt übernommen hat. Auch die Talente, die 2019 in Polen die Weltmeisterschaft der U20-Junioren gewonnen haben, sind zum Teil schon an das Auswahlteam herangewachsen. Einer dieser jungen Kerls ist der Außenverteidiger Witalij Mykolenko von Dynamo Kiew, der sich in Schewtschenkos 4-3-3 ebenso wohlfühlt wie im 5-3-2, das der Trainer vor dem Turnier ein paarmal getestet hat. Auf 14 Länderspiele hat es der 22-jährige mit dem Bubigesicht unterdessen gebracht und gehört schon zum festen Inventar der Mannschaft, das in der Qualifikation Portugal hinter sich gelassen hat und jüngst in der laufenden WM-Quali Weltmeister Frankreich ein 1:1 abgetrotzt hat.

Stütze der Mannschaft ist gewiss Ruslan Malinovskyi. Der Mittelfeldspieler von Atalanta Bergamo war in der abgelaufenen Saison in der Serie A der beste Vorlagengeber. Der 28-Jährige hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Bergamo auch in der kommenden Saison wieder in der Champions League spielen wird. In diesem Wettbewerb hat es Oleksandr Sintschenko mit Manchester City bis ins Finale gebracht. Pep Guardiola hat Sintschenko hinten links spielen lassen. In der Nationalmannschaft ist für ihn dagegen eine Rolle im zentralen Mittelfeld vorgesehen. Der 24-Jährige soll in die Rolle eines Führungsspielers hineinwachsen. „Wir müssen unbedingt die Gruppenphase überstehen“, mahnte er nach dem 4:0 im Test gegen Zypern. Aus der Gruppe mit den Niederlanden, Österreich und Nordmazedonien nicht ins Achtelfinale aufzusteigen, käme für ihn einer Blamage gleich.

In welchem Trikot er auflaufen wird, das muss sich noch erweisen. Die Spieler sollen sich erst einmal nicht mehr dazu äußern. Auf der jüngsten Pressekonferenz des Teams wurde Romans Bezus, der Angreifer vom belgischen Klub KAA Gent, vom Pressesprecher des ukrainischen Teams umgehend abgegrätscht. Man solle die Spieler doch bitte nicht mehr zum Trikothema befragen.

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