piwik no script img

Die Kunst der Woche für BerlinEin bisschen Jenseits

Die Grenzen des darstellbaren Raums: Im Projektraum Die Möglichkeit einer Insel, bei Meyer Riegger und bei Barbara Wien werden sie erfahrbar.

Ausstellungsansicht „Metamodell“ Foto: © Stephanie Kloss

A m Anfang war das Modell. Und dann kam die Kunst rund um das Modell in die betonrohen Räume eines späten DDR-Plattenbaus und wurde zum „Metamodell“. So heißt nämlich die Ausstellung im Projektraum Die Möglichkeit einer Insel, mit der die drei Künstlerkurator:in­nen Stephanie Kloss, Andreas Koch und Peter K. Koch gerade auf wenigen Quadratmetern und mit viel Freude an seinen Täuschungen die Grenzen des darstellbaren Raums abwandern.

Dabei ist schon das Modell am Anfang nicht leicht einzugrenzen: Zu groß, um architektonisches Modell zu sein, zu klein, um Architektur zu sein, grätscht die Installation von Peter K. Koch quer durch den verwinkelten Projektraum und stellt das Display für die Arbeiten von 14 weiteren Künstler:innen.

Davor und dahinter stößt man dann auf Heike Gallmeiers Bildüberlagerung, bei der man erst einmal überlegen muss, was echtes und was abgebildetes Material, welche wirkliche und welche inszenierte Raumtiefe ist. Und auf Andrea Grützner verblüffend grafisch wirkende Fotografien eines Tanzlokals aus der sächsischen Provinz sowie auf Wilhelm Klotzeks Fragment einer typischen DDR-Imbissbude, nachgebaut im realistischen Verhältnis eins zu eins.

Der Raum geht weiter

Den Raum beschwört Ulla von Brandenburg geradezu okkultisch. Wie die Künstlerin große farbige Vorhänge vor Wänden drappiert, als wäre er dahinter nicht zu Ende sondern nur die Schwelle zu einem andern Raum. Wie sie die Gegenstände anordnet, ein mit Knöpfen übersätes Jackett bereithängt, altes Holzgestuhl in die Ecken platziert, als käme da noch jemand von irgendwo und bediente sich.

Ein bißchen Jenseits gibt es in ihrer Ausstellung bei Meyer Riegger, die schon mit dem Titel „Feste Erde, flüssiger Wind“ die diesseitigen Gewissheiten hinterfragt. Und auch ein bißchen Zirkus, denn aus den großformatigen Aquarellen an den Wänden schimmern Tierbändiger und Akrobaten hervor.

Als Ergänzung zu ihrer Gruppenausstellung im Georg-Kolbe Museum über Tänzerinnen in der Weimarer Republik, ruft Ulla von Brandenburg mit ihren geisterhaften Bühnenräumen und einem Film ein kulturelles Milieu wach, in dem der moderne Ausdruckstanz in den 1910er Jahren entstand: bei den Bohemiens, bei denjenigen eines unsteten Lebens, in der Zirkuswelt.

Städtische Artefakte

An den Orten auf Elisabeth Neudörfls Fotografien ist tatsächlich mal etwas passiert. Darauf sind zwar kaum Menschen zu sehen, aber die beiläufigen urbanen Plätze ihrer Bilder, etwa ein von Wellblechzaun verbarrikadierter Steinlöwe oder die von Graffiti und Kratzspuren ganz opak gewordenen Glaswände einer Fußgängerbrücke über einer großen Gleisanlage, lesen sich wie Zeichen eines schwelenden Konflikts.

Für ihre dokumentarische Fotoserie „Out in the Streets“, die jetzt bei Barbara Wien zu sehen ist, reiste Neudörfl im Februar 2020 nach Hong Kong – als der Massenprotest um die Demokratiebewegung in der chinesischen Sonderverwaltungszone gerade abgeflaut und das öffentliche Leben wegen des Ausbruchs der Covid-19-Pandemie zurückgefahren war. Ihre Bilder von Treppen, Gehwegen, Mülltonnen und den unterschiedlichsten Formen von Absperrungen zeigen die städtischen Artefakte eines politischen Konflikts. Hintergründig aber rücken sie auch die greifbaren Details einer Stadt hervor, die in ihrem Megaausmaß eigentlich nicht mehr greifbar ist.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!